Ein Desaster: die Eröffnung des Berliner Jazzfestes 2003: Rührei in Wilmersdorf
Das Jazzfest des Jahres 2003; also das erste Jazzfest unter der Ägide von Peter Schulze; also die Amtszeit des neuen, auf eine unbestimmte Anzahl von Jahren eingesetzten Intendanten des Jazzfests, der dieses nach zwei Jahren wechselnder Führung nun auf eine längerfristige, künstlerisch ebenso wie ökonomisch solide Grundlage stellen soll; also der auf Dauer angelegte Neustart der wohl vorletzten Veranstaltung in Joachim Sartorius Festspiele-Betrieb, die sich bisher bei Publikum und Kritik noch einer breiteren Zustimmung erfreut - all das begann am Mittwochabend im Haus der Berliner Festspiele in Wilmersdorf mit dem Auftritt eines Zauberers, der drei Eier auf Röhren stellte, die auf einer Sperrholzscheibe standen, die wiederum auf drei Sektkelchen lag. Der Zauberer machte ein dummes Gesicht, schob den Bauch vor und zog die Hose hoch; er längte seine Darstellung mit kabaretthaften Faxen; dann riss er die Sperrholzscheibe weg, die Röhren fielen um und die Eier in die Kelche. Oder jedenfalls zwei davon. Eins fiel daneben und barst auf dem Bühnenboden. Rührei.Arfi, Association à la Recherche d un Folklore Imaginarie, hieß das erste Ensemble, das bei dem diesjährigen Jazzfest auf die Bühne trat. Es zeigte im Verlauf seines Programms "La Grande Illusion" vor allem Zauberkunststücke, zum Beispiel mit Feuer, aber auch mit Wasser; gleich nach dem Eiertrick wurde ein leibhaftiger Saxofonist weggehext. Dazu spielten elf Instrumentalisten ein Pastiche aus Bebop-, Free-Jazz-, Fusion- und Jazzrock-Zitaten; manchmal bot eine albern frisierte Frau albernen Experimentalgesang dar, der ständig unmotiviert in den Tonhöhen changierte. Während sie spielten und sangen, machten die Musiker dumme Gesichter, schoben den Bauch vor und zogen sich die Hose hoch. Es gab Zuhörer, die das lustig fanden; dennoch hätte man bei alldem gerne erfahren, warum diese Art von Kabarett nicht im Kabarett aufgeführt wurde (etwa in der gleich nebenan gelegenen Bar jeder Vernunft), sondern auf einem Jazzfest. Durchweg nämlich zielten die Scherze und Gaukeleien nur aufs billige und allerflüchtigste Schmunzeln und Kichern; Jazz als Musik, als Genre oder soziale Praxis war an keiner Stelle reflektiert oder auch nur gemeint. Auch improvisiert wurde nicht - aber immerhin spielten die Arfi-Musiker ihre Kompositiönchen noch live. Beim zweiten Konzert des Abends war nicht mal das mehr der Fall: Es wurde zu wesentlichen Teilen vom Playback-Band abgespult. Miharu Koshi, eine fraglos flott anzusehende japanische Sängerin, die "den japanischen Blick auf das französische Chanson" darbieten sollte, hüpfte zu diesem Zweck in Mieder und Strapsen und mit einem Cowboyhut auf der Bühne umher und trällerte pseudofranzösische Liedchen. Dazu turnten drei ebenfalls spärlich bekleidete japanische Mädchen auf Stühlen: zwecks Verbildlichung der Tatsache, dass man hier Japanerinnen bei der Aneignung einer ihnen fremden, nämlich der französischen Kultur beobachtet, waren sie gelegentlich auch mit original französischen Baskenmützen bekleidet (nur das Baguette fehlte noch). Ein befrackter Pianist und ein befrackter Fagottist machten auf ihren Instrumenten zu dieser Schau pling-pling und tröt-tröt, während alle anderen Instrumente - Akkordeon, Streicher, gelegentlich ein ganzer lasziver Moulin-Rouge-Orchestereinsatz - aus der Konserve dazugespielt wurden. War die musikalische Qualität bei Arfi eher mäßig und das Verhältnis zum Jazz rein instrumentell, kam bei Miharu Koshi beides als ästhetische Kategorien gar nicht mehr vor.Was sollte das bloß? Worum ging es? Wenn es bei der Eröffnung eines Jazzfestes nicht um Jazz geht, worum dann? Darum, dass man, wie Intendant Schulze bei seinen einleitenden Worten erklärte, nach dem Fremden im Eigenen sucht und das Eigene als Aneignung des Fremden erfährt? Ging es also um Thesen und nicht um interessante Musik? Will sich das Jazzfest jetzt auch noch als Multikulti-Festival neu erfinden, Teil jenes Strickpulli-Betroffenheits-wir-müssen-alle-voneinander-lernen-Milieus, unter dem das kulturelle Leben insbesondere West-Berlins ohnehin schon seit Jahrzehnten ächzt? Jazz als Kabarett zur Globalisierung? Das wäre eine wirklich mehr als unerfreuliche Aussicht. Hoffen wir, dass Joachim Sartorius und Peter Schulze uns an den kommenden Abenden eines Besseren belehren.DETLEV SCHILKE Gleich wird dieser Magier unserem Jazzbegriff den Boden wegziehen.