Weinbar Sacrebleu in Neukölln: Die Natur muss nicht müffeln
Und sie muss nicht mal als Naturwein daherkommen. In Neukölln nennt man das „low intervention wine“. Schmeckt trotzdem. Etwa nach Mirabelle mit Toastaromen.

Letzten September schrieb ich einen harten Verriss über ein Restaurant namens Tisk. Der Küchenchef war dem Restaurant gerade abhandengekommen, der Geschäftsführer im Urlaub, in der Küche Aushilfskräfte am Werk – Dinge, die ich nicht an diesem Abend als Gast erfuhr, sondern erst hinterher.
Ich nahm diese Informationen sogar am Ende meiner Kritik mit auf, um fair darzustellen, warum es offenbar schiefging. Jedoch, so schrieb ich, stand auf der Karte ja auch nicht: „Heute nur Aushilfen da, darum alles zum halbes Preis.“ Mein Job als Kritikerin ist es, mich in den Gast hineinzuversetzen, der sein hart verdientes Geld für einen singulären Abend hinlegt.
Die Kritik löste einen ziemlichen Shitstorm aus, wie man heute so sagt. Die, die meine Texte häufiger lesen, wissen, dass ich ein derart desaströses Zeugnis äußerst selten ausstelle. Dennoch ist es der Text, auf den ich am häufigsten angesprochen werde. Unsere Medienlandschaft funktioniert nun einmal so, dass die Meldung „Hund erschoss Jäger“ Wellen schlägt und nicht, wenn der Jäger ein Tier erlegt.
Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Ahmed Omer Ahmed, so hieß der dem Tisk abhandengekommene Küchenchef, noch da gewesen wäre. Vielleicht wäre ich satt und glücklich nach Hause gewankt, und das Tisk und ich wären heute Freunde. Es ist, wie es ist.

Fokus auf Naturwein
Doch zumindest habe ich nun die Chance zu erfahren, wie Ahmed Omer Ahmed kocht. Denn dieser Koch, der vor dem Tisk bereits im Mrs Robinson’s Station gemacht hatte, hat eine neue Wirkungsstelle: eine kleine Naturweinbar namens Sacrebleu in Neukölln. Ganz ehrlich, normalerweise hätte mich der Fokus auf Naturwein abgeschreckt. Aber da war zum einen Ahmed Omer, auf den ich neugierig war. Und zum anderen die Ansage des Inhabers Alexandre Fleck, dass er hier nur Weine ausschenke, die auch sein Vater trinken würde.
Keine Ahnung, wie alt sein Vater ist – Alexandre Fleck selbst scheint mir höchstens Anfang 30 zu sein. Doch wenn es um Wein geht, zähle auch ich mich zur alten, und damit tendenziell konservativen Fraktion. Ich kann den Hype um die bisweilen orangene Brühe, manchmal eindeutig mit Furzgeruch, nicht teilen. Warum zum Teufel hat die Menschheit Jahrhunderte an der Verfeinerung der Weinmacherkunst getüftelt, frage ich mich!
Das musste jetzt einmal raus, auch wenn das vereinfacht ist. Prinzipiell teile ich natürlich den Weg, Wein möglichst handwerklich und ohne chemische Zusätze sowie brutale Methoden wie Erhitzung oder Schönung herzustellen. Das Gute ist: Fleck widerspricht mir gar nicht. Er stammt aus Paris, in Berlin hat er im Naturweinhandel gearbeitet. Für ihn gibt es keinen schlechten Wein, nur schlechte Weinmacher. Auch er hasse es, wenn Weine stinken, sagt er. Statt Naturwein benutzt er lieber den Begriff „low intervention wine“.

