Restaurant Sword Master Noodle: Wo die Tränen heiß rinnen

Die koreanische Trendnudel Kalguksu hat es nach Berlin geschafft. Höchste Zeit also für einen ausgiebigen Abend mit asiatischer Pasta in Prenzlauer Berg.

Das Signature Dish im Sword Master Noodle: ein „sous vide“ gegartes Short Rib.
Das Signature Dish im Sword Master Noodle: ein „sous vide“ gegartes Short Rib.Viktoriia Vanina

Lange habe ich bei Nudeln vor allem an Italien und seine wunderbaren Pasta-Kreationen gedacht. Über die Jahre habe ich gelernt, Bigoli von Vermicelli, Casarecce von Fusilli zu unterscheiden. Risoni sind reiskornförmige Nudeln, Pizzoccheri, habe ich erst kürzlich herausgefunden, sind Buchweizennudeln und werden typischerweise mit Wirsing, Kartoffeln sowie Käse serviert.

Angeblich soll es allein in Italien bis zu 600 verschiedene Nudelformen geben: gerillte, glatte, längliche, gedrehte, hohle, ausgefüllte, dünne, dicke, runde, eckige, gekringelte, weiche, festere. Genug (Nudel-)Stoff, um bis ans Lebensende immer was Neues dazuzulernen.

Handgezogen und durch die Luft geschleudert

An dieser Stelle muss ich mal vor Bewunderung kurz innehalten: Der Mensch und sein unbedingter Wille zur Erfindung, Verfeinerung und Differenzierung ist doch faszinierend. Selbst bei Nudeln macht er sich diese Mühe! Dieser tief mit dem Menschsein verbundene Drang erstreckt sich über den ganzen Globus.

Denn hat man sich – wie ich – erstmal grob in die italienischen Nudelsorten eingearbeitet, kann man auch schon mit den asiatischen weitermachen. Bis vor einigen Jahren dachte ich tatsächlich, es reiche da, Glas- von Reisnudeln zu unterscheiden. Dann habe ich Mie-, Ramen-, Soba- und Udonnudeln lieben gelernt. Auch das ist nur der Anfang.

Mir scheint, die Vielfalt dort ist keineswegs geringer, eher im Gegenteil. Doch für uns Europäer ist sie allein wegen der Schreibweisen schwer zu durchblicken. In Berlin lernten wir vor ein paar Jahren etwa Biáng-Biáng-Nudeln kennen. Sie kommen aus der Provinz Shaanxi. In chinesischer Schrift verwendet man für sie ein eigenes, seltenes Zeichen. Sein phonetischer Klang ahmt das schmatzende Geräusch beim Essen nach, das sich für chinesische Ohren wohl wie „biáng-biáng“ anhört. Sie werden handgezogen und zunächst als Teigstrang durch die Luft geschleudert. Zum Abflachen klatscht man sie dann auf die Arbeitsfläche.

Fürs Dekor kommt man nicht her: das Sword Master Noodle.
Fürs Dekor kommt man nicht her: das Sword Master Noodle.Viktoriia Vanina

Inzwischen weiß ich auch: Es ist unmöglich, diese gürtelbreiten Nudeln aus Weizenmehl, die in ihrer einfachsten Variante mit heißem Chiliöl übergossen werden, zu essen, ohne sich von oben bis unten einzusauen. Trotzdem ist es das wert. Wer sie noch nicht probiert hat, kann dies bei einer der Filialen von Wen Cheng tun, muss aber dafür Schlange stehen.

Handgemachte Nudeln zählen zu den Food-Großtrends dieser Stadt. Wir in Berlin sind gesegnet. Ohne selbst reisen zu müssen, können wir diese wunderbaren Errungenschaften zu Hause genießen. Neben der Provinz Shaanxi scheint mir auch der Großraum um die 30-Millionen-Stadt Chongqing ein Nudelreich zu sein. Auch von dort erreichte uns in den letzten Jahren eine Vielzahl von würzigen Nudelgerichten, etwa Dandan-Nudeln sowie jede Menge anderer Spezialitäten, die zusammen als xiǎomiàn, manchmal auch Xiao Mian geschrieben, bezeichnet werden. Wörtlich: „kleine Nudeln“.

