Eine echte CD-Neuerscheinung zum Karajan-Jahr: Beethovens drittes Klavierkonzert mit Glenn Gould: Treffen sich zwei Schamanen
Zu Pianisten fand Herbert von Karajan nie ein so inniges Verhältnis wie zu Sängern. Mit Klavierkonzerten hatte Glenn Gould wenig am Hut. Dennoch soll die 1957 mitgeschnittene Interpretation von Beethovens 3. Klavierkonzert, dirigiert von Karajan, gespielt von Gould, die "wichtigste Veröffentlichung" des Karajan-Jahrs sein. Immerhin ist sie neben den Wiederauflagen alter Aufnahmen eine der wenigen echten Neuerscheinungen und hält die Begegnung zweier Künstler fest, die auf unterschiedlichen Wegen zu Kultgrößen wurden: Karajan durch die extreme Verbreitung seines als Luxusgut verkauften Orchesterklangs, Gould durch sein exzentrisches Klavierspiel.Beide haben der Aufnahme als eigener Kunstform viel zugetraut, Gould sogar so viel, dass er ab 1963 keine Konzerte mehr gab. Obwohl Karajan und Gould sich gegenseitig sehr schätzten, sind sie nie zusammen ins Studio gegangen, und der zweite gemeinsame Auftritt, Bachs d-Moll-Konzert in Luzern, ist nicht aufgezeichnet worden. "Als ich ihn hörte, hatte ich das Gefühl, als spielte ich selbst", sagte Karajan. Und Gould plante viele Jahre später die Aufnahme eines Beethoven-Konzerts über den Atlantik hinweg mit hin- und hergeschickten Bändern von Klavier- und Orchesterteilen, wovon er sich versprach, "dass HvK und GG sich im Geiste treffen könnten, ohne sich persönlich zu treffen". Der eine glaubt, er spiele selbst, obwohl er dirigiert, der andere träumt von rein geistiger Zusammenkünften - da haben sich zwei Schamanen gefunden. Aber ist nicht jede Aufnahme eine Geisterbeschwörung?Horchen wir hinein: Es ist der 26. Mai 1957, die Berliner Philharmoniker sind noch immer ohne eignen Saal. Ihr Chefdirigent heißt seit zwei Jahren Herbert von Karajan und ist 49 Jahre alt. Nach der "Mathis der Maler"-Sinfonie des noch lebenden Paul Hindemith betritt der 24-jährige Glenn Gould das Podium, eine Schüssel warmen Wassers neben sich, in die er bei jedem Orchestertutti seine Hände taucht. Seine Haltung befremdet, "wie ein Krake, die Hände falsch wie Horowitz haltend", verlautet die Tageskritik. Der große Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt jubelt, er habe seit Ferruccio Busoni keinen Pianisten dieses Formats gehört.Was sowohl Gould als auch Karajan und das Orchester auszeichnet - und die Restauration mustergültig einfängt - ist große Transparenz. Karajan war damals noch nicht der Klangmanierist späterer Jahre, sondern ein präzis artikulierender Rhythmiker, was sich mit Goulds nahezu pedalfreiem Spiel gut verträgt. Da herrscht ein sachlicher Ton, der kaum poetisch oder expressiv ist. Wenn Gould im langsamen Satz - den er in einem eigenen Text als "reichlich lethargisches Nachtstück" abkanzelt - den einstimmigen Schluss der kleinen Kadenz zart ersterben lässt, ist das ein unerwartetes Geschenk. Denn er gönnt dem Thema dieses Satzes nicht viel Rhetorik, die rezitativische Erregung am Ende geht flüchtig vorüber. Die technische Umsetzung ist atemberaubend leicht: Das von Gould gehasste Passagenwerk wird lässig erledigt, nach Möglichkeit im Orchester versteckt. Dafür sucht er in den simplen Bassfiguren des Rondos nach kontrapunktischen Gegenstimmen und stößt dabei nur bedingt auf Nennenswertes.Darin unterscheidet sich Goulds Transparenz von der Karajans: Karajans Durchsichtigkeit sucht sinnliche Triebmomente, Pulsation, Klang; Gould sucht kontrapunktische Substanz. Dem Beethovenschen Ton kommt Karajan auf seine Art fraglos näher. Er hat keine Probleme damit, elementare Gestalten wuchtig auftreten zu lassen. Gould, der das lapidare Thema eingangs in vierfachen Oktaven zu spielen hat, scheint dagegen die Kraftgeste zu genieren, er eilt am Ende ein wenig und bricht damit das rhetorische Moment, das Karajan kurz zuvor so bestimmt inszeniert hatte, dass der Satz auch dort hätte zu Ende sein können. Nach seinem Auftritt setzte sich Gould in die Aufnahmekabine hinterm Orchester und sah Karajan zu, wie er die Fünfte des damals noch den lebenden Jean Sibelius dirigierte - auch sie ist auf der CD dokumentiert, in einer stürmischen, orchestral zuweilen beinah derben Interpretation. Gould ergriff damals eine große Liebe zu dem Stück, Karajans Aufnahme von 1964 erklärte er zur "Schallplatte für die Insel".------------------------------Beethoven & Sibelius: Gould & Karajan (Sony Classics/SonyBMG).------------------------------Foto: Herbert von Karajan (r.) und Glenn Gould bei der Probe im Mai 1957