Geiler Wein, nur halb so stark: Geht die Idee auf?
Das Berliner Start-up „the gentle wine“ verkauft Wein mit nur sechs Prozent Alkohol: Kann das schmecken? Unser Autor hat die Weinprobe gemacht.

Von Zeit zu Zeit flattern Einladungen zu Weinproben ins Haus. Normalerweise besteht eine Weinprobe darin, dass ein Winzer seine Weine auf den Tisch stellt und zum Probieren auffordert. Über die daneben liegende Preisliste kann man sich dann im Einzelfall mit Jubelfaust in der Hosentasche freuen oder aber sauer das Gesicht verziehen. Das Schwierigste an einer solchen Zeremonie ist der strukturierte Rückzug ohne einen ausgefüllten Bestellschein von Flaschen, die im Keller ganz charmant wirken, deren Inhalt sich zu Hause aber eher als mittelmäßiger Wein entpuppt.
Bei der gegenwärtigen Form der Weinprobe entfallen größtenteils alle der beschriebenen Konventionen. Weder stellt ein Winzer die Weine inmitten einer Menschentraube auf den Tisch, noch hofft jemand darauf, dass diese an Ort und Stelle kistenweise geordert werden. Bestenfalls lässt sich die Bestellung heutzutage ohnehin mit nur wenigen Klicks online abschließen.
Kündigt sich hier nun die nächste progressive Bewegung an?
Nun aber zum wohl größten Unterschied dieser Weinprobe: Die vier Weine, die dem Autor dieses Textes nach Hause geschickt worden sind, enthalten gerade einmal sechs Prozent an Alkohol – und damit gut die Hälfte weniger als normalerweise üblich. „Weinhaltiges Getränk“ steht auf den Etiketten der vier verschiedenen Sorten von the gentle wine, einem Start-up aus Berlin.
Kündigt sich hier nun die nächste progressive Bewegung an? Nach dem Dry January fließt der Alkohol wieder aus Fässern, dafür aber nur mit halber Durchschlagskraft?
Moritz Zyrewitz verfolgt mit seinem Team einen Ansatz, der auf leicht alkoholhaltigem Genuss basiert, am nächsten Morgen aber kaum einen Kater zur Folge haben wird. „Warum muss Wein so viel Alkohol haben? Warum ist es immer noch verpönt, leicht und hochwertig genießen zu wollen?“, ist auf der Website des Start-ups zu lesen. Man wolle „mit dem Alten brechen, aber Traditionen respektieren“.

Doch wie schmecken die einzelnen Weinmischen tatsächlich?
In der Umsetzung bedeutet das konkret, dass hochwertige alkoholhaltige Weine ausgesucht werden, diese durch ein Vakuumverfahren entalkoholisiert und schließlich cuvéetiert, also mit einem traditionellen Wein gemischt werden. Bei the gentle wine geschieht all das mit Partnerwinzern aus Rheinhessen und Spanien. So bleibt der Grundgeschmack eines Weins erhalten, am Ende landen leichte sechs Prozent in der Flasche. Doch wie schmecken die einzelnen Weinmischen tatsächlich?
Die „Pink“-Edition, ein Portugieser aus Ingelheim am Rhein, erinnert farblich an Kupfer, bringt würzige Noten von Karamell und Vanille ins Glas. Rasch entwickelt sich ein erfrischend-vollmundiges Gefühl auf der Zunge – wie bei einem Rosé, nur mit deutlich weniger Alkohol. Durchaus ein sanfter Starter für den Abend, der elegant den Gaumen hinuntergleitet.
Ein bissiger Geschmack
Wer sich danach ein Gläschen der „Weiß“-Variante, ein Verdejo aus Ingelheim am Rhein, genehmigt, bekommt einen kräftigen, fast schon aufdringlichen trockenen Wein, der leicht auf der Zunge prickelt und mit feiner Säure noch länger nachhallt. Erhält das Prädikat „trinkbar“.
Der „Prickelnde“ macht optisch das, was er können muss: Er perlt strohgelb wie ein Schaumwein vor sich hin. In die Nase steigen Aromen von Ananas und Zitrone. Lebhaft und sprudelig, süffig und angenehm zu trinken.
Mit äußerst wahrnehmbaren Nuancen von Himbeere, Pflaume, Kirsche, Cassis und Brombeere setzen die Macher mit der vierten Variation alles auf „Rot“. Der Tempranillo aus Spanien sieht rubinrot, fast schon purpurn aus, riecht nach Sommerfrüchten oder Kompott mit Schokolade, in jedem Fall komplex und schmeckt bissig, am Gaumen vielleicht etwas zu bitter.

Die nächste Weinprobe wird spannend
Ein Blogeintrag von Ende Dezember 2022 informiert, dass Zyrewitz bislang mehr als 15.000 Flaschen der sanften Weine, die zwischen 8,49 und 9,49 Euro kosten, abgesetzt hat. Kürzlich sind mit Stefan Canditt und Tapio Rogler zwei weitere Geschäftspartner eingestiegen. Gemeinsam glaube man daran, „den doch recht konservativen Markt etwas aufzumischen und mit der ‚Low‘-Kategorie den perfekten Punkt im Nerv der Zeit getroffen zu haben“.
Qualität setzt sich bekanntlich durch, und die weisen diese Weine auf. Ob aus „weinhaltigen Getränken“ in den nächsten Jahren ein bundesdeutscher Trend wird, bis in die abgelegensten Winkel, bleibt abzuwarten. Die nächste Weinprobe wird spannend.
Alle Informationen zum Wein unter: https://thegentlewine.com/
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