Gründgens’ Gulaschkanone: das Englische Teehaus im Tiergarten

Das Teehaus im Englischen Garten sieht aus wie ein britischer Landsitz mitten in der City. Herrlich, wie unprätentiös ein Restaurant manchmal sein kann.

Das Englische Teehaus im Tiergarten, erbaut auf dem Fundament von Gustaf Gründgens’ ehemaligem Wohnhaus.
Das Englische Teehaus im Tiergarten, erbaut auf dem Fundament von Gustaf Gründgens’ ehemaligem Wohnhaus.Angela Kroell

Kürzlich war ich zur Eröffnung der neuen Rooftop Bar auf dem Dach des Hotel Zoo Berlin eingeladen. Ein wunderschöner Ort und ein Ereignis, das mich auch im Nachhinein noch beschäftigt. Nicht nur, weil ich meine Sonnenbrille dort habe liegen lassen und seitdem mal wieder nach Ersatz suchen muss, der mir steht. Sondern weil es mir deutlich machte, wie sehr sich Berlin verändert hat.

Von oben auf diese Stadt blicken kann man zum Glück von vielen Orten aus. Meine Kollegen haben Ihnen kürzlich hier die schönsten Dachterrassen Berlins vorgestellt. Das ging vom prominenten Soho House über die kulinarisch solide Restaurant-Terrasse des Stadtschlosses und das Parkdeck des selbst gezimmerten „Klunkerkranich“ bis hin zu eben jenem Hotel-Dachgarten, von dem ich gerade spreche. Alles besuchenswerte Orte, an denen man sehr ordentlich trinken, essen sowie Instagram-taugliche Fotos machen kann.

Bäume aus dem Park von Windsor Castle

Selten jedoch habe ich so abgehobene Szenen erlebt wie auf dem Rooftop des Hotel Zoo Berlin. Filmreif ist schon die Umgebung, die die amerikanische Innenarchitektin Dayna Lee sowie Landschaftsgärtner designt haben. Um die elegante Dachlounge und den Barbereich zu begrünen, haben sie Tonnen von Erde, Pflanzen und sogar Bäume raufgeschafft, teilweise wachsen sie in vertikalen Wänden. In der Rundumverglasung der Terrasse spiegelt sich spätabends das blau-grüne Licht der Stadt. Weil das alles natürlich sehr gelungen aussieht, waren die meisten Gäste auf der Eröffnung mit ihrem Handy beschäftigt. Dabei filmten sie vor allem sich selbst, leicht schräg von oben, das Grün diente als Hintergrund fürs eigene Close-up.

Ich fühlte mich an diesem Abend etwas fehl am Platz, so als wäre ich auf eine Party des Kardashian-Clans geraten, die sie für einen Streamingdienst inszenieren: viele dicke Lippen und Po-Polster sowie Designer-Logos auf den Accessoires. Dazu wurden Austern auf Eis, kleine Sushi-ähnliche Röllchen aus Wagyu-Rind und Gläschen mit Ceviche gereicht, die einen Auszug aus der Karte des hoteleigenen Restaurants Grace repräsentierten, das hier oben für die nächsten Wochen ein Sommer-Pop-up gibt.

Die Häppchen schmeckten gut, auch fand ich den Ort faszinierend und wollte für Sie das Pop-up gerne unter normalen Bedingungen testen. Auf meine Reservierungsanfrage hin erfuhr ich jedoch, dass jeder Gast hier mindestens für 120 Euro konsumieren muss. Bei Nachfrage hieß es, man brauche mehr Planbarkeit angesichts der Investition.

Nun gut, einen gewissen Mindestumsatz kann ich nachvollziehen. Aber 240 Euro, wenn man ohne Stern zu zweit essen gehen will? Da bin ich raus. Ich möchte nicht mal anfangen, darüber nachzudenken, aus wie vielen Gründen ich diese Regelung falsch finde. Mein spontaner Gedanke war: Es gibt garantiert andere Orte in der Stadt, die mindestens so beeindruckend sind.

Daher habe ich umdisponiert und für Sie eine andere Oase gesucht, die gegensätzlicher nicht sein könnte. Ich war im Teehaus im Tiergarten, dieser Teil des Parks heißt Englischer Garten. Der Nachbar ist der Bundespräsident. Das Teehaus sieht aus wie ein britischer Landsitz mitten in der City.

