Café November: Von der Legende zur japanischen Brasserie
Das Café November war eine Institution in Ost-Berlin. Jetzt ist es eine japanische Brasserie und keineswegs weniger toll. Ein Neuanfang.

Bill Clinton war amerikanischer Präsident, Helmut Kohl Bundeskanzler und in Berlin regierte Walter Momper. Im Osten Deutschlands wurden die Bundesländer wieder eingeführt, wie sie vor Gründung der DDR existierten. Und ich habe nachgeschaut: Auch damals war das Benzin teuer. Es kostete 1,38 – allerdings Deutsche Mark. Außerdem wurde die Europäische Union Realität, weil in jenem Jahr der Vertrag von Maastricht in Kraft trat.
Ich spreche von 1993.
Im selben Jahr wurde in Berlin ein Café eröffnet, das sich November nannte. Ein Ecklokal in der Husemannstraße, nahe des Kollwitzplatzes. Die einzige Straße, deren Außenfassade bereits in all ihrer gründerzeitlichen Pracht renoviert worden war, da sie zu DDR-Zeiten die Schleuse für West-Touristen durch den Prenzlauer Berg war.
Das November war 1993 Avantgarde. Es hatte nichts mit einstigen Arbeiter-Eckkneipen gemein, in denen Bockwurst und Bier verkauft wurde. Hier konnte man bis nachmittags frühstücken, sonntags brunchen, zum Lunch Rote-Bete-Suppe mit Dillschmand essen und Matjes mit Bratkartoffeln als Grundlage für die nächtliche Tour durch die legalen und illegalen Clubs der Stadt. Das Stammpublikum war gemischt hetero- und homosexuell, der November-Wirt Holger Glienke betrieb auch noch die Gaybar Perle in der Sredzkistraße.
Ein Krönchen aus Dill
Guckt man sich heute in Instagram-Zeiten die Fotos der Gerichte an, die auf der alten Webseite des November noch im Netz zu sehen sind, denkt man an eine Zeitkapsel, die ins All geschossen wird, um Außerirdischen menschliches Leben zu erklären: Da ist ein Teller mit zwei angetrockneten weißen Toastscheiben, die neben zwei Spiegeleiern und einer Orangenscheibe drapiert sind. Selbstverständlich wurden alle Frühstücksteller mit Obst verziert. Und der Haufen Sahnemeerrettich, der vom Bratkartoffelberg auf den Matjes rutscht, trägt ein Krönchen aus Dill.
Kulinarisch sind wir heute in Berlin in einer anderen Zeit. Das Café November hat lange durchgehalten, als eines der letzten Überbleibsel wurde es geliebt, doch irgendwann während Corona kam das Aus. Auch wenn das Intro für den Nachfolger vom Café November, der sich nur noch November nennt, jetzt länger geworden ist, denke ich, soviel Platz muss sein, um sich gebührend von einer Institution wie dieser zu verabschieden.
Ich freue mich jedoch auch, das neue November zu begrüßen. Es selbst bezeichnet sich als japanische Brasserie. Bei meinem ersten Besuch sitze ich draußen. Von fast ausnahmslos jedem, der an dem Abend vorbeispaziert kam, höre ich ein: „Ach guck mal, wie schick das jetzt geworden ist“. Oder ein: „Wow! Das November sieht ja ganz anders aus.“
Es ist anders. Sehr anders. Mit der Übernahme des Namens sollte dem Kult-Café Tribut gezollt werden. Das war's aber auch schon. Sonst erinnert kaum etwas daran, sieht man davon ab, dass die neuen Betreiber das Wiener Schnitzel von der einst österreichisch-deutschen Karte übernommen haben und in einer japanischen Version anbieten.
Die Holzböden sind jetzt abgezogen, die Wandpaneele weiß lackiert, die Bestuhlung ist Bauhaus. Innen wirkt es frisch, hell und wohlig warm wegen all der Holztöne, aber auch sehr edel. Hinter der Brasserie November steckt „The Catch Family“ – eine Gastronomiegruppe aus Lettland, die bereits mehrere Restaurants in Riga betreibt und eines in Berlin. Das „The Catch“ an der Ecke Mommsen-/Bleibtreustraße, das Sashimi, Sushi, Poké und Gerichte vom Robatayaki-Grill serviert, läuft wie geschmiert.
