Entlang der Spreebögen ist in den vergangenen Jahren neuer Wohnraum entstanden. Vor allem Neuberliner schätzen das grüne Umfeld in Citynähe: Lage mit attraktiven Kurven

Zwischen Gotzkowsky- und Lutherbrücke fließt die Spree in zwei großen Bögen. Nördlich liegt das sozial labile Moabit, südlich erstrecken sich Industriegelände und Neubauviertel. Dennoch werden die vier Uferkilometer auf dem Immobilienmarkt als gute Lagen gehandelt. Seit einigen Jahren erblühen zwischen blauem Ufer und grauer Betontristesse neue bürgerliche Quartiere."Alt-Moabit ist die Grenze", sagt Günther Stach, "dahinter wird es ungemütlich." Mit dem Unternehmen Terrial hat der Immobilienexperte in den vergangenen Jahren 200 hochwertige Wohnungen im Moabiter Reformatorenviertel um Melanchthon- und Calvinstraße konzipiert, gebaut und verkauft. "Hier am Helgoländer Ufer ist eine kleine gutbürgerliche Oase entstanden", sagt Stach. Die Quadratmeterpreise liegen mit 3300 bis 4600 Euro pro Quadratmeter deutlich im gehobenen Preissegment. Vorstände, Beamte und Intellektuelle haben mit ihren jungen Familien die modernen Bauten der Architektin Nicola Schneider-Neudeck bezogen. Neben der Nähe zum Wasser locken sie die guten Energiewerte der Wohnungen, die mit KFW-40 den Standard moderner Energiesparhäuser haben. Mit entsprechenden Bildungseinrichtungen, Musik- und Ballettschulen ist für eine dem Klientel entsprechende Infrastruktur gesorgt. Das Familieneldorado Tiergarten liegt in Steinwurfnähe, das frisch restaurierte Helgoländer Ufer bietet Joggern und Flaneuren beste Bedingungen. Eine Promenade über den Gerickesteg schafft venezianisches Flair. Die Szenerie hält Stach für einmalig: "Wir haben deswegen sogar hin und wieder "Prenzlauer Berg Flüchtlinge, denen der Familienbezirk zu eintönig wurde."Zwischen Schloss Bellevue und GefängnisBerührungsängste mit den nahe gelegenen sozialen Brennpunkten Moabits hat Stach keine: "Das ist eben Berlin, schaut man bei uns nach Norden, steht da das Gefängnis, aber im Süden, da wohnt der Bundespräsident." Das bedeutet indessen nicht, dass die Bewohner des Reformatorenviertels rund um die Turmstraße einkaufen und im nahe gelegenen Stefanskiez alternative Kultur konsumieren. Das passende kulinarische und kulturelle Angebot bietet das weitere Umfeld, denn im Grunde ist man, so Stach, mittendrin: "Rechts liegt der Ku'damm, links die Friedrichstraße, die Szenekneipen in Mitte erreicht man mit dem Fahrrad."Dass wasserbegeisterte Wohnungsinteressenten in Berlin inzwischen großräumiger denken, merkte man auch beim Maklerriesen Engels & Voelkers: Kürzlich wurden drei Wohnungen im Hansaviertel, auf der gegenüberliegenden Seite des Spreeufers, in Windeseile verkauft -obwohl man diese anfangs überhaupt nicht ins Portfolio nehmen wollte. "Wir waren selbst überrascht, wie hoch die Nachfrage in der Gegend in der letzten Zeit war", sagt Anne Riney, Leiterin des Büros Mitte. Die erzielten Preise waren mit denen attraktiver Objekte im Prenzlauer Berg durchaus vergleichbar. "Die Kombination aus Grün und Wasserlage gab den Ausschlag, aber was ebenso für die Kunden zählte, war die zentrale Lage zwischen Ost und West", sagt Riney. Wie auch Günther Stach hat sie beobachtet, dass das Klientel vorwiegend aus "Westlern" besteht. Dass gerade sie sich auf die attraktiven Wasserlagen im geografischen Herzen Berlins kapriziert zu haben scheinen, sieht Riney zum Teil in alten Denkmustern begründet. "Bei vielen scheint es noch gewisse Vorurteile zu geben. Die boomenden Wasserlagen an der Köpenicker Straße in Kreuzberg zum Beispiel werden aus Furcht