Forscher beobachten verzückt, dass sich ein Riesenteilchen gemäß der Quantenphysik wellenförmig im Raum bewegt: Das Quantenmännlein von Wien

Brüssel hat sein "Manneken Pis" -jene possierliche Brunnenfigur, die gelegentlich als Wahrzeichen der Stadt herhalten muss. Eine nicht unähnliche Galionsfigur könnte nun auch Österreichs Hauptstadt bekommen -das "Quantenmännchen von Wien". So nennt ein Physikerteam aus der Donaumetropole ein Molekül, dessen Form mit etwas Fantasie Ähnlichkeit mit einem Mann besitzt.Dieses molekulare Männlein ist kürzlich eine enge Verbindung mit der Quantenphysik eingegangen. Denn in der Apparatur der Forscher verhielt sich das Teilchen kurzzeitig wie eine Welle -ein Zeichen dafür, dass es den Regeln der Quantentheorie gehorcht. Das Besondere: Das Quantenmännlein von Wien ist das bislang schwerste Partikelchen, das sich wie eine Welle gebärdet.Seit Jahren stellen sich das Team um Markus Arndt, Professor für Quantennanophysik an der Universität Wien, eine grundlegende Frage: Wie groß kann ein Gebilde maximal sein, um ein eigenartiges Phänomen aus der Quantenwelt zu zeigen -den Welle-Teilchen-Dualismus? Bei diesem Effekt kann das Quant mal als Teilchen, dann wieder als Welle agieren -gewissermaßen ein Zwitter aus Materie und Strahlung. Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass sich der seltsame Dualismus bei extrem winzigen Objekten zeigt, zum Beispiel bei Elektronen, Atomen und Lichtquanten (Photonen). Die Gesetze der Quantenphysik aber legen nahe, dass auch weit schwerere Gebilde dem Welle-Teilchen-Dualismus anheim fallen müssten.Um die Grenze nach oben auszuloten, haben die Wiener Wissenschaftler ein ausgefeiltes Experiment aufgebaut. In dessen Zentrum steht ein langes, luftleer gepumptes Metallrohr, durch das die Quantenteilchen ungestört fliegen, bis sie auf ein Hindernis treffen -ein Gitter mit winzigen, nanometerkleinen Lücken. Für die Quanten wirkt dieses Gitter wie eine Wand mit mehreren Türen. Als Teilchen können die Quanten nur durch eine der vielen Türen fliegen -ebenso wie ein Mensch stets nur durch eine Tür gleichzeitig spazieren kann.Anders ist es, wenn sie in die Gestalt einer Welle schlüpfen. "Dann können sich die Quanten so benehmen, als ob sie durch zwei Türen gleichzeitig gehen", so Arndt auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, die diese Woche in Hannover stattfindet.Mit ihrem "Quanteninterferometer" können die Physiker präzise erkennen, ob das Quant als Welle durch zwei Türen gleichzeitig geschlüpft ist oder nicht. Das verrät ein "Interferenzmuster", ein verräterisches Licht-Schatten-Muster hinter dem Gitter. Im Laufe der Jahre gelang es den Forschern, immer größere und schwerere Teilchen durch ihren Apparat zu schleusen und zu beweisen, dass diese sich wie Wellen verhalten können und damit den Regeln der Quantenphysik gehorchen.Den Anfang machten Fullerene -das sind kugelförmige, aus 60 Kohlenstoffatomen bestehende Moleküle, die exakt die Form eines Fußballs besitzen. Danach folgten organische Moleküle, wie sie als Farbstoffe in der Biologie Verwendung finden. "Wir haben es sogar schon mit Hämoglobin probiert, konnten aber noch keine Quanteneffekte beobachten", erzählt Markus Arndt.Stattdessen präsentieren die Forscher nun einen anderen Clou: ein exotisches Riesenmolekül, das in ihrer Apparatur zumindest ