Eine Manufaktur in Sachsen fertigt umwerfende künstliche Blumen für die Haute Couture: Blütentuff und Gänsekiel

WALLRODA, 28. April. Camilla Parker Bowles war gut beraten. Während ihrer Trauung in Windsor trug sie zum eleganten eierschalenfarbenen Chasuble einen filigranen gleichfarbigen Hut von Philip Treacy, auf dem ein Strauß Gänsefedern zitterte. Deren Grannen hatte Englands berühmtester Hutmacher bis auf den Kiel zu angriffslustigen Pfeilen gestutzt und in ein Gesteck aus Gänsefedern sortiert. Es handelte sich um ein Gebinde der Kunstblumenmanufaktur Heide Steyer aus dem sächsischen Wallroda. Von dort bezieht Philip Treacy die Aufbauten seiner spektakulären Hüte.Die Schnickschnackgrenze"Die dicksten Blumen kaufen die Araber", sagt Heide Steyer, "und die teuersten." Aber sie lobt auch die prachtvollen Arrangements auf den Hüten der süddeutschen Damen. Die Frauen aus dem Norden sind da zurückhaltender. "Die Mainlinie ist die Schnickschnackgrenze", weiß Heide Steyer. Zusammen mit ihrem Mann Gerald und 22 Angestellten fertigt sie Kunstblumen für die Laufstege der Welt. In einem kleinen Dorf östlich von Dresden wachsen in den Werkstätten eines Vierseithofes handgemachte Blüten aus chinesischer Seide, Schweizer Baumwolle oder Krefelder Samt. Englische Rosen, buttrig wie kurz vor dem Umkippen, zartstängelige Wicken, extravagante Tulpen, liebliche Stiefmütterchen oder königliche Rhododendrontuffs. Wer an zerzauste und angegraute Stoffblumen an den Revers älterer Damen denkt, liegt falsch.Die Steyers sind Meister des schönen Scheins. Ihre leichten Blüten sind so attraktiv, dass berühmte Hut- und Kleidermacher bei ihnen ordern: Schimmernde Schmetterlinge fertigen sie für Borsalino, Orchideen aus Schlangenleder für Joop, Mohn und Chrysanthemen für die Hüte der englischen Königin, und immer wieder Rosen in allen möglichen Pinktönen: Sie sind die Leidenschaft von Britanniens berühmtestem Hutmacher Philip Treacy, der nur für die bisherige Landlady Camilla zu rustikaleren Mitteln griff, Gänsefedern eben."Die Hutmacher der Queen kennen wir schon über 20 Jahre", erzählt Heide Steyer. Während ihr Mann alle Feinheiten des Berufs im elterlichen niedersächsischen Kunstblumen-Betrieb lernte, ist sie Quereinsteigerin. Doch inzwischen kennt sie jeden Kniff. Als die beiden sich 1995 entschlossen, nach Sachsen zu ziehen, haben sie ihren Berliner Betrieb nach über 30 Jahren einfach mit eingepackt. Arbeitswillige gab es genug im Raum Sebnitz.Sebnitz war schließlich mal das Zentrum der Seidenblumenindustrie. Blumenmacher aus Nordböhmen hatten sich dort im 19. Jahrhundert niedergelassen, und lange Zeit wurden Sebnitzer Blumen in der ganzen Welt verkauft. Nach Auflösung der DDR schloss dort der letzte Großbetrieb, die Sebnitzer Kunstblume gibt es inzwischen nur noch im Museum.Heide und Gerald Steyer, die gleich nach der Wende schon Heimarbeiter aus Sebnitz für ihren Berliner Betrieb beschäftigten, fanden auch in Wallroda sofort qualifizierte Mitarbeiterinnen. Ihre Stammkunden haben die Steyers jedoch mitgenommen: die großen Hutfabriken bei London, das Modeunternehmen Escada, den schon genannten Treacy oder auch Steven Jones, der auch für die Pariser Haute-Couture-Schauen arbeitet.Gerald Steyer zeigt auf die mehr als 4 000 so genannten Blumeneisen, die meisten sind historisch. "Nur Kenner wissen, welche Form zu welcher Blüte gehört", sagt er, nimmt ein eisernes Rosenblatt samt Stängel, steckt die Form auf die Stanze und drückt sie auf die in Lagen geschichtete dunkelgrüne Seide. In der Prägemaschine bekommt das Blatt seine Struktur- die Adern, die typische Maserung. Heide Steyer ist für die Farben zuständig. Mit der Hand werden sie auf den zuvor appretierten Stoff aufgetragen. Eine Handvorrichterin bringt mit einer heißen Kugel, dem Höhler, die Wölbung ins Blütenblatt. Formen, binden, kleben, das nennt man Handvorrichten.Nelken fürs KnopflochAm Wochenende nach der königlichen Hochzeit waren Heide und Gerald Steyer in London, wo sie für ihre Kunden einmal im Jahr eine Hotel-Ausstellung machen. Da kam dann auch Philip Treacy persönlich, genauso wie die Hutmacher der Königin. Das französische Modeunternehmen Lanvin schickte Muster aller Hemdenstoffe aus seiner Männerkollektion. Aus denen macht das sächsische Unternehmen Nelken, die sich die Herren statt der klassischen Chrysantheme ins Knopfloch stecken sollen.Die Ausstellung in London war wieder ein voller Erfolg, und auch die Hochzeit in Windsor haben Heide und Gerald Steyer mit Vergnügen gesehen: Mindestens fünf der dort geladenen Damen trugen auf ihren Hüten Garnierungen aus dem Hause Steyer.------------------------------Schmuck für alle Tage Im Mittelalter begannen Nonnen, aus Seide künstliche Blumen herzustellen, um auch im Winter Kirchen und Heiligenbilder mit Blumen schmücken zu können und in heißen Sommern auf frische, aber schnell welkende Blumen verzichten zu können. Außerdem durften nur Seiden- oder Metallblüten als Altarschmuck verwendet werden.Vom 18. Jahrhundert an wurden Blumen immer häufiger in der Mode eingesetzt - zur Verzierung von Kleidern, als Hutgarnituren und für kunstvolle Frisuren. Dabei ging die Blumenherstellung in weltliche Hände über.Mehr Informationen unter: www. steyer-kunstblumen.de------------------------------Foto: Camilla Parker Bowles schmückte sich am Tag ihrer standesamtlichen Hochzeit mit sächsischen Federn am Hut.