Ein Fünfgeschosser im Wohngebiet Fennpfuhl war Vorbild für den Wohnungsbau in der DDR: Der Klassiker

Wenn bei Klaus Ellinger in der Erich-Kuttner-Straße 15 das Telefon klingelt, dann kann es sein, dass ein früherer Nachbar Besuch ankündigt. Und ihn fragt, ob er, Ellinger, nicht wieder mal seine Wohnung zeigen könnte. Ellingers Wohnung ist nicht besonders groß, schon gar nicht exklusiv und kein bisschen verrückt, trotzdem kommen immer Leute, um sie anzuschauen. Ellinger, früher Sänger am Metropol-Theater, wohnt in einem besonderen Haus. Mit dem "Versuchsbau P 2 Fennpfuhl" wurden am 25. Mai 1962 die Grundlagen für Plattenbauten geschaffen, die bis weit in die 80er-Jahre in der DDR entstanden. Von Anfang an wohnt Klaus Ellinger in dem Haus. Und der ehemalige Nachbar, der ihm ab und zu Schaulustige ins Haus bringt, hat dieses Haus mit erdacht. Unter Leitung von Hermann Henselmann hat der Architekt Wilfried Stallknecht gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen das Haus entworfen. Mit eingebauten passgerechten Möbeln und variablen Wänden war das Haus für die damalige Zeit eine Revolution. Der dunkelbraune Wandschrank steht heute noch in Klaus Ellingers Wohnzimmer. "Das ist gutes Holz, keine Pappe", sagt er. Dieser Wandschrank galt damals als Fortschritt, als Luxus. "Meine Küche war ebenfalls möbliert und hatte sogar einen Kühlschrank", sagt Ellinger. Noch nach 40 Jahren spricht er davon, dass diese Wohnung wie ein Sechser im Lotto war, auch wenn er den Kühlschrank längst entsorgen ließ. Gegessen wird im Wohnzimmer, weil die Küche für eine Sitzgruppe viel zu klein ist. Das ist in Ellingers Wohnung nicht anders als in den restlichen 31. "Wir hatten die Vorgabe, kleine Küchen zu planen", sagt Wilfried Stallknecht. Ende der 50er-Jahre sei von verschiedenen Gremien beschlossen worden, dass die moderne Ehefrau entlastet werden muss. "So kam es, dass wir der Küche nur wenig Bedeutung zugemessen haben." Der Versuchsbau P 2 Fennpfuhl ist Stallknecht zufolge noch in anderer Hinsicht ein Fortschritt für die damalige Zeit gewesen: Anders als beim Vorgänger P 1 wurde weniger Material benötigt. "Wir standen vor der Frage, wie wir den Wohnkomfort erhöhen und dabei gleichzeitig die Baukosten senken", sagt Stallknecht. Küche und Bad hatten gemeinsame Wasser- und Stromleitungen. Jede Wand war veränderbar. Die Zimmer galten als großzügig geschnitten und boten trotz gleicher Fläche im Vergleich zum Vorgänger mehr Platz und mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Auf Keller verzichteten die Architekten. "Die waren auch nicht nötig, weil kein Mieter wegen der Zentralheizung Platz für Kohlen brauchte." Stattdessen entstanden im Erdgeschoss so genannte Hausgemeinschaftsräume für Familienfeiern, Bastelräume oder Fahrradabstellkammern.Glückwünsche von der TUDass die von dem Architekten-Trio Wilfried Stallknecht, Achim Felz und Herbert Kuschy verwirklichten Ideen keine Luftnummern waren, zeigte sich in den Jahren nach dem Bau des Hauses: Viele Ideen flossen in eine Studie ein, aus der die wohl berühmteste Wohnungsbauserie der DDR "WBS 70" entstand. Der Bedarf an komfortablen, preiswerten und schnell zu bauenden Wohnungen war damals groß. "Wir haben im Grunde genommen die Grundlagen für den DDR-Wohnungsbau geschaffen", sagt Stallknecht heute. Was zunächst für Fünfgeschosser angedacht war, wurde später in Elfgeschossern verwirklicht. Insgesamt sind es rund eine Million Wohnungen, für die Architekten auf P 2 zurückgriffen und in denen es Einbaumöbel, variable Wände und Küchen mit Durchreichen gibt. Was zunächst nur Privilegierten wie Parteiangehörigen, Institutsleitern, Schauspielern und Künstlern vorbehalten war, kam nun auch der Arbeiterklasse zugute.Für ihre Leistungen bekamen die drei Architekten nicht nur Dankesschreiben ihres Vorgesetzten Hermann Henselmann. In den 70er-Jahren interessierten sich auch Mitarbeiter der West-Berliner Technischen Universität für die Pläne der Architekten aus dem Osten. "Die besuchten uns heimlich und beglückwünschten uns zu unseren Ideen", sagt Stallknecht. Obwohl er längst Rentner ist, lässt es ihn nicht los, immer wieder neue Dinge zu planen. An der Entwicklung von Häusern, die ganz ohne Heizung auskommen, hat er mitgewirkt. Und zurzeit kreiert er einen Sessel namens Selio, den man in eine Couch verwandeln kann.ABC DER PLATTE // P 1: Steht für "Platte, 1. Generation in den 50er-Jahren". Bauten mit kleinem Wohnraum und nicht veränderbaren Wänden.P 2: Steht für "Platte, 2. Generation in den 60er-Jahren": Variable Wände und Einbaumöbel, große, lichtdurchflutete Wohnräume.QP-Serie: Steht für Querwandbauweise auf Basis der P1-Typen. Häuser stehen u. a. in der Karl-Marx-Allee.WBS 70: P 2 war Basis für Wohnungsbauserie 70. Häuser (bis zu elf Etagen) stehen u. a. am Platz der Vereinten Nationen.Weitere Typen sind Punkthäuser, Wohnhochhäuser, Mittelganghäuser, z. B. Fischerinsel und Alt-Friedrichsfelde.PROTOTYP UND PUBLIKUMSRENNER // Der Wettbewerb: Anfang der 60er-Jahre waren DDR-Architekten und Hochschulen aufgerufen, Konzepte für neue Wege im Wohnungsbau zu finden. Den ersten Preis belegten Stallknecht/Felz & Kuschy.Die Ausstellung: Der P 2 wurde am 25. Mai 1962 als Basis für den Wohnungsbau präsentiert. 16 Innenausstatter richteten die Hälfte der Wohnungen ein. Eine Ausstellung zog 30 000 Berliner an.Das Haus heute: Der denkmalgeschützte Bau mit seiner blauen Fassade ist saniert. Wohnungen stehen nicht leer.Foto: ARCHIV STALLKNECHT Möbliertes Wohnzimmer mit Essplatz: So wurden die Wohnungen 1962 präsentiert.Foto: BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK Wilfried Stallknecht vor dem Versuchsbau P 2 Fennpfuhl: Das Haus an der Lichtenberger Erich-Kuttner-Straße steht seit der Wende unter Denkmalschutz.