Er heißt Norbert Grupe, er boxte und nannte sich "Wilhelm von Homburg" - jetzt ist er wieder aufgetaucht und erzählt in einem Film über sein Leben: Erinnerungen eines Prinzen
BERLIN, im Januar. Bedarf es der Folter, um das Schweigen eines Boxers zu brechen? Rainer Günzler, dem Moderator des "Aktuellen Sportstudios", mögen solche Gedanken gekommen sein, als ihm Norbert Grupe gegenübersaß. Allzu spitz hatte Günzler gefragt: "Wie fühlen Sie sich nach den fünf Niederschlägen?" Grupe hatte in der Nacht zuvor gegen den Argentinier Oscar Bonavena in Runde drei verloren, fünf Mal hatte er das Knie gebeugt. Er empfand die Frage als unziemlich; er fühlte sich vorgeführt. Er schwieg und Günzler wurde nervös. Der Journalist drehte und wandte seine Formulierungen, doch Grupe hatte nicht mehr als ein verächtliches Lächeln für ihn übrig. Es ist ein Stück Fernsehgeschichte, dieses Interview vom 21. Juni 1969. Und es ist die zentrale Szene im Dokumentarfilm "Der Boxprinz" des Berliners Gerd Kroske. Der Filmemacher hat Grupe aufgespürt, in Los Angeles, wo der Boxer seit Jahren beinahe vergessen lebt. Kroske gelingt es in jenem Moment, in dem er Grupe mit dem alten Interview konfrontiert, gleichzeitig die Selbstvergessenheit und Selbstbezogenheit des Mannes zu dokumentieren, der sich "Prinz Wilhelm von Homburg" nannte. "Der Boxverband hat dich danach gesperrt", sagt Kroske. "Das weiß ich nicht mehr", sagt Grupe. Er ist jetzt 61 Jahre alt.Augenblicklich wird klar, dass Grupe sich nicht an alles erinnern will. Sorgfältig hat er seine Vergangenheit sortiert; Erinnerungen in positive und in negative geteilt. Doch Kroske lockt ihn, mit jenem Feingefühl gewappnet, das Günzler fehlte. Und tatsächlich bricht es aus Grupe heraus. "Dieser eigenmächtige Onanist", beschimpft er einen Ringrichter, der ihn benachteiligte, als er um die Europameisterschaft im Halbschwergewicht boxte. Es ist die Geschichte von Verklärung. Grupe hat niemals seinen Frieden mit Vergangenem machen können. Er hat verdrängt.Niemals gab es einen Faustkämpfer mit ähnlich schillerndem Charakter in Deutschland. Grupes Ausstrahlung war eine brutale, doch er vermengte diese mit Originalität und bemerkenswerter Intelligenz. Er fiel auf die Knie vor einem Ringrichter und flehte um ein gerechtes Urteil; er erklärte das Boxen für ein schwachsinniges Gewerbe. Viel lieber wolle er Dichter werden; sein Vorbild sei Erich Kästner, sagte er. Journalisten nannten ihn den "Box-Beatle", weil er lange Haare trug. Doch mit seinem unterschwelligen Humor, der im Laufe der Jahre Zynismus wich, erinnerte Grupe eher an Frank Zappa.In Kroske, dem Filmer, hat Grupe keinen Ikonografen gefunden. Kroske versteht sich darauf, Widersprüche zu verdeutlichen und Milieus zu porträtieren, die sich nicht jedem öffnen. Fünf Jahre seines Lebens verbrachte Grupe, ein wohl bekannter Flaneur auf der Hamburger Reeperbahn, in deutschen Gefängnissen. Drogen, Huren, Schlägereien, der ganze Klimbim.Allein in KalifornienWomöglich bedarf es eines besonderen Faibles für Exzentriker, um einen wie Grupe interessant zu finden. Werner Herzog, der Regisseur, hat dieses Faible. Als "gemeingefährlich" charakterisiert er den Boxer vor Kroskes Kamera, "ein deutscher Mike Tyson, nur intelligenter", doch im Grunde ein liebenswerter Kerl. Herzog ließ Grupe auftreten im Film "Stroszek", als Zuhälter mit Hang zur Brutalität. Exzentriker, oder besser: Egozentriker, mit solchen Leuten kam Herzog gut aus. Sein bester Hauptdarsteller hieß Klaus Kinski, auch so ein Nicht-Konformer.Grupe mag die Schauspielerei. Er lebt in Kalifornien, spielt kleine Rollen in Filmen und Fernsehserien und kutschiert seine ständige Begleiterin, die Mischlingshündin Sheila, in einem alten VW-Bus durch die Gegend. Ab und zu schaut er in einem Box-Gym in der Nachbarschaft vorbei, blättert in alten Kampfrekorden. Resignativ sagt der Mann, der "Wilhelm von Homburg" war: "Ich bin weich geworden." Er war ein harter Boxer. "Der war der beste Mann, der in Deutschland rumlief", sagt Jürgen Blin im Film, der Europameister, der gut genug war, um gegen Muhammad Ali zu verlieren. Bammel, ja, wirklich: "Bammel hab ich gehabt." Bammel, das heißt Angst, nicht etwa Respekt. So etwas gestehen Boxer selten. Ein internationaler Titel blieb Grupe verwehrt. Blin, der alte Gegner, glaubt zu wissen, warum: "Der hat nicht danach gelebt. Doch der konnte alles." Es klingt nach Wertschätzung, doch darin verbirgt sich ein Vorwurf. Grupe mag das nicht hören. Er wischt es einfach weg. Aber so ist das eben. Mit den peinigenden Erinnerungen.REAL FICTION FILME Inszeniertes Leben - "Der Boxprinz" läuft ab dieser Woche in den Kinos.