vor der sozialen Gemengelage abgelehnt." Da bleibe man lieber in sicherer Ku'damm-Nähe. Westberliner dagegen hätten vor allem mit Wohnungen im Osten ihre Probleme und siedelten, wenn es denn am Wasser sein soll, lieber im goldenen Westen als in Friedrichshain oder Köpenick. "Ein bisschen Mauerdenken besteht eben doch noch", sagt Riney.Im Umfeld des Hansaviertels sind jedoch ohnehin nicht nur Wasser, Grün und Lage ein Argument: Die zur Internationalen Bauausstellung 1957 errichteten Einfamilien-, Zeilen- und Punkthäuser, die unter anderem von Oscar Niemeyer, Arne Jacobsen und Alvar Aalto entworfen wurden, gelten seit einiger Zeit wieder als Rosinenlage -vor allem unter Architekturfans und Kreativen. Auch wenn die wenigsten Wohneinheiten über einen direkten Wasserblick verfügen und weder Raumzuschnitte noch Energiestandards auf der Höhe der Zeit sind, genügt den meisten die Gewissheit, in einem echten Designobjekt zu leben, als Argument. Dafür sind sie gegebenenfalls sogar bereit, tief in die Tasche zu greifen: Für 350000 Euro veräußerte Engels & Völkers die letzte verbliebene Wohnung im legendären Eternithaus.Auch am Spreebogen-Center vis-ß-vis des Hansaviertels hat sich mit den Jahren eine eigenständige Wohnkultur entwickelt. Die zwar nicht so recht zu Berlin passen will, aber in sich offenbar gut funktioniert. Das 1994 bis 2001 fertiggestellte und ob seiner "eigenwilligen Architektur" von den Berlinern kritisch beäugte Areal enstand auf einem traditionellen Berliner Gewerbegebiet. Wo einst Bolle seine Milch zapfte, befindet sich heute "ein modernes Medien- und Bürozentrum mit City-Feeling", so die Werbeabteilung der Stadt. Die zuständige Freiberger Grundbesitzverwaltung vermietet hier möblierte Zweizimmerwohnungen. Aufgrund der Infrastruktur des Komplexes, der unter anderem das Bundesministerium des Innern und das Amts- und Verwaltungsgericht beherbergt, hat sich ein hochkarätiges Klientel aus Politik und Wirtschaft angesiedelt. Dennoch regiert hier nicht zwingend unerschwinglicher Luxus: Zwischen 7,50 und 14 Euro pro Quadratmeter beträgt die Nettokaltmiete, für 884,45 Euro gibt es in guter Westlage bereits 71 Quadratmeter warm. Entsprechend mischen sich auf der blitzblanken Piazza und den begrünten Uferwegen normale Anwohner, Regierungsmitglieder, Geschäftsleute, durchtrainierte Jogger und Touristen so einträchtig wie in einer Hochglanz-Immobilienbroschüre. Kindergarten, Seniorenheim, Yacht-Anleger, Hotels, Restaurants, Kiosk, Computershop, Apotheke, Bäcker und Reisebüro sind vorhanden. "Das Quartier wird sich als Wohnstandort noch weiter etablieren", hofft man bei Freiberger. Gerade die Restaurants mit Wasserblick zögen im Sommer Publikum aus anderen Bezirken an und machten so die Vorzüge der Lage immer bekannter.Doch selbst dort, wo kein zusätzlicher Wohnraum entstanden ist, gewinnen die westlichen Spreebögen für das Neu-Berliner Publikum an Attraktivität. So auch an der Gotzkowskybrücke zwei Kilometer weiter westwärts. Hier haben sich zwar die Nicolas Berggruen Holdings und das TU-Institut für Psychologie die besten Lagen vor dem Wohnungsmarkt gesichert. Doch dafür locken Strandcafés Geschäftsleute, Anwohner, Jungfamilien und Jugendliche aus den neuen Quartieren an, die im Schutz der Uferanlage Cocktails und Fingerfood genießen wollen. Die Gastronomie läuft, wie Geschäftsführerin Carrie Gerlach vom Café Zeitlos versichert, bestens.------------------------------Foto (3): Bürgerliches Quartier im Westen: Blick auf das Bundesratufer (li.), Bärenskulptur auf der Gotzkowskybrücke (mi.), Blick auf das Holsteiner Ufer.