Hingehen ohne Reservierung

Seit kurzem gibt es in Berlin eine weitere Nudelerrungenschaft: diesmal aus Korea. Ich habe mein Wissen darüber selbst erst kürzlich von einem Gastro-Kollegen weitergereicht bekommen: Der Laden heißt Sword Master Noodle. Die Nudeln nennen sich Kalguksu oder auch Kal-guksu.

Dies lässt sich in etwa als „Messer-Nudeln“ übersetzen, klärte mich der Kollege auf, es bezeichnet eine traditionelle koreanische Nudelsuppe mit reichhaltiger Brühe.

Das Sword Master Noodle ist ein unscheinbarer Laden am nördlichen Ende der Dunckerstraße. Davor war ich bereits zwei-, dreimal daran vorbeigelaufen, ohne zu ahnen, was sich darin verbirgt. Immer war der Laden zu. Das Sword Master, muss man wissen, hat täglich außer montags gerade mal vier Stunden offen, immer ab 17 Uhr, am Wochenende darf man eine Stunde länger sitzen. Auch muss man auf gut Glück einfach hingehen, Reservieren geht nicht.

An einem Donnerstagabend ergatterte ich den letzten freien Tisch. Bis es sich weiter herumspricht, wie fantastisch diese Kalguksu schmecken, bleibt einem also eine Schlange wie bei Wen Cheng erspart.

Hinter Sword Master steht ein Kollektiv um den Koreaner Hyun Wang, der meist selbst in der gläsernen Garküche hochkonzentriert Nudeln fabriziert. Diese sind aus Weizenmehl, es war nicht einfach, hier die richtige Mehlmischung zu finden. Denn diese Nudeln müssen superelastisch sein. Ich habe zugesehen: Wang faltet den ausgerollten, etwa schalbreiten Nudelteig mehrmals übereinander zum Block, wobei er zwischen die Falten Mehl reibt. Dann schneidet er davon mit einer Art extrabreitem Hackmesser dünne Streifen ab, die am Ende wie Tagliatelle aussehen. Die Nudeln werden kurz in Wasser blanchiert, bevor sie anschließend in einer Pfanne mit etwas Öl geschwenkt werden. Erst in der Essschale kommt die jeweilige Brühe mit Einlagen dazu.

In Korea, habe ich nun gehört, gebe es Kalguksu an jeder Ecke. Es sei ein „Streetfood-Ding“, typischerweise wird es mit Hühnerbrühe serviert. Im Sword Master hat man die Wahl zwischen Hühnchen, gegrillten Pilzen, Muscheln und Rindfleisch und dem entsprechenden Sud.

Letzteres, ein sous vide gegartes Short Rib, ist das Signature Dish. Es ist mit Abstand die beste, aber auch teuerste Variante. Dafür kriegt man eine Riesenportion, auch an Umami. Das Fleisch ist mit Zwiebeln, Soja und Knoblauch-Confit durchzogen, der dunkle, karamellige Sud, in dem die Nudeln, mitgegarte Karotten und Kartoffelstücke schwimmen, schmeckt mehr nach Soße als nach Suppe. Achtung: Die Nudeln sind schwer zu greifen, sie flutschen durch die Stäbchen, weil sie so elastisch sind und kein bisschen in der heißen Brühe erweichen. Hat man sie erwischt, überrascht ihr Eigengeschmack, der mich an Spätzle denken lässt.

Spätestens beim hausgemachten Kimchi, der scharf, aber nicht zu scharf ist, laufen die Tränen. Eher vor Glück, weil diese Nudeln mit dem Short Rib eine echte Neuentdeckung sind.


Vorspeisen  4–12 Euro, Hauptgerichte 9–16 Euro

Sword Master Noodle. Dunckerstraße 30, 10439 Berlin.
Die–So, 17 bis maximal 22 Uhr.

instagram.com/swordmaster_noodle