Mit den Kneipen sterben auch die deutschen Gerichte. Schluss damit!
Gaststätten und Landgasthöfe mit deutschen Gerichten sterben aus, auch in Berlin. Unser Koch hält dagegen mit seinem wöchentlichen Rezept.

Dass klassische Kneipen, Restaurants und Landgasthöfe aussterben, ist nichts Neues. Jeder, der gerne am Wochenende durch die Straßendörfer Brandenburgs und Sachsen-Anhalts fährt, der sieht die alten verrotteten Gasthöfe und Kneipen vorbeiziehen. „Deutscher Hof“, „Zum Goldenen Hirschen“, bis kurz nach der Wende hatte noch jeder Ort mindestens eine Kneipe. Nun muss man die Zeit natürlich nicht glorifizieren, machen wir uns nichts vor, wahrscheinlich wurde nicht überall gut gegessen. Aber immerhin.
Die wenigen Lokale, die es noch gibt, bieten meist das gleiche langweilige Allerlei an Jägerschnitzel mit Feuerwehrsoße an. Wo ist der Zwiebelrostbraten, wo sind die traditionellen märkischen Eintöpfe? Übrigens ist das natürlich kein Brandenburger oder Berliner Problem. Überall auf dem Lande verschwinden die Gasthöfe. Im ganzen Cognac unweit von Bordeaux gibt es etwa kein gutes und preiswertes Restaurant mehr.

Auch in der geselligen Lüneburger Heide, lange ein Garant für Landgasthöfe, ist der Niedergang voll im Gange. Die Hauptgründe: Landflucht, Inflation, Pandemie und Personalmangel. Und vor allem: Nirgendwo sind Lebensmittel im Supermarkt im Verhältnis so billig wie in Deutschland. Der Deutsche gibt nur rund ein Zehntel seines Einkommens für Lebensmittel aus.
Das Kneipensterben geht weiter
Schade, vor allem, weil damit auch viele lokale deutsche Gerichte noch mehr in Vergessenheit geraten. In den Städten sind ja schon Pizza, Pasta und Döner zu deutschen Spezialitäten geworden. In manchen Regionen ist es schlimmer als in anderen. In Baden, Oberbayern, teilweise in Westfalen, im Elsass, in Österreich, der Schweiz, im italienischen Südtirol und vor allem – wer hätte das gedacht? – in Südengland findet man mittlerweile noch (und wieder) großartige einfache traditionelle Restaurants und Gasthöfe. Aber auch dort: Es werden weniger.
Der englische König Charles III. setzt sich aktiv gegen das Pub-Sterben im Vereinigten Königreich ein. Man kann von ihm halten, was man will, aber er hat früh erkannt, dass wir Menschen zentrale Orte zum sozialen Austausch benötigen und dass wir den Bezug zum Landleben verlieren. Vor einigen Jahrzehnten, als sich kaum jemand für Biolandwirtschaft und Nachhaltigkeit interessierte, wurde er als liebenswürdiger Spinner betrachtet, weil er sich für ebendiese Dinge einsetzte.
Er, nun Monarch einer altmodischen Staatform, hat es geschafft, Tradition und Innovation zu vereinen. Und das hat auch die Kulinarik nach vorn gebracht. Galt englische Küche lange als die schlechteste Europas, kann man in Kent oder Dorset inzwischen viel besser essen. Die englischen Klassiker wie Sheperd’s Pie, Scotch Eggs, Sunday Roast oder einfach ein gekochtes Hähnchen. Gut gemacht ein Genuss. Und das beste: Die alten Gerichte gehen nicht verloren.

Die englische Küche ist besser als die Deutsche
Eben diesen Ansatz bedarf es nun, um unseren eigenen Traditionen frisches Leben einzuhauchen. Unsere Lebensmittel kommen nun einmal vom Land, und Gastronomien, auch die in den Innenstädten unserer Metropolen, sollten Orte sein, in denen sich das kulinarische Potenzial der regionalen Land- und Fischereiwirtschaft entfalten kann. In der Vergangenheit war dies der Fall, man kochte mit dem, was die Natur und Gärten so hergaben, und so entstanden deftige Gerichte wie allerlei Rouladen und Schmorbraten oder frugale Gerichte wie Kartoffeln mit Quark und Leinöl.
Auch war man damals „nachhaltiger“, und was man heute nose-to-tail nennt, war ursprünglich ganz normaler Alltag. Leber Berliner Art, Kutteln, Lungenhaschee, Saure Nierchen und Saumagen, Presssack, Kalbskopf, Rinderzunge, Sülze und Sauerfleisch waren bekannte Gerichte, oft begleitet von Kartoffeln, Gurken, Wurzelgemüse, Salaten und Sauerteigbrot. Sie erschrecken? Doch gut gemacht sind diese deutschen Speisen wirklich lecker.

