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LONDON, im Januar. Keine ungewöhnliche Szene für einen Samstagabend in einer britischen Stadt. Mädchen schwärmen durch die Straßen, oft in Gruppen und meist betrunken. Sie grölen, lachen laut oder schreien Männern über die Straße zu. Später verschwinden sie in Pubs. Nach der Sperrstunde feiern sie zu Hause oder in Clubs weiter. Die Sitten sind locker, und die Zahl schwangerer Teenager ist hoch. In England und Wales werden dreimal so viele Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren schwanger wie in Deutschland, zehnmal so viele wie in den Niederlanden. Was ist mit den Briten los? Die waren doch immer so höflich, zugeknöpft und geradezu verklemmt. Das sind sie wohl immer noch. Nach einer noch unveröffentlichten Studie der Oxford-Professorin Jane Lewis widersprechen sich die beiden Phänomene nicht, sondern sind sogar eng verbunden. Zwar beruhten Teenager-Schwangerschaften auch auf Armut, aber der wichtigste Grund sei, sagt die Sozialwissenschaftlerin Lewis, dass niemand die britischen Jugendlichen über Sex aufkläre. Nicht die Parteien, nicht die Eltern, nicht die Schulen. Sexualaufklärung in der Schule ist zwischen den konservativen Tories und Tony Blairs Labour-Partei sehr umstritten. So sind auch die Lehrer verunsichert. Sie wissen nicht, inwieweit sie Fragen der Schüler beantworten dürfen, ohne den Zorn der Eltern und Politiker auf sich zu ziehen. Viele Eltern können zudem ihre Kinder vom Sexualunterricht befreien lassen, wenn ihnen der zu freizügig erscheint. Konservative Politiker meiden das Thema. Baronesse Strange etwa, die für die Tories im Oberhaus sitzt, sagte im Parlament zum Thema Aufklärung in der Schule: "Gestern, als ich in den heimischen Wäldern kniete und frische, weiße, süß duftende Blüten pflückte, erinnerten sie mich an die Unschuld, Reinheit und Lieblichkeit von Kindern." Ähnlich, wenn auch weniger poetisch, sehen viele Eltern das Thema. Sie reden nicht über Sex und vermitteln ihren Kindern, dass Sex eine irgendwie schmuddelige und verbotene Angelegenheit ist. Kritiker bemängeln, dass niemand zu wissen scheint, was die Schule eigentlich erreichen will: Sex zwischen Jugendlichen verhindern, über den eigenen Körper aufklären oder die persönliche Entwicklung befördern? Der Lehrplan sieht vor, Sexualkunde in einem Atemzug mit Drogen und Kriminalität zu behandeln - Sex als Gefahr im Leben.Dass es anders geht, zeigen die Niederlande. Dort heißt das Erziehungsziel Aufklärung und Verantwortung. Sexualkunde lehrt man zusammen mit praktischen Themen, etwa Handarbeiten, oder: Wie repariere ich ein Fahrrad? Mit Erfolg: In den Niederlanden sinkt die Zahl der Teenager-Schwangerschaften seit Jahrzehnten.