Ember Rooftop in Kreuzberg: Ein so archaisches wie lässiges Gastro-Konzept
Das mystische Pop-Up-BBQ Ember hat für den Sommer eine Dauerresidenz gefunden und setzt weiter auf stromfreie Zubereitung.

Der Aufzug, der mich nach oben bringt, ist alles andere als vertrauenswürdig. Erst tut sich nichts, dann ruckelt es, schließlich setzt er sich ächzend in Bewegung. Vielleicht hätte ich doch lieber die fünf dunklen Stockwerke hochsteigen sollen, in denen Heizkörper und Bauschutt lagern?
Endlich komme ich oben an. Eine junge Frau weist mir den Weg durch eine rote Tür. Dahinter eine andere Welt: Ich stehe in einem lichtdurchfluteten Glashaus, mintgrün leuchten die Rahmen. Wie ein Fremdkörper scheint es auf dem Dach dieses Gebäudes zu schweben.
Es riecht nach Brot, Rauch und Feuer. Denn unter dem offenen Himmel, vor dem Glasbau, ist eine provisorische Outdoorküche auf der Terrasse errichtet. Auf mehreren Grills glimmen heruntergebrannte Holzscheite. Auf einem werden gerade flache Roggenbrotlaibchen geröstet. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich beim Ticketkauf einließ, was wohl so beabsichtigt ist: Das 4-Gänge-Tasting-Menü für 68 Euro hatte ich ausgewählt, reservierbar immer nur Donnerstag und Freitag. Erst nach dem Ticketerwerb erfährt man, wohin genau man kommen darf.
Jetzt, spätestes beim Feuergeruch, weiß ich: Ja, ich bin wirklich bei Ember gelandet. Endlich.
Sagenumwobene Pop-Up-BBQ-Reihe
In England ist Ember ein geläufiger Mädchenname, der sich von dem altenglischen Wort für „Glut“ herleitet. In Berlin steht er seit dem Sommer 2020 für eine sagenumwobene Pop-Up-BBQ-Reihe, bei der auf offenen Feuer gekocht wird und die immer wieder an neuen, versteckten Orten in der Stadt auftaucht.
Glücklich schätzt sich, wer einmal dabei war. Wie Touristen, die es ins Berghain geschafft haben, tragen einige meiner Foodie-Freunde ihren Besuch im Ember vor sich her. Wer dabei war, macht klar: Hey, ich weiß, wie diese Stadt tickt und wie kulinarische Zeitgenossenschaft aussieht: nämlich archaisch, temporär und jedes Mal einmalig.

Gekocht wird bei Ember nicht nur an sehr speziellen Orten und mit offenem Feuer, bisher wurden auch stets alle Gäste zum gemeinsamen Essen an eine lange Tafel gesetzt. Diese stand mal unter einem Kastanienbaum in einem Hinterhof an der Frankfurter Allee, mal an einem See in Schmöckwitz, in einer leergeräumten Etage des Funkhauses in der Nalepastraße, dem Archivgebäude in Marzahn und zuletzt in der alten Schaltwarte in Prenzlauer Berg.
Für diesen Sommer ist das nomadische Restaurant nun vorerst sesshaft geworden. Auch sonst gibt es ein paar Neuerungen im Ember-Konzept: Statt acht Gängen wird ein ungezwungeneres 4-Gänge-Menü serviert, die Gäste sitzen nicht an einer langen Tafel, sondern an mehreren Tischen. Alle Speisen werden weiterhin aber nur mit Feuer und ohne Elektrizität gekocht, gerillt und geräuchert.