Bismarckhering oder Holsteiner Schnitzel und Aal
Ich liebe vor allem die regionalen Klassiker. Der Bismarckhering ist toll. Auch weil der beste Salzhering immer noch aus der kalten deutschen Nordsee kommt. Kennen sie Aal grün? Oder Scholle Finkenwerder Art? Süßsaure Bohnen? Birnen, Bohnen und Speck? Holsteiner Schnitzel?
Mein Kollege Jesko zu Dohna liebt die westfälische Spezialität Spanisch Fricco. Ein wunderbares Schmorgericht (in einer Puddingform gegart) mit Schweinenacken, Kartoffeln, Röstzwiebeln und saurer Sahne. Dazu Rote Beete und Gewürzgürkchen. Man sagt, es stamme aus den Spanischen Niederlanden. Oder wurde von Jérôme Bonaparte, 1807 bis 1813 westfälischer König, am Kasseler Hof gegessen. Sei’s drum. Dieses Gericht darf nicht verlorengehen. Dafür schmeckt es zu gut.
In Berlin sucht man solche Sachen in guter Qualität vergeblich. Die jungen Gastronomen setzen zwar auf exzellente regionale Produkte, aber kochen vor allem internationale Fusionsgerichte. Sie kreieren lieber ihre eigenen Gerichte, meist auf kleinen Tellern, serviert mit den immer gleichen angesagten Zutaten. Stichwort: Trendgemüse Rote Bete. Dabei ist es doch die hohe Kunst, ein traditionelles Rezept perfekt zu servieren, oder?

Kennen Sie das Dessert Berliner Luft?
Wir sehnen uns nach wirklich guten Gasthöfen in Berlin und im Umland. Zählen Sie mir mal zehn Gasthöfe in Berlin auf. Da kommen Sie ins Schwitzen. Wer erklärt sich bereit, Fliederbeersuppe mit Grießnocken, Ofenschlupfer, Berliner Luft (das Dessert, nicht den Likör) oder Königberger Klopse zu restrukturieren, um es im Business-Clown-Bla-Bla unserer Zeit auszudrücken? Wir denken, all diese wunderbaren Gerichte und viele mehr haben es verdient, auf den Karten der Gastronomen zu stehen. Amen! Jetzt erstmal ein Pfirsich Melba als Nervennahrung, wir sind gespannt, was Sie dazu meinen.
Für Sie zum Kochen, gleich jetzt in der nächsten Tagen, ein Gericht, das sich wunderbar als eine Art Sonntagsbraten zubereiten lässt und das noch vor 50 Jahren in jedem Landgasthof auf der Karte stand. Es ist mittlerweile von einem französischen zu einem deutschen Gericht mutiert. Das Bœuf Stroganoff. Wer mag, subsituiert einige der Zutaten und hat schnell ein veganes Gericht. Möglich ist es!

Bœuf Stroganoff auf deutsche Art
Zutaten (für 4 Personen): 600 g Rinderfiletspitzen, 150 g weiße Champignons, 150 g Schlagsahne, 200 ml Rinderbrühe, 1 Glas trockener Weißwein, 4 Essiggurken, 2 EL Perlzwiebeln (ggf. aus dem Essiggurkenglas), 1 gegarte Rote Bete, 2 EL gekochte Senfkörner (optional), 2 EL Schnittlauch, 1 EL Butter, etwas Öl zum Anbraten, Salz und Pfeffer, Cayenne oder edelsüße Paprika, Stärke zum Abbinden
Zubereitung: Es wird alles vorbereitet. Erinnern Sie sich an Johann Lafer, wie er schelmisch in die Kamera schaut? So glücklich soll er Sie anschauen, wenn er sieht, wie toll Ihr Mise en Place ist.
Wir schneiden also die Filetspitzen in mundgerechte Stücke. Die Champignons schneiden wir in circa drei bis vier Millimeter dicke Scheiben, die Essiggurken in lange Stifte, ebenso die Rote Bete. Den Schnittlauch schneiden wir in ganz feine Röllchen. Die Perlzwiebeln und Senfkörner liegen bereit.
Dann kann es losgehen: Wir salzen das Fleisch und braten es in etwas Öl in der Pfanne rundum stark an. Wir nehmen es heraus und legen es erst einmal zu Seite. In derselben Pfanne braten wir nun die Champignons kross an. Wir löschen mit dem Weißwein und lassen ihn zum Großteil verkochen. Dann geben wir die Brühe und die Sahne dazu und kochen alles ein wenig ein. Mit der Stärke können wir dann alles auf die Konsistenz einer Sahnesoße bringen, wenn es notwendig ist.
Beim Einkochen zudem darauf achten, wie salzig die Brühe ist. Haben Sie eine schöne dicke Sahnesoße, geben Sie das Fleisch hinein und garen es darin, je nachdem wie gar sie es wünschen.
Nun die Gurken, Perlzwiebeln, Senfkörner und Schnittlauch (etwas für die Dekoration beiseite legen) dazu und alles erhitzen. Dann schmecken wir mit etwas frischer, kalter Butter, Salz, Pfeffer und etwas Cayenne oder Paprika ab. Die Rote Bete erhitzen wir separat in einer Pfanne oder einem kleinen Topf, so färbt sie die Soße nicht ein (ist aber nur optisch). Sie kommt dann also erst zum Schluss auf den Teller. Garnieren Sie mit etwas Schnittlauch und fertig.
Da es ein recht deftiges Rezept ist, esse ich dazu nur einen knackigen Salat. Aber jeder wie er mag. Welche klassischen Rezepte vermissen Sie? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

Felix Hanika war zunächst Investmentbanker, dann absolvierte er im Hotel & Restaurant Bareiss im Schwarzwald eine Kochlehre. Acht Jahre lang kochte er in den besten Restaurants der Welt. In der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung veröffentlicht er regelmäßig seine Lieblingsrezepte.