Ermittlungspannen beim Doping-Prozeß: Wichtige Protokolle ohne Unterschrift

BERLIN, 8. Juni. Am 16. Tag der Verhandlung gegen vier ehemalige Trainer und zwei Sportärzte des SC Dynamo Berlin wegen Kinderdopings in der DDR sind erneut gravierende Ermittlungspannen zutage getreten. Sie habe das Protokoll ihrer Vernehmung weder zu Gesicht bekommen, geschweige denn gegengezeichnet, berichtete Sabine Siegmund, geborene Gantzkow. Die ehemalige Schwimmerin sagte am Montag gegen ihren früheren Trainer Volker Frischke vor der 34. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts aus. Zuvor war bekannt geworden, daß auch auf dem Vernehmungsprotokoll der Zeugin Manuela Stellmach die schriftliche Bestätigung des Gesagten fehlt. Sylvia Gerasch hatte vor einer Woche in dem Pilotprozeß berichtet, der Vernehmungsbeamte habe sie mit Beugehaft bedroht, was illegal wäre."Aufbaustoffe"Siegmund, die, teilweise gemeinsam mit Stellmach und Gerasch, von 1982 bis 1987 Frischkes Olympiakader angehörte, bestätigte vor Gericht, von ihrem Trainer "hellblaue und rosa Tabletten" bekommen zu haben. Nach Ansicht des Staatsanwaltes handelte es sich dabei um das in der DDR übliche Doping-Mittel Oral Turinabol, ein männliches Hormon. Vermutlich ab Januar 1986 bis zum Ende ihrer Karriere habe sie "Aufbaustoffe" bekommen, sagte die Schwimmerin, die in der DDR zur zweiten Reihe gehörte. In dieser Zeit nahm sie 16 Kilogramm zu und verspürte eine so starke Muskelentwicklung, "daß ich Schwierigkeiten beim Schwimmen bekam". Schmerzhafte Muskelverspannungen gelten als typische Nebenwirkungen des Hormondopings.In einem Trainingslager erkundigte sich die heute 28 Jahre alte Friseurin bei einem männlichen Schwimmer nach den ihr unbekannten Pillen. Raik Hannemann habe ihr damals gesagt, das seien "männliche Hormone". Als die Verteidigung der Zeugin, die mehrfach betonte, daß sie "nicht viel Sinn" in dem Prozeß sehe, unterschiedliche hellblaue Tabletten vorlegte, relativierte sie verwirrt ihre Aussage. Sie erinnere sich nur an "farbliche Tabletten". Auch in diesem Punkt waren die Ermittlungen offensichtlich unprofessionell: Mehrfach haben in dem Prozeß Zeuginnen ausgesagt, daß ihnen statt einer größeren Menge ähnlicher Pillen ausschließlich das fragliche Oral Turinabol zur Identifizierung vorgelegt worden sei.Aussagen revidiertWährend sich trotz der fehlenden Unterschrift die Aussagen von Siegmund weitgehend mit den Angaben deckten, die sie zuvor der Ermittlungsbehörde gemacht hatte, revidierte die andere Zeugin dieses Verhandlungstages ihre Ansicht erheblich. Die heute 26 Jahre alte Industriekauffrau Daniela Hunger, zweifache Olympiasiegerin von Seoul 1988, schloß für sich aus, je Anabolika geschluckt zu haben. Daß sie in einem Protokoll des Sportmedizinischen Dienstes (SMD) der DDR auftaucht, das besagt, ihre und die Dopingproben von Dagmar Hase, Heike Friedrich und Kristin Otto seien vor den Europameisterschaften 1989 in Bonn positiv gewesen, konnte Hunger sich nicht erklären: "Es gibt so viele Spekulationen, darauf gebe ich nichts."Laut Niederschrift hatte sie den Vernehmungsbeamten vor einem Jahr gesagt, sie fühle sich im nachhinein als "Versuchskaninchen". Doch obwohl sie das Protokoll erhalten, handschriftlich korrigiert und unterschrieben hat, sieht sie sich heute falsch interpretiert. Auf ihren ehemaligen Trainer Volker Frischke bezogen, zu dem sie weiter engen Kontakt hält, sagte Hunger: "Weil ich ihm da vielleicht weiterhelfen kann, deswegen bin ich als Zeugin hier." Eine gynäkologische Untersuchung durch den Prozeßgutachter Horst Lübbert lehnten Hunger und Siegmund ab, woraufhin das Gericht sie anordnete. Weil die Vernehmungen länger als geplant dauerten, wurde die Anhörung von Katrin Meißner auf den 22. Juni verschoben.