Im Lonely Planet ist es mit dem Hinweis gelistet, die wenigsten Berliner würden dieses zauberhafte, reetgedeckte Haus kennen. Die meisten Bäume auf dem 40.000 Quadratmeter großen Areal des Englischen Gartens stammen aus Großbritannien, manche sogar aus den Parks von Windsor Castle. Sie waren ein Geschenk der Briten nach dem Krieg, weil der Tiergarten kriegsbedingt komplett abgeholzt war. Der britische Außenminister Anthony Eden kam 1952 persönlich zur Einweihung, weshalb dieser wunderbare Fleck bei den Berlinern lange Zeit „Garten Eden“ hieß.

Typische Ausflugsküche

Vor dem Teehaus – das übrigens auf dem Fundament von Gustaf Gründgens’ Wohnhaus errichtet wurde, das einst hier stand – sind symmetrisch bepflanzte Beete mit weißen, rosa und roten Löwenmäulchen und Springbrunnen angelegt. Auf der linken Seite des Hauses steht vor einem Ententeich eine große Open-Air-Bühne, rechts blickt man auf Wiesen, Ahorn und Eichen. Der Ort erinnert an eine Filmkulisse aus „Downton Abbey“, die Karte an ein Gasthaus, in dem man lange nicht mehr darüber nachgedacht hat, was gerade modern ist. Statt alkoholfreier fermentierter Kombucha-Drinks gibt es hauptsächlich Limo und Apfelschorle, statt Bowls und Wagyu-Rind eine typische Ausflugsküche, die sogar aus der Pre-Burger-Ära zu stammen scheint: Als Kleinigkeiten listet sie Dinge auf wie Quiche, Backkartoffel, Tomaten- und Gulaschsuppe, gefolgt von mediterraner Pasta, Flammkuchen und Pizza sowie einigen klassischen Fleisch- und Fischspeisen.

Schön, denke ich, wie ich unter dem Schirm auf der Dachterrasse Platz nehme, dass manche Orte der Veränderung so vehement trotzen. Zumal das Lokal mit seinen 500 Außen- und 100 Innenplätzen anscheinend bestens funktioniert. Einer Reservierungsanfrage für den Abend erteilt der Oberkellner eine Absage.

Leider sei man schon voll, sagt er. Ich bin mittags gekommen und sitze unter Gästen, die so gemischt sind wie sonst nur im Biergarten. Richtig gut etwa schmeckt der Flammkuchen für knapp über zehn Euro, mit Schmand, Speck und Zwiebeln. Der Teig ist zwar nicht selbst gemacht, trotzdem ist er gut und knusprig, hat dick Schmand darauf und schön viel salzigen Speck, damit das Grevensteiner, Veltins oder Maisels vom Fass umso besser weggeht. Von Craft Beer fehlt auf der Karte jede Spur.

Den Wildkräutersalat, den ich zum Flammkuchen bestellt habe, hätte ich mir allerdings sparen können. Unter der Oberfläche von zarten, grünen Blättern verbirgt sich vor allem ein Krautsalat als Sättigungsbeilage. Nicht etwa Kimchi-artig fermentiert oder aus regional bezogenem Weißkraut selbst angesetzt. Nein, direkt aus dem Großmarkt-Eimer und mit viel Zucker angemacht. Dafür aber ist mein Hauptgericht sehr ordentlich.

Die Portionen sind es sowieso. Ein Filet vom Bachsaibling, geschmacklich erinnert der an Lachs. Die Küche servierte den Fisch perfekt innen glasig, zu trocken ist hier ohnehin nichts: Das beiliegende Gemüse aus grünem, angebratenem Spargel schwimmt ebenso wie die Kirschtomaten und Bratkartoffeln in ein und derselben Weißweinsauce. Und die schmeckt. Herrlich, wie unprätentiös ein Restaurant manchmal sein kann. Das unkomplizierte Essen ermöglicht, dass man hier sitzt und einfach die schöne Umgebung genießen kann.


Speisen: Snacks, Vorspeisen und Salate 6,50–13,50 Euro, Pasta, Pizza, Flammkuchen, Vegetarisch, Vegan 10,50–17,50 Euro, Fleisch und Fisch 18,90–27,50 Euro, Desserts 4,20–9,50 Euro.

Teehaus im Englischen Garten, Altonaer Straße 2, 10557 Berlin, Montag bis Samstag ab 12 Uhr, Sonntag und Feiertag ab 10 Uhr, www.teehaus-tiergarten.com, info@das-teehaus.berlin, Tel.: 39 480 400