Er hat Schloss Wörlitz erbaut und die Königskammern im Berliner Schloss eingerichtet Vor 200 Jahren starb Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff in Dessau: Als wenn ich ein Baumeister wäre

Als Friedrich II., auf dessen Tod man quälend lang hatte warten müssen, 1786 endlich starb, gab der neue König unverzüglich zu verstehen, dass nun einiges anders werden sollte. Aus Sachsen holte Friedrich Wilhelm II. erklärte Feinde seines Vorgängers an den Hof und noch vor Ablauf der Trauerzeit beauftragte er den bereits fünfzigjährigen Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff damit, das Arbeits- und Schlafzimmer des großen Friedrich in Sanssouci neu zu gestalten. Kaum hatte Erdmannsdorff damit begonnen, erhielt er auch den Auftrag, die künftige Wohnung des Königs im Berliner Schloss einzurichten und zu dekorieren: sieben Zimmer, im 2. Stock nach dem Lustgarten zu gelegen. Mit Konzert und Ball wurden sie im November 1788 eingeweiht.Der Auftrag war recht ehrenvoll, und noch 1786 wurde Erdmannsdorff zum Ehrenmitglied der Königlichen Akademie der Künste ernannt. Dennoch hat er sich, wie zahlreiche Briefe an seine Frau zeigen, in Berlin nicht wohl gefühlt, "in dem dürren, flachen, kalten Berlin, wo wir nur Lermen ohne Freude, Staat ohne Wohlleben, Schwelgerei ohne Genuss, Complimente ohne Höflichkeit, Frondiren ohne Begriffe von Recht und Freiheit gefunden haben, wo man nach keinem Wissen fragt, als nach der nouvelle du jour, wo seine eigenen Sachen machen für die einzige Geschicklichkeit gilt". Die klappernden, zeittypischen Antithesen hatten freilich vor allem den einen rhetorischen Zweck, die in Dessau zu-rückbleibende Gattin Wilhelmine davon zu überzeugen, dass ihr häufig abwesender Mann unbedingt wieder nach Rom reisen müsse, um sich dort von den Berliner Strapazen zu erholen. Dennoch war Erdmannsdorffs Unbehagen an der preußischen Hauptstadt gut begründet. Sein Lebenswerk, das aufgeklärte Gartenreich in Wörlitz, war nur gelungen, weil Fürst Franz von Anhalt-Dessau sich rechtzeitig von Friedrich II. getrennt hatte. Zwar nahm man seit dessen Tod vor allem in Fragen der Dekoration die Wörlitzer Anregungen bereitwillig auf. Berlin und der preußische Hof bekannten sich stürmisch zum Klassizismus, um für fast ein halbes Jahrhundert klassizistisch zu bleiben. Dennoch könnte Erdmannsdorff gespürt haben, dass der neue Stil in der großen Stadt einen anderen Charakter bekam. Hier fehlte die innige Verbindung von Nützlichkeit und Schönheit, die in Wörlitz auf unwiederholbare Art geglückt war, und mehr noch fehlte im Zentrum des absolutistischen Machtapparats eine gewisse Leichtigkeit.Erdmannsdorffs außergewöhnliches Lebensglück und der Charme seines Werkes beruhten darauf, dass er Vielerlei, auch Gegensätzliches, zwanglos verband, und mit einer gewissen Lässigkeit zu arbeiten verstand. "Bis jetzt noch lebe ich", schrieb er aus Berlin an die Frau, "in meiner arbeitsamen Einsamkeit, als wenn ich ein Baumeister von Profession wäre. Dafür gedenke ich mich, wenn Gott will, auch der häuslichen Musse recht zu überlassen, wenn ich erst wieder bei Dir, liebste Willy, bin." Die Haltung des aristokratischen Dilettanten hat Erdmannsdorff zeitlebens gepflegt. So passte er gut zu seinem Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der anfangs ein Fürst wider Willen gewesen war. Wegen einer ersten Jugendliebe hatte er auf den Thron verzichten und in England ein bürgerliches Leben führen wollen. Friedrich II. verbot damals die Mesalliance und setzte die Zwangsheirat mit Luise von Brandenburg-Schwedt durch. Immerhin schied Fürst Franz, Repressalien in Kauf nehmend, noch während des Siebenjährigen Krieges aus dem preußischen Militärdienst aus und begann, sein überschaubares Land zu modernisieren. Damit dies mit Verstand geschah, verließ er Dessau am 18. Oktober 1765 und begab sich mit