Parmesan-Patrouille zur Mittagsstunde

Im „Spreemittag“ auf dem Gelände der legendären Strandbar Kiki Blofeld servieren Grazyna Bukowa und Max Frey ein täglich frisch gekochtes Mittagsmenü. 

Sofia Tachias

Plötzlich ist sie da, die Erinnerung. Wie ich von der Köpenicker Straße zwischen zwei Gebrauchtwagenhändlern hindurch einen schmalen Trampelpfad entlang und an Bauzäunen vorbei Richtung Spreeufer stolperte. Und das Gefühl auch: Ein bisschen wie Alice, die durch ein Erdloch rutschen musste, um in ihr Wunderland zu gelangen.

Nur dass es hier zum „Kiki Blofeld“ ging, jener Strandbar, die nicht wie heute nach Sandkasten für Große mit grüner Bambusumrandung und Becks-Schirmchen aussah. Sondern nach Wildnis und Abenteuer, nach Lagerfeuer und in den Bäumen hängenden Kronleuchtern. Mitten im Wäldchen stand ein Billardtisch, man baumelte in Hängematten, während die Musik aus einem unterirdischen Bootshausbunker wummerte. Genau wie ihr Pendant am anderen Ufer – die Bar25 – verdiente das Kiki Blofeld damals den Titel „legendär“ wirklich.

Ich bin der Einladung einer Freundin zum Lunch gefolgt, einer Architektin, die in einem Gemeinschaftsbüro auf dem ehemaligen Gelände des „Kiki Blofeld“ arbeitet. Eine Baugruppe aus Kreativen hatte das einen Hektar große Areal damals erworben und bebaut. 2011 war Schuss mit dem „Kiki“, seitdem war ich nicht mehr dort. Immerhin haben hier „die Guten die Guten verdrängt“, wie jemand schrieb.

Sofia Tachias

Die drei genossenschaftlichen Häuser sind hübsch begrünt. Es gibt keine betonierten Wege, sondern weiterhin nur hügelige Trampelpfade zwischen den lichten Bauten. Das Ufer ist nach wie vor öffentlich zugänglich. Den ganzen Sommer über drängte meine Freundin, ich solle doch mal vorbeikommen. Seit Corona hätten sie hier einen hervorragenden Mittagstisch, gekocht von Grazyna und Max, die ein Catering am Spreefeld betreiben, wie das Gelände nun heißt.

Jetzt endlich habe ich es geschafft. Wie damals stolpere ich die Pfade entlang. Ich freue mich: Das Bootshaus existiert noch, eigentlich eine unterirdische Bootsanlegestelle, an der einst Patrouillenboote der DDR-Armee gewartet wurden. Auf dessen Betondach, das sich wie eine Terrasse zur Spree erstreckt, sitzen schon die ersten Lunchgäste auf kleinen Gebetsteppichen. Die kann man sich ebenso wie das Mittagessen an der Essensausgabe von „Spreemittag“ zwischen 12.30 und 14 Uhr abholen.

Kartoffelgratin mit Parmesankruste

„Spreemittag“, so nennen die beiden Betreiber Grazyna Bukowa und Max Frey ihr täglich frisch gekochtes Mittagsmenü zum Mitnehmen. Heute gibt es ein Kartoffelgratin mit Parmesankruste und einem grünen Salatmix sowie selbstgebackenen Apfel-Streuselkuchen – für zehn Euro das Ganze. Wer sicher gehen will, etwas zu bekommen, bestellt vorher telefonisch oder im Netz. Sonst einfach hingehen und anstellen.

Max und Grazyna starteten „Spreemittag“, als alle umliegenden Gastronomien lockdownbedingt geschlossen waren, aber viele Anwohner und Arbeitenden trotzdem keine Zeit zum Selbstkochen hatten. Danach war ihr Mittagsangebot nicht mehr wegzudenken.