Geblieben von der Ember-Idee ist auch die überraschende Location, die explizit kein offizielles Restaurant ist, was den magischen Eventcharakter ausmacht. Letzterer muss auch sein, schon aus rechtlichen Gründen. Denn die Ember-Dinner Reihe firmiert als Veranstaltung, darf daher nur vorab gegen Ticketverkauf und zweimal die Woche erfolgen, braucht aber im Gegenzug dafür keine Gaststättenerlaubnis.
Eine Lizenz hätte es an diesem Ort wohl so ohne weiteres auch nicht gegeben. Dieses architektonisch beeindruckende Glashaus am Dach einer Kreuzberger Hinterhausbaustelle, wo nun schön eingedeckte Tische stehen, firmiert offiziell als Galerie, früher war es mal ein Lehrraum. Die schulähnlichen Holzstühle erinnern daran. Auch die Farbgestaltung kommt mir bekannt vor: Mintgrün, eine Farbe wie oxidiertes Kupfer, wechselt sich als mit lachsfarben ab.
Ein Freund weiß es: Dieser Glasaufbau, der von der Wiener Straße nicht sichtbar ist, wurde von dem Architekten Hinrich Baller gestaltet. Ballers mintgrüne Bauten erkennt man in Berlin, sobald man sie sieht: Die Rosenhöfe, das Wohnhaus am Winterfeldtplatz, das Einkaufszentrum Castello an der Landsberger Allee – sie alle haben organische Formen, mintgrüne Metallstreben, aufschwingende Balkonlinien, spitze Ecken, schiefe Winkel, tiefe Fenster und Räume, die sich in die Natur hin öffnen.
Gekocht wird intuitiv und doch präzise
Hier ist der Glasbau reduzierter gestaltet, geradlinig, ohne rankenhafte Verzierungen, und daher eine umso größere Entdeckung. Beim ersten Seating, das von 18.30 Uhr bis 20.30 Uhr geht, verändert sich langsam das Licht über den Kreuzberger Häuserdächern, ein wunderbares Spektakel, das ich bei einem auf der Terrasse ausgeschenkten Crémant genieße. Rauchwolken ziehen in den Himmel. Der Koch Tobias Beck hat Lamm auf die von ihm konstruierten Grillgestelle aufgelegt, die er mit zu Kohle heruntergebranntem Holz befeuert.
Im zweiten Gang wird er das Lamm wie ein knuspriges Gyros auf einem ebenfalls am Feuer gebackenen, flachen Mais-Taco servieren. Mit süß-sauer marinierten roten Zwiebeln und einer leicht scharfen Mole aus Zucchini, gecrunchter Chili und frischen Blüten wilden Knoblauchs oben drauf. Eine typische Tobias-Beck-Kreation: unverkopft, naturnah und lässig. Der Ember-Gründer kocht intuitiv und dennoch sehr präzise. Vor einigen Jahren hat er als Laie eine Kochshow im ZDF gewonnen, dann ein Praktikum im Kopenhagener Noma gemacht, bevor er für zweieinhalb Jahre in der Küche des Weddinger Ernst stand.

Das Kochen am offenen Feuer entdeckte er in Argentinien, bei Francis Mallmann, seinem Vorbild. Foodies kennen den Sternekoch mit Hut aus der Netflix-Serie „Chef’s Table“, wo er wie ein Pyromane mit wilden, großen Gesten an gigantischen Feuerstellen mitten in freier Natur kocht.
So wild und rau geht es bei Ember nicht zu. Die Outdoorküche ist überdacht, es gibt Edelstahltische als Arbeitsflächen, an denen Becks Team werkelt, sowie zwei japanische Konro-Grills, die sehr hohen Temperaturen standhalten. Von dort kommt der wunderbare Spargel als Auftakt: weiß und grün, kurz angeflämmt und dann erkaltet. Schräg geschnitten als erfrischender Salat präsentiert, am Grund eine zitronig-ätherische Frankfurter Grüne Sauce, die vor Aromen strotzt. Dazu dippt man, sofern man es extra bestellt hat, warmes, oben leicht geschwärztes Fladenbrot in eine Creme aus frischen Erbsen. Maximal naturnah ist auch die Makrele im Hauptgang zubereitet: Die eingeritzte Haut mit Präzision verbrannt, so dass sie knusprige Blasen wirft und herrlich schmeckt. Darunter findet sich ihr fettiges, weiches Filet, dessen Aroma mit leichten Wildkräutern als Salat aufgewogen wird. Und den Abschluss macht ein Dessert, das ich vor 25 Jahren das letzte Mal, aber noch nie so gut gegessen habe. Mehr sage ich nicht.
Nicht genau zu wissen, was der Abend bringt, finde ich persönlich großartig. Vielleicht habe ich schon zu viel verraten. Doch die Atmosphäre bei Ember entwickelt ohnehin jedes Mal ihre eigene, nicht wiederholbare Magie.
4-Gang-Menü 68 Euro inklusive Wasser
Ember Roof Top, die exakte Adresse gibt es bei erfolgter Reservierung: Hinterhaus Wiener Straße 10, 10999 Berlin, nur mit Reservierung Do & Fr 18:30–22:30 Uhr, ember-ofc.com