So frisch wie sonst nur am Hafen
Für mich gibt es keinen Grund, warum das neue November hier nicht ebenso gut einschlagen wird. Denn das Essen, sofern diese Qualität gehalten wird, schmeckt fantastisch. Auch ist das neue Team sehr bemüht, freundlich zu sein und – meist auf Englisch – die Gäste vom neuen Konzept zu überzeugen. Der „Catch“-Gründer Alexander Slobine hat eine internationale Mannschaft zusammengestellt, darunter auch Menschen aus der Ukraine und aus Weißrussland Geflüchtete.
Der Service empfiehlt mir seine Lieblingsgerichte von der Karte, die er mir als eine Fusion aus japanischen Fisch- und Meeresfrüchte-Gerichten und französischen Brasserie-Klassikern beschreibt. Sushi gibt es hier nicht, allerdings eine kleine Auswahl an Nigiri sowie an rohen Fischspezialitäten wie Thunfischbauch-Carpaccio und Tataki vom Lachs. Das Französische scheint sich eher auf die Verwendung von Butter zum briocheähnlichen Toast sowie vielleicht auf ein paar der Hauptgerichte zu beschränken, die auch Entenbrust mit Pak Choi und Brathähnchen mit Limette umfassen.
Ich folge den Empfehlungen meines Kellners und bereue es keineswegs. Er riet mir zu der Dorade, roh und im Ganzen serviert, ihr Filet allerdings bereits im Sashimi-Style perfekt tranchiert. Mit dem Stäbchen picke ich mir die einzelnen Stückchen vom Fischkörper, die ich abwechselnd in eine mit Trüffelöl aufgeschlagene Sojasauce mit Yuzunoten dippe oder – noch lieber – in eine hausgemachte Ponzu-Sauce auf Basis von Zitrusfrüchten.
Am Bauch und Richtung Flosse des Fisches liegen die fettigeren Stückchen, entlang der Mittelgräte mehr Muskelfleisch. Alles ist so frisch, wie man es sonst nur direkt am Hafen bekommt. Ein großartiger Auftakt, zu dem auch die zweite Empfehlung passt, ein Kohlrabi-Salat. Der entpuppt sich als leichtes, aber sehr schlonziges Wohlfühlgericht: ein cremiges Avocadomus am Grund, darauf fruchtig-säuerlich marinierte Spiralen aus Kohlrabi gedrechselt und ein Mix aus Wildsalat und -kräutern mit gerösteten Haselnüssen. An dem Gericht gibt es rein gar nichts zu verbessern.
Auch das Schnitzel, das ich als Hommage ans alte November bestelle, ist gut ausgedacht. Die Japaner haben sogar ein eigenes Wort dafür: Tonkatsu, weil sie es für ihre Küche einfach adaptiert haben. Statt mit feinen Bröseln wird das Kalbfleisch in breitflockigem Pankomehl paniert. Normalerweise wird es beim Rausbacken so besonders luftig. Hier klebt die Panade leider etwas zu fest am sehr dünn geklopften Fleisch. Dafür ist das Umami von den dazu servierten Shiitakepilzen und Schrumpf-Kartöffelchen in einer salzigen Buttersauce eine Wucht. Sie wurde mit Kombu-Alge infusioniert. Wie schön, wenn Dinge sich weiterentwickeln. Für mich bleibt auch das neue November etwas Besonderes.
Speisen: Snacks und Nigiri 4–8 Euro, Rohe Fischspezialitäten 17–25 Euro, Vorspeisen 10–19 Euro, Hauptgerichte 13–27 Euro, Desserts 6–7 Euro
November - japanische Brasserie. Husemannstraße 15, 10435 Berlin, Di–Sa 10–16 Uhr und 18–23 Uhr sowie So 11–17 Uhr, Tel: 0162 3332135 november@thecatchfamily.com
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