Max Frey ist eigentlich bildender Künstler. Aber da er als gebürtiger Österreicher auch viele Jahre in Wien hinter sich hat, ist er durch eine gute Genussschule gegangen. Als Koch-Autodidakt hat er seit seiner Ankunft in Berlin schon viele verschiedene Caterings betrieben. 2015 baute er auch eines mit afghanischen und syrischen Geflüchteten auf – und Kurkuma, Curry und Kardamom hielten in seine Gerichte Einzug. Normalerweise jedoch ist eine bodenständige, saisonale Küche mit steirischem Einschlag sein Stil.

Meine Freundin sagt, seine fluffigen Spinatknödel seien eine Wucht. Weil ihn die Gäste immer wieder darum bitten, macht er sie ein paarmal im Jahr. Sonst vermeiden die beiden Betreiber von „Spreemittag“ jedoch allzu viel Wiederholung. Die meisten hier an der Abholstelle sind Stammgäste.

Man sitzt entweder malerisch an ein paar zusammengerückten Tischen auf der Wiese oder am Bootsdach. Bei kaltem oder schlechtem Wetter gibt es die Möglichkeit, im Erdgeschoss des Hauses, in dem sich die „Spreemittag“-Küche befindet, den großen Raum mit Glasfront daneben zu benutzen. Es sei denn, er ist gerade für irgendeine Veranstaltung vermietet. Beim Bau der Häuser hat die Baugruppe festgehalten, alle Erdgeschosse sollen „dauerhaft für öffentliche, geschäftliche, gesellschaftliche, nachbarschaftliche, gemeinschaftliche Nutzungen vorbehalten sein“.

Sofia Tachias

Heute hat nicht Max, sondern Grazyna gekocht, die beiden wechseln sich ab. Grazyna Bukowa ist Polin, sagt über sich, sie koche sich nun seit acht Jahren durch die kulinarischen Welten der französischen, italienischen, polnischen und israelischen Küche. Mal macht sie gebackenen Blumenkohl mit einer Curry-Bechamel und einem Rote-Bete-Ingwer-Salat, mal ein Radicchio-Risotto mit Walnüssen, immer vegetarisch.

Das Blech mit Kartoffelgratin kommt gerade frisch aus dem Ofen. Grazyna schneidet es in großzügige Stücke, verteilt es auf Teller. Dann noch ein bisschen frischer Schnittlauch drauf – und ich nehme es samt Einmachglas mit knackigem Blattsalat an der Ausgabe entgegen. Für das Stück Kuchen muss ich nochmal extra zurücklaufen, weil ich nicht alles auf einmal zum Tisch unter den Bäumen tragen kann. Die Äpfel hat die Köchin am Wochenende bei einer Bekannten im Oderbruch im Garten geerntet. Ein dünner Hefeboden, darauf saure Äpfel und zimtig-süße Streusel. Hausmannskost wie ich sie liebe, ebenso schmeckt das Gratin: gute Kartoffeln, die noch etwas Biss haben, dazwischen befindet sich geronnener Schmand mit frischen Kräutern, oben eine dünne Parmesankruste, in die schwarzer Sesam eingebacken ist. Nichts, was man nicht selber machen könnte, wenn man soviel Zeit hätte. Doch selbst der grüne Salat mit dem klassischen Öl-Apfelessig-Dressing schmeckt hier frischer und besser als so manches Mittagsangebot im Restaurant für das gleiche Geld.

Meine Freundin hat recht. Für dieses Essen lohnt sogar eine etwas weitere Anfahrt. Zudem gibt es hier direkt an der Spree noch immer Ungewöhnliches zu entdecken. Noch immer vermisse ich das „Kiki Blofeld“, aber ich bin jetzt ein wenig ausgesöhnt.

Spreemittag. Dienstag bis Freitag von 12.30 bis 14 Uhr, Wilhelmine-Gemberg-Weg 14, 10179 Berlin, http://spreemittag.com