Herr Brok, sind die Schweizer verrückt geworden? Oder ist das eine verständliche Reaktion?
Das ist schon ein Schlag. Verständlich ist es nicht. Denn die Schweiz hat große Vorteile, weil sie ein Stückchen in die Europäische Union integriert ist. Und sie braucht auch qualifizierte Arbeitskräfte. Die deutsch-sprachigen ländlichen Gebiete waren für die Begrenzung der Zuwanderung. Die städtisch geprägten französischen Regionen waren dagegen. Das ist genau dieselbe Trennlinie, die es zu europäischen Integrationsfragen in der Schweiz immer gibt. Das wird die Zerreißprobe innerhalb der Schweiz erhöhen. Die französisch-sprachigen Gebiete wären ja sogar bereit, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Was sind die Folgen im Verhältnis zur EU?
Die Schweizer wollen den Binnenmarkt. Und man kann nicht einseitig eines der vier Prinzipien des Binnenmarktes herausnehmen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gehört dazu. Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen, sondern wir werden jetzt intensive Diskussionen haben in der Schweiz und mit der Schweiz.
Was heißt intensive Diskussionen?
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Für die Umsetzung gibt es ja drei Jahre Luft. Und wir werden sehen, in welcher Weise die Schweizer jetzt auf uns zukommen werden. Für uns gibt es keine Handlungsnotwendigkeit. Die Schweiz muss das Abkommen mit der EU über Personenfreizügigkeit kündigen. Es darf aber nicht sein, dass sich hier Rosinenpickerei durchsetzt. Wir werden deutlich machen, dass das Votum nicht ohne Konsequenzen bleiben wird. Und daraufhin werden wir weitere Diskussionen in der Schweiz erleben. Ich kann mir vorstellen, dass die Schweizer jetzt selbst erschrocken sind.
Was bedeutet das Ganze für das restliche Europa? Ermuntert das die Nationalisten?
Natürlich wird das Diskussionen geben. Aber innerhalb der Europäischen Union ist ja das Hauptproblem nicht die Binnenwanderung, sondern die Wanderung von außerhalb.
Bei der CSU-Kampagne gegen Bulgaren und Rumänen hat man gesehen, dass da nicht überall trennscharf unterschieden wird.
So ist es. Aber das Frankreich von Marine Le Pen hat kein Problem mit Zuwanderung aus anderen EU-Staaten. Zugleich muss klar sein, dass Arbeitnehmerfreizügigkeit nur gilt, wenn man auch einen Arbeitsplatz hat. Wir können die Bürger bloß gewinnen, solange sie das Gefühl haben, dass das Recht eingesetzt wird, wenn man es missbraucht.
Noch einmal: Wie groß ist Ihre Sorge, dass das Votum chauvinistische Kräfte in ganz Europa stärkt?
Die Gefahr ist groß, dass das im Europawahlkampf eine Rolle spielt. Auch wenn die Schweiz ein Land ist, in das EU-Europäer gehen, wird das nicht trennscharf auseinandergehalten.
Das Gespräch führte Markus Decker.