Ein Tiepolo und umstrittene Eigentumsfragen VON ANDREA SCHLOTTERBECK: Ritter Rinaldo soll zurück nach Paris
PARIS, im April. Das Bild gilt als Meisterwerk "von unübertrefflicher Qualität", von "auserlesener Sensibilität". In "Rinaldos Abschied von Armida" erzählt Giovanni Battista Tiepolo in "opulenten" Farben, wie sich der christliche Ritter Rinaldo von zwei Soldaten widerwillig aus dem Bann der Zauberin Armida reißen läßt, obwohl sie ihn verzweifelt bittet zu bleiben. Das kleine Ölgemälde hängt in der Berliner Gemäldegalerie. Zu Unrecht finden die Erben des früheren Besitzers, eines jüdischen Sammlers, dessen Eigentum von den Nazis und deren französischen Kollaborateuren geraubt worden war. Seine Familie hat jetzt die Rückgabe des Tiepolo beantragt. Zugleich kämpft sie um fünf Werke aus dem Louvre.Unter dubiosen Umständen wurde das Bild im April 1941 auf einer Auktion im Pariser Hotel Drouot von einem Kunsthändler erstanden, der für seine Geschäfte mit den Nazis bekannt war. Was nach der Versteigerung mit dem Bild geschah, bleibt offen, der Katalog der Gemäldegalerie nimmt erst zehn Jahre nach der Auktion die Spur des Tiepolo wieder auf.Flucht im letzten AugenblickAm 21. April 1940 starb dessen früherer Besitzer Frederico Gentili di Giuseppe, ein jüdischer Geschäftsmann, der seit den 20er Jahren in Paris lebte. Seiner Familie bleibt keine Zeit, sich um die Erbschaft zu kümmem. Tochter Adriana und ihren Kindern gelingt im letzten Augenblick die Flucht nach Kanada. Ihr Bruder versteckt sich.Das gesamte Vermögen bleibt ungeschützt in Paris zurück. Nun hatte Gentili di Giuseppe aber noch Schulden in Höhe von damals 90 000 Francs. Um das Geld einzutreiben, wird über die Köpfe der Erben hinweg ein provisorischer Vermögensverwalter eingesetzt. Gentilis gesamter Privatbesitz wird versteigert. Zu Unrecht, wie die Anwältin der Erben, Corinne Hershkovitch, findet.Als die Familie nach dem Krieg nach Frankreich zurückkehrt, muß Gentilis Tochter feststellen, daß ihre eigene Wohnung zwischenzeitlich von der Gestapo besetzt und ausgeraubt worden war. Sie erstellt sofort eine Liste der gestohlenen Sachen. Um das verschollene Vermögen ihres Vaters aber kümmert sie sich zunächst nicht. Bis sie eines Tages, fünf Jahre nach Kriegsende, bei einem Besuch im Louvre Gemälde ihres Vaters wiederentdeckt. Sie stellt Antrag auf Rückgabe. Die Behörden lehnen ab, mit, so Hershkovitch, "fadenscheinigen Argumenten". Adriana resigniert ebenso wie ihr Bruder Marcel. Die Angelegenheit scheint vergessen. Bis sich die französischen Museen im Frühjahr 1997 entschließen, alle herrenlosen, ursprünglich von den Nazis geraubten Kunstobjekte auszustellen, die seit Kriegsende unter ihrer Verwaltung stehen. Adrianas jüngster Sohn entdeckt im Keller den Auktionskatalog von 1941, schaltet seine Anwältin ein, stellt einen ersten Rückgabeantrag."Rinaldos Abschied von Armida" ging für 284 000 Francs in den Besitz von Paul Cailleux über, besagtem französischen Kunsthändler. 730 000 Mark zahlte 1979 die Gemäldegalerie nach eigenen Angaben dafür. Der Direktor der Berliner Gemäldegalerie, Jan Kelch, sah in einer ersten Reaktion ebenso wie der Louvre "wenig Handlungsbedarf". Der Tiepolo sei während des Krieges öffentlich versteigert worden, der damalige Käufer sei bekannt gewesen und habe das Bild nach dem Krieg immer wieder auf Sonderausstellungen gezeigt. Hershkovitch dagegen wirft der Gemäldegalerie vor, den Lebenslauf des Tiepolo nicht sorgfältig genug studiert zu haben: "Gerade bei einem deutschen Museum hätte ich mehr Vorsicht erwartet", sagt sie im Gespräch.Kelch sieht heute, daß es im Falle des Tiepolo eine "moralische Komponente" geben könnte. Doch es bleibt schwierig, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der früheren und heutigen Besitzer umstrittener Gemälde zu finden.