Eine britische Forscherin weist nach, daß der weibliche Orgasmus die Chancen der Befruchtung erhöht: Erregen bringt Kindersegen

Für manche Moralapostel ist die Lust beim Geschlechtsakt eher eine unerwünschte Nebenwirkung. Der Koitus sollte ausschließlich zum Zwecke der Fortpflanzung erfolgen, predigen sie. Zeit zum Umdenken: Nach neuesten Studien steigen die Chancen, ein Kind zu zeugen, wenn auch die Frau den Gipfel der sexuellen Lust erreicht. Wie eine britische Psychologin kürzlich auf einer Tagung in England berichtete, erleichtert die orgiastische Erregung den Spermien offenbar den Weg zu ihrem Bestimmungsort.Die Frage nach dem SinnDer männliche Orgasmus wird von den meisten Verhaltensforschern als die "Lustprämie" angesehen, die die Evolution den Herren der Schöpfung für die Erfüllung der reproduktiven Pflicht bezahlt. Doch über den Sinn des weiblichen Höhepunktes werden seit vielen Jahren bisweilen bizarre Debatten geführt. Sie reichen von der These, daß er überhaupt nicht existiert, bis hin zu der Vermutung, er sei der Unterdrückung durch das Patriarchat zum Opfer gefallen. Fest steht, daß für den männlichen Klimax eine biologische Notwendigkeit besteht. Ohne Orgasmus ist keine Ejakulation, ohne Samenausstoß keine Empfängnis möglich. Frauen jedoch können auch ohne lustvolle Empfindung, ja sogar im bewußtlosen Zustand schwanger werden.Hinzu kommt, daß viele Frauen zumindest nach Ansicht mancher Buchautorinnen bei den vorherrschenden Sexualpraktiken um das Orgasmuserlebnis betrogen werden. "10 bis 26 Prozent aller Frauen erleben nie einen sexuellen Höhepunkt", schreibt die Psychologin Kirsten von Sydow von der Universität Gießen in dem sexualwissenschaftlichen Handbuch "Liebe, Lust und Leidenschaft". Und: "94 Prozent aller Männer, aber nur 58 bis 63 Prozent der Frauen haben Erfahrung darin, bis zum Orgasmus zu masturbieren." In den vergangenen Jahrzehnten wurde immer wieder die Vermutung geäußert, der sexuelle Höhepunkt der Frau erfülle einen direkten Zweck für die Befruchtung des Eies. Der britische Zoologe und Wissenschaftsautor Desmond Morris stellte Mitte der sechziger Jahre eine inzwischen klassische These auf: Der weibliche Orgasmus gewährleiste, so spekuliert er in seinem Bestseller "Der nackte Affe", daß die Frau nach dem Beischlaf ermüdet liegenbleibt, damit der Samen nicht aus der Vagina fließt. Populär wurde in letzter Zeit die "Upsuck-Theorie", die davon ausgeht, daß durch den weiblichen Orgasmus ausgelöste Muskelkontraktionen die Spermien in die Gebärmutter hochsaugen (englisch: to suck up). Die ersten TestsDie Biologen Robin Baker und Mark Bellis von der Universität Manchester prüften dies vor einigen Jahren mit einer eigenwilligen Untersuchung, über die sie in ihrem 1997 erschienenen Buch "Der Krieg der Spermien" berichten. Für ihre Studie forderten die Forscher eine Gruppe freiwilliger Paare auf, nach dem nächsten Geschlechtsverkehr festzuhalten, ob und zu welchem Zeitpunkt der Kopulation die Frau einen Orgasmus erlebt hatte. Zusätzlich wurden die Frauen angehalten, das nach dem Akt aus der Vagina austretende Ejakulat den Rückfluß aufzufangen. Fazit: Kam die Frau gar nicht oder vor dem Mann zum Höhepunkt, floß der größte Teil des Samens wieder aus ihrem Körper ab. Erlebte sie aber eine Minute bis 45 Minuten nach ihrem Partner einen Orgasmus, blieb das Gros des Spermas in ihrem Fortpflanzungstrakt.Nach Ansicht der Psychologin Jacky Boivin von der Universität Cardiff weist diese Studie einige schwerwiegende Mängel auf. Ihre Kritik zielt vor allem auf die Notlösung, mit der sich Baker und Bellis behalfen: Da sich die Menge des jeweiligen Gesamtejakulates nicht direkt messen läßt, baten die Forscher ihre männlichen Probanden, in Kondome zu masturbieren. Die so gewonnene Spermamenge definierten sie als das Gesamtejakulat. Es gab auch Zweifel, ob das Auffangen des Rückflusses korrekt erfolgte. Die beste Methode besteht nach Ansicht von Boivin darin, nach dem Beischlaf die Konzentration der lebenden Spermien im Geschlechtstrakt der Frauen zu messen.Dies holte die britische Psychologin jetzt in einer eigenen Untersuchung nach. 103 Frauen im Durchschnittsalter von Mitte 30, die sich in einer Klinik für Reproduktionsmedizin diversen Tests unterzogen, wurden gebeten, nach dem Geschlechtsverkehr Angaben über ihre sexuelle Befriedigung beim Akt zu machen. Zwei bis drei Stunden danach untersuchten die Forscher den Schleim im Gebärmutterhals der Frauen auf den Gehalt an lebenden Spermien.Lust rettet SpermienEs stellte sich heraus, daß jene Frauen, welche die intensivsten Lustgefühle (inklusive Orgasmus) beim Sex erlebt hatten, die größte Menge an Spermien in ihrer Gebärmutter aufwiesen. In der Gruppe der Frauen dagegen, die am wenigsten empfunden hatten, ließen sich bei fast 50 Prozent der Probandinnen so gut wie gar keine Samenfäden mehr im Körper nachweisen. Von denjenigen, die das volle Maß an Erregung und Lust genossen hatten, wiesen nur zehn Prozent keinerlei Spermien in der Schleimprobe auf. Bei den Frauen mit mittleren Lustwerten fanden Boivin und ihre Kollegen eine eher durchschnittliche Menge an Samenfäden."Die Studie beweist eindeutig eine signifikante und direkte Beziehung zwischen der Qualität des sexuellen Erlebnisses und der Zahl der Spermien im Gebärmutterhals", folgert die Autorin der Studie. Frauen, deren Männer Probleme mit dem Ejakulieren hatten oder auffällig in ihrer Form veränderte Spermien aufwiesen, waren bewußt von der Studie ausgeschlossen worden. Fraglich bleibt allerdings, wie groß der Beitrag ist, den der Upsuck-Mechanismus zu einer erfolgreichen Befruchtung leistet. Schließlich ist die starke sexuelle Erregung der Frau, wie beim Orgasmus, den Spermien beim Erreichen ihres Zieles auch noch auf andere Weise behilflich. Boivin: "Es ist bekannt, daß sich unter diesen Umständen auch der Säuregrad des Schleims in der Vagina verringert. Je geringer der Säureanteil ist, desto länger überleben die Spermien, und desto weiter können sie auf ihrer Reise vordringen."