Ein Gespräch mit Paolo Sorrentino, dem Regisseur des Andreotti-Films "Il Divo": Der Vampir war Pionier
Erlauben Sie zunächst eine sehr persönliche Frage. Haben Sie jemals in Ihrem Leben Andreotti gewählt ?Niemals!Wie kam es zu der Entscheidung, diesen Film über diesen lebenden Politiker zu drehen, was bietet Ihnen der Andreotti-Komplex?Er ist wirklich ein Politiker, der viele Seiten der italienischen Politik verkörpert. In einem Film über ihn ist es möglich, eine ganze Reihe von Aspekten und Ereignissen des Landes darzustellen. Zudem ist er auch psychologisch gesehen eine sehr interessante, geheimnisvolle und bedeutende Persönlichkeit. So jemand ist einfach eine Herausforderung.In Deutschland gibt es wohl keinen, der mit ihm zu vergleichen wäre, vielleicht auch in Italien nicht. Was macht seine Einzigartigkeit aus?Mit diesem Film habe ich selbst versucht, genau das zu verstehen. Es ist doch erstaunlich, dass dieser Mann, der über keine besonderen Fähigkeiten verfügt, es geschafft hat, so weit zu kommen. Er hat diese ungeheure politische Starrheit in sich, ein Mann ohne Ideen, ohne Projekte. Am liebsten hätte er gar nichts verändert, nichts angepackt und nur winzige Schritte gemacht. Dennoch war er über 40 Jahre lang ein mächtiger Politiker. Auf mich wirkte er immer so wie diese alten chinesischen Machthaber, mit einigen von denen hat er sich ja auch großartig verstanden.Und zu welcher Antwort sind Sie gelangt? Wie hat er es denn geschafft, das politische System für sich zu instrumentalisieren?Eigentlich hat er das gar nicht getan. Sicher kannte er dieses System sehr gut, er hat sogar einige der Regeln selbst erfunden. Doch seinen großen Erfolg verdankt er der Instrumentalisierung der Medien, in diesem Sinne ist er fast so etwas wie ein Vater von Berlusconi. Andreotti war ständig in den Medien, im Fernsehen sprach er über seine Migräne, er engagierte sich für Fußball und präsentierte als einer der ersten Politik auf spektakuläre Weise, darin war ein echter Pionier.Sie halten sich sehr zurück, was die juristischen Vorwürfe gegen ihn betrifft. Warum beziehen Sie da keine Stellung?Man muss sich an richterliche Entscheidungen halten, es handelt sich um abgeschlossene Prozesse. Ich habe alle Urteile gelesen, doch ich will mir nicht anmaßen, mich über die Richter zu stellen. Sehr viel freier war ich bei seinem politischen Handeln, da kann ich ihn offen kritisieren. In diesem Film will ich den Menschen Andreotti beschreiben und dabei auch das System sichtbar machen, in dem er groß wurde, die Mechanismen der Macht. Und ich habe versucht, in sein abgeschottetes Privatleben vorzudringen, von dem man so gut wie nichts weiß.Faszinierend ist die Form, die Sie dieser Figur gegeben haben, nicht zuletzt durch das brillante Spiel Toni Servillos, der wie ein Vampir durch die gewaltigen Räume der Macht schwebt, unwirklich und gespenstisch. Wie ist dieses Bild des untoten Politikers in ihren Kopf gekommen?Diese Idee kam ganz zufällig, bei unserem ersten Besuch in Andreottis Büro. Er hatte am hellen Tag alle Vorhänge zugezogen, es war sehr dunkel in dem Raum, und ich musste sofort an einen Vampir, einen modernen Nosferatu denken. Es wurde mir regelrecht suggeriert. Und diese repräsentativen Orte diktierten mir das Bild eines Andreottis, der darin zu einer Statue der Macht wurde. Ich wollte ihn genau so zeigen wie er ist.Wie war seine Reaktion auf den Film?Sehr negativ, ohne konkrete Einwände geltend zu machen. Er meint einfach: So bin ich nicht.Das Gespräch führte Knut Elstermann.------------------------------Foto: "Seinen großen Erfolg verdankt Andreotti der Instrumentalisierung der Medien": Regisseur Paolo Sorrentino bei der Arbeit.