zwölf Freunden und Untergebenen in zwei Kutschen auf die "Grand Tour" durch Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, England und Schottland. Erdmannsdorff war dabei. Eine solche Kavalierstour gehörte zur standesgemäßen Ausbildung. Sie gab jungen Adligen Gelegenheit, an fremden Höfen, in Ballsälen, auf Reitbahnen und Fechtböden ihre Kunstfertigkeit in aristokratischen Umgangsformen zu erproben und zu verfeinern und nebenbei ein paar Kenntnisse aufzuschnappen. Fürst Franz absolvierte das Programm wie üblich und verkehrte auf Reisen vor allem mit seinesgleichen. Eine berühmte Ausnahme ist überliefert. Nach dem Vorbild der reisenden Engländer war der Fürst besonders an den antiken Stätten Italiens interessiert und sicherte sich daher in Rom die Hilfe Johann Joachim Winckelmanns. Winckelmann, dessen Vater im Armenhaus von Stendal gestorben war, hat in einem Brief ihre erste Begegnung geschildert: "Der Fürst von Dessau ist von der Natur geschaffen ein würdiger Bürger und Freund zu seyn, und erhöhet ihn durch seine Geburt, durch seine Gestalt und durch seine einnehmende Herunterlassung. Er ist nicht im Stande lasterhaft zu seyn. Er kam zu mir, um unerkannt zu seyn, allein, mit einem Stabe in der Hand, und wartete in des Cardinals Vorkammer, bis ich mich von dem Card. losgemacht hatte. Ich bin von Dessau, lieber Winckelmann und habe Ihres Beystands nöthig."Trotz der schönen Geschichte mit republikanischer Pointe scheint Winckelmanns Einfluss auf den fürstlichen Geschmack nicht allzugroß gewesen zu sein. Als 1769 beschlossen wurde, das barocke Jagdschloss in Wörlitz abzureißen und ein neues Landhaus an seine Stelle zu setzen, soll der Fürst den Wunsch geäußert haben, es in gotischen Formen zu errichten. Allein der Einspruch Erdmannsdorffs hat ihn davor bewahrt, der in England gerade modisch werdenden Grille zu folgen.Aber auch das schlichte, sparsam verzierte Schloss, das Erdmannsdorff ihm dann errichtete, erinnert außen wie innen an englische Muster wenn auch, wie es sich für einen Herrensitz gehörte, an die des Palladianismus. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich der englische Landadel an den Villen des Vicentiner Baumeisters Andrea Palladio orientiert. Mit seinen ausgewogenen Proportionen und dem korinthischen Säulenportikus gehört das Wörlitzer Schloss zu den wenigen palladianischen Bauten in Deutschland. Der Grundriss und die Anordnung der Räume zeigen, dass Erdmannsdorff nicht ein bestimmtes Vorbild aus einem der großformatigen Musterbücher kopierte. So plante er in der Mitte des Gebäudes einen offenen Innenhof, "eine unversiegliche Quelle der Feuchtigkeit". Dass er dies tat, hängt mit der Vorliebe der Zeit für Archäologie zusammen, durch die man den wahren, in der Antike gefundenen Gesetzen der Schönheit näher zu kommen glaubte. Wahrscheinlich hat Erdmannsdorff das einzige erhaltene Architekturlehrbuch der Antike, Vitruvs "De architectura libri decem", Andrea Palladios 1570 in Venedig erschienene "I quattro libri d architettura" und andere vitruvianische Schriften verglichen und dann versucht, die Raumfolge eines antiken römischen Hauses in Wörlitz zu wiederholen. Die dreieckigen, mit Zahnschnitten verzierten Giebel übernahm Erdmannsdorff aus Stichwerken über die Ruinen von Palmyra und Balbeck. Neben solchen Zitaten des Ältesten, die stets als Zitate erkennbar blieben, fand man im Schloss die modernste technische Ausstattung. So wurde Wasser aus dem Souterrain bis ins Obergeschoss gepumpt.Seiner ästhetischen wie technischen Raffinesse wegen wurde das 1773 eingeweihte Schloss ebenso schnell berühmt wie der es umgebende Landschaftsgarten. Nach dem Willen von Fürst Franz stand er allen Besuchern offen. Beim Lustwandeln waren die Stände vereint. Der Modernisierung und Verschönerung des Gartenreiches und Dessaus dienten die weiteren Bauten Erdmanssdorffs: ein "Armen-, Siechen-, Arbeits-, Zucht- und Gefängnishaus", mit der gut aufklärerischen Inschrift "Den Elenden und Bösen", das Schloss Luisium das Pantheon. All die kleinen Gartengebäude dienten als Reiseerinnerung, sollten die Einbildungskraft der Besucher anregen, sich träumend in andere Länder und Zeiten zu versetzen. Dem menschlichen Vermögen der Fantasie traute man zu, dass es die Heftigkeit der sinnlichen Leidenschaften und die Strenge des Verstandes mildern könne. Sie galt als Agentin der Kultivierung. Im Namen der Fantasie hat Erdmannsdorff auch sein inkonsequentes Verfahren des Zitierens gerechtfertigt. 1766 schrieb er zum Kolosseum: "Da bin ich nun oft recht froh darüber, dass von allem diesem so viel ruiniert ist. Denn wäre es vollständig erhalten, ich würde mir nicht den zehnten Theil soviel dabei selbst denken können." Der zauberische Reiz, den alle Besucher an Wörlitz lobten, widersprach freilich dem Zug zur Prinzipientreue, der im Laufe des 18. Jahrhundert immer stärker wurde. In der Mitte des Jahrhunderts hatten englische Reisende begonnen, die griechische Architektur zu entdecken. Allmählich erkannte man, dass deren Formen und Verhältnisse sich von den römischen stark unterschieden. Die Regeln Vitruvs und Palladios aber gingen wie die gesamte Architektur der Renaissance auf römische Vorbilder zurück. Rasant verloren sie nun an Vorbildlichkeit.Erdmannsdorff hatte in Italien einige der Bewunderer und Entdecker griechischer Baukunst kennen gelernt, ohne aus dem die Zeitgenossen erregenden Konflikt zwischen griechischer und römischer Baukunst Konsequenzen zu ziehen. Seine Übersetzung des Vitruv übergab er, noch vor Abschluss der ersten drei Bücher, seinem Freund und späteren Biografen August Rode. Als die Übersetzung 1796 erschien bot sie einen Überblick über das architekturarchäologische Wissen der Zeit, aber Vitruv hatte bereits jede Autorität verloren. Er galt weiterhin als prominente Quelle, nicht mehr als Gesetzgeber der Baukunst. Erdmannsdorff hatte sympathisch inkonsequent beim Entwerfen stets geglaubt, den Regeln Vitruvs, Palladios und der Griechen zu entsprechen. Doch das war eigentlich unmöglich. Ein Jahr nach Erdmannsdorffs Tod ließ Rode dann auch kaum ein gutes Haar am Wörlitzer Schloss. Es sei viel zu reich verziert, und der glatte Säulenschaft widerspreche den Erfordernissen der Schönheit. Der Baumeister habe "nicht eben auf die glücklichste Weise in diesem seinen Werke den antiken Römischen Geschmack mit dem modernen Italiänischen und Englischen zu vermählen getrachtet". Er hätte aber, so soll der Leser fortsetzen, dem griechischen Geschmack folgen müssen. Gefordert wurde damit der Ausstieg aus der Geschichte als Traditionszusammenhang. Die möglichen Folgen konnte man noch zu Lebzeiten Erdmannsdorffs in Berlin an Friedrich Gillys Entwurf für ein Denkmal Friedrichs des Großen in der Form einer dorischen Tempelanlage studieren: grandiose, konsequent durchgebildete, aber brutal überwältigende Architektur. Erdmannsdorff war es in seiner Inkonsequenz noch einmal gelungen, Tradition und Fortschritt in schönen Formen zu verbinden. Das war wie ganz Wörlitz "ein vorüberschwebender Traum".Erdmannsdorff // Am 18. Mai 1736 in Dresden als Sohn des Königl. Polnischen und Chursächsischen Hausmarschalls geboren.Besucht die Ritterakademie in Dresden und studiert von 1754 bis 1757 in Wittenberg.Ende 1758 tritt er in die Dienste des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau.Reisen: 1761 62 nach Italien, 1763 64 nach England, 1765 67 Grand Tour mit dem Fürsten Franz nach Italien, Frankreich und England, 1770 1771 in die Schweiz und nach Italien; 1775 nach England, 1789 90 zum letzten Mal nach Italien.Schloss Wörlitz, das Hauptwerk Erdmannsdorffs, wird 1769 1773 erbaut.1786 1788 arbeitet Erdmansdorff in Berlin und Sanssouci.Am 9. März 1800 stirbt er in Dessau.