Ich finde Fleck entzückend, nicht nur was seinen französischen Akzent und seine zugewandte, lebensfrohe Art des Services angeht. Diese Inbrunst, mit der er seine Gäste berät und versucht, ihnen das beste Weinpairing zur französischen Küche mit japanischen Einflüssen zu bieten, erlebe ich selten. Manchmal versinkt er regelrecht in sich beim Nachdenken, schließt kurz die Augen, entkorkt eine Flasche, riecht, macht dann wieder auf dem Absatz kehrt, um doch etwas anderes aus dem Weinschrank zu holen.
Gespannt guckt er mich an, während ich den ersten Schluck vom Chablis La Vigne aux Songes nehme, ein Chardonnay so seidig und cremig, sagt er, dass er perfekt das Fett der japanischen Gelbschwanzmakrele imitiere.
Pfeffer-Aubergine mit Kürbis und Wakame-Salat
Der Wein zeigt tatsächlich, wie sauberer Naturwein ohne Fehlaromen schmecken kann. Mirabelle mit dezenten Toastaromen schmecke ich, so schmelzig wie der Teller von Ahmed Omer Ahmed. Die Gelbschwanzmakrele, auch Hamachi genannt, präsentiert der Küchenchef roh wie Sashimi. Darunter sind die Toastaromen in einem öligen Dashi aufgegriffen, aus kleingehacktem, ausgelassenem Speck, mit gerösteten Chili und vermutlich Alge, ähnlich der chinesischen XO Sauce, nur ohne getrocknete Meeresfrüchte hergestellt. Dazu sind etwas Seespargel und eine Physalis für den Säurekontrast kombiniert. Es ist ein Teller mit jeder Menge Umami, allerdings hat die kleine Portion mit 22 Euro auch ihren Preis.
Die Pfeffer-Aubergine mit Kürbis und Wakame-Salat, die Fleck angepriesen hat und die ebenfalls zum Chardonnay passen würde, wie er sagt, ist leider aus. Der kleine, sehr stylische Laden mit seinen geschirrtuchgroßen Tischchen beherbergt heute eine größere Freundesgruppe, die sich offenbar alle für die Aubergine entschieden haben.
Stattdessen bringt Ahmed Omer eine Schwarzwurzel, außen abgeflämmt, innen bissfest und toll kombiniert mit einer japanisch anmutenden Hollandaise aus Kombualge und Matcha als feinstaubigen Kick. Easy Points erntet im Anschluss sein Oeuf Mayonnaise: ein cremiges, gepelltes Ei auf ebenso cremigem Kartoffelbrei, worüber zusätzlich wieder diese herrliche Algenmayonnaise sowie auch eine Nussbutter schmelzen. Gefälliger kann ein Gericht kaum sein.

Dann folgt leider ein Ausreißer: Ein geflämmter Käse, der einfach nur Quatsch ist. Trocken quietscht der „Urstrom Käse aus Brandenburg“, der an Halloumi erinnert, zwischen den Zähnen. Das begleitende Leinöl mit Jasmintee-Infusion schmeckt einfach nur bitter, der Teller macht keinen Spaß.
Allerdings bringt Alexandre Fleck einen tollen Wein dazu: „La Noire“ vom Château de Mérande, ein außergewöhnlicher Cuvée, auf 1250 Metern Höhe angebaut mit viel Charakter und glücklicherweise wenig Tannin, damit er sich nicht mit dem rohen Steak Tartare vom Dry Aged Entrecôte beißt. Handgeschnitten und mit Eigelb und Pilzen vermischt, richtet der Küchenchef es auf einem gerösteten Sauerteigbrot an – mit Shisoblatt, was genial passt. Nur leider ist alles in ein paar Bissen weg.
Was also ist mein Fazit als Kritikerin, die sich in den normalen Gast hineinversetzt? Vielleicht sollten Sie nicht allzu hungrig im Sacrebleu aufschlagen. Oder bereit sein, sich mindestens drei bis vier Teller zu leisten. Dafür sind einige wirklich überraschend und handwerklich perfekt. Was hier aber besonders erfreut, ist das Pairing zwischen Essen und Wein. Und der vor Leidenschaft brennende Gastgeber, der mich mit seiner Leidenschaft für „low intervention“-Weine angesteckt hat.
Sacrebleu, Kienitzer Straße 95, 12049 Berlin, Mo–Sa ab 18 Uhr, Tel. 0174/1916697, sacre.ft.restaurant
Snacks 4-6 Euro, Gerichte 12-22 Euro, Desserts 10-14 Euro