Restaurant Victor & Victoria in Mitte: Ratlosigkeit an Rouennaise

Berlin-Mitte hat einen neuen Gastrozuwachs bekommen: Das neue Restaurant am Gendarmenmarkt ist pure Geschmackssache. Und das in jeder Beziehung.

Hat in aller Stille am Gendarmenmarkt im Quartier 205 eröffnet: das Victor & Victoria
Hat in aller Stille am Gendarmenmarkt im Quartier 205 eröffnet: das Victor & Victoriavivienne Loi PR/Victor &Victoria

Manche Kritiken sind einfacher, manche schwieriger zu schreiben. Diese hier, das ahne ich schon, wird sehr schwierig. Vergangene Woche wurde ich eingeladen. In das neue Fine Dining Restaurant Victor & Victoria. Ich hatte davon gehört, bisher war keiner meiner Kolleginnen und Foodie-Freunde dort gewesen. Das Victor & Victoria hatte Mitte Januar in aller Stille am Gendarmenmarkt im Quartier 205 eröffnet, gleich gegenüber vom Rausch Schokoladenhaus.

Was ich wusste, war spärlich. Vorab ließen sich kaum Informationen sammeln: Irgendwo hatte ich gelesen, dass es eigentlich im Frühjahr 2021 hätte aufmachen sollen. Wie bei so vielen Projekten der Coronazeit verzögerte es sich. 500 Quadratmeter Fläche, verteilt auf zwei Geschosse, wurden umgestaltet. Unten eine Bar mit Bistrot, das auch tagsüber geöffnet hat, oben ein Fine Dining Bereich mit einsehbarer Küche für den Abend.

Bilderbuch-Karriere der Gastronomie

Auch wusste ich, die Geschäftsführerin war eine gebürtige Russin namens Viktoria Solotar, ihr Mann Bauunternehmer. Für ihr Restaurant hatten sich die beiden Stephan Krogmann als Küchenchef eingekauft.

Zumindest der war in der Gastronomieszene nicht unbekannt: Seine Stationen waren das Sternerestaurant La Vie in Osnabrück; im Hotel Bayerischer Hof München, in der Residenz Heinz Winkler in Aschau sowie im Gästehaus Klaus Erfort in Saarbrücken war er jeweils der Souschef. Und zuletzt arbeitete Krogmann als Küchenchef im ebenfalls besternten Relais & Châteaux Gutshaus Stolpe.

Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch für gehobene Gastronomie.

Gerne folgte ich daher der Einladung einer PR Agentur, die man nun offenbar engagiert hatte, um das abendliche Restaurant offiziell bekannt zu machen. Ich wollte herausfinden, wo das Victor & Victoria sich kulinarisch in Berlin einordnete. Hatte es gar Ambitionen auf einen Stern?

Das Geheimnis hinter Kritiken, die einem einfach von der Hand gehen, ist immer die eigene Klarheit. Je unsicherer man ist, was einem das Restaurant sagen will und was man selbst davon hält, umso schwerer sind sie zu schreiben. Denn letztlich muss ich als Kritikerin alles auf die Frage runterbrechen: Würde ich Sie da zum Essen hinschicken, weil ich denke, es lohnt sich? Besonders bei so ambitionierten Preisen wie hier?

Das ist die Frage aller Frage, die ich begründen und beantworten muss. Ich wünschte wirklich, ich könnte Ihnen nach meinem Besuch ein klares Ja (oder auch Nein) darauf geben. Doch wie eingangs geschrieben: Es ist eine schwieriger, sehr schwieriger Text.

Der Rehrücken mit Sauce Rouennaise stammt von einem Brandenburger Reh.
Der Rehrücken mit Sauce Rouennaise stammt von einem Brandenburger Reh.vivienne Loi PR/Victor &Victoria

Schon optisch ist das Victor & Victoria pure Geschmackssache. Manche Gäste, stelle ich mir vor, sind begeistert vom schwarzen Velourteppich, den plüschigen türkisfarbenen Samtbänken, die als Sitzecken um große schwarze Tische mit goldenen Glastropfen-Leuchtern angeordnet sind. Sie fühlen sich wie im abgekapselten Luxushotel, bei dem die Kulisse draußen zufällig Berlin ist. Dazu passt, dass es eine „Cigar- und Champagner-Lounge“ gibt, mit Glaswand vom Gastraum abgetrennt und dicken Ledersesseln zum Entspannen. Andere dagegen könnten die Einrichtung als viel zu unpersönlich empfinden, etwas zu sehr aus einem Guss. Manch einer sieht darin vielleicht sogar protzigen Russenschick.

Auch wie der Tisch eingedeckt ist, lässt mich unschlüssig zurück: Einerseits gibt es schreckliche silbrige Matten sowie Platzteller, wie sie in den 80ern modern waren. Andererseits hauchdünne Zalto-Gläser, mundgeblasen, von denen jedes fast 50 Euro kostet. Und wunderschön weißes Porzellan, zum Teil von der Berliner Designerin Stefanie Hering gestaltet, auf dem die Gänge gebracht werden.

Etwas seltsam ist auch: Die Essecken sind nicht einfach zu bedienen. Der Service bräuchte meterlange Arme, um den Gast am langen Ende der Tafel zu erreichen. Unser Tisch hilft gerne mit, schiebt mal das Glas näher, reicht den Teller zurück. Trotzdem entschuldigt sich der sehr beflissene Service ständig dafür. Das muss lässiger werden, sonst fühlt man sich unwohl.

Gerichte perfekt umgesetzt, aber ...

Nun aber zum Wichtigsten, wie waren die Teller, die so unter Mühe gereicht wurden? Auch hier wäre ich gerne eindeutiger. Einerseits macht Stephan Krogmann eine technisch aufwendige, komponentenreiche Küche mit Klecksen, Emulsionen und Sphären aus der Zeit des Molekular-Hypes, die mich an die späten 90er denken lässt. Andererseits setzt er neben weitgereisten Edelprodukten wie Kaviar, Trüffel und kambodschanischem Pfeffer auch auf Handfestes aus der Region wie einen Brandenburger Rehbock, Fisch aus der 25 Teiche-Zucht und Domberger Brot.

Handwerklich sind die Gerichte nahezu perfekt umgesetzt, wie ich bereits den drei Fingerfood-Apéro anmerkte: Ein zartes Brickteigröllchen mit ebenso zartem Tartar, Creme fraîche und Sardelle. Ein salziger Baiser aus Fischfond, auf dem eine blasenförmige, bronzefarbene Sphäre mit Pilzcreme sitzt. Sowie ein Löffelchen voll Rauchlachs, Forellenkaviar und Gillardeau-Auster am Grund.

Karamellisierter Rahm, Sucrine, Roggen & Süßholzsirup
Karamellisierter Rahm, Sucrine, Roggen & Süßholzsirup Victor & Victoria

Das alles schmeckte, keine Frage. Doch die Harmonien waren zu eingespielt, als dass sie wirklich im Geschmacksgedächtnis hängen blieben. Das war auch beim ersten Gang der Fall, wo jenseits von Kaviar als Luxusprodukt die Aufregung fehlte: Markrelenfilets roh mit etwas Salz gebeizt im eigenen Dashi, das mit einer Misocreme, süßem Daikon-Rettich in Form einer Blume sowie Klecksen von Baerii Kaviar kombiniert wurde. Die Bergamottenote, die Spannung versprach, fiel zu zart aus.

Darauf folgte das Hauptgericht, mit noch mehr Komponenten, allerdings einem soliden Mittelpunkt: Ein wunderbar saftiges Stück Rehbock, das eine dicke, weiche Kräuterkruste mit kambodschanischem Pfeffer hatte. Das war hervorragend, der Rest Spielerei: Im Uhrzeigersinn ab acht Uhr beginnend fanden sich konfektgroße Beilagen, ein Klecks Selleriemousse, ein Selleriesalätchen mit Cranberrycreme, ein Röllchen Spitzkohl mit Piemonteser Haselnuss, ein Selleriechip sowie eine Sphäre mit feinmoussierter Foie Gras. Lieber eins davon und dafür so viel, dass man es wirklich zusammen mit der tollen Sauce rouennaise genießen kann, die textürlich flüssigem Karamell glich.

Auch die mehrstöckige Dessertkreation, geschichtet aus Rahm, Schnee von weißer Schokolade, einem Blutorangen-Sorbet, geriffelten Chips aus Roggenbrot, einer Creme aus grünem Salat sowie Lakritzpüree wirkte in ihrer Virtuosität etwas retro und hätte auf dem Gipfel der Haute-Cuisine-Zeit ihren Preis abgeräumt.

So bleibt bei mir aber etwas Ratlosigkeit und die Frage, zu welchem Anlass man heute so essen will? Es tut mir leid, diesmal müssen Sie aus all dem Beschriebenen selbst ihre Schlüsse ziehen.


3-Gang-Menü 98 Euro, 5-Gang-Menü 159 Euro, 7-Gang-Menü 185 Euro, A la carte Vor- und Zwischengerichte 34–45 Euro, Hauptspeisen 48–56 Euro, Desserts und Käse 14–22 Euro

Victor & Victoria, Charlottenstr. 59, 10117 Berlin, Bistrot Di–So ab 8 Uhr, Fine-Dining-Restaurant Di–Sa 18.30–23 Uhr; Reservierungszeit 18.30–20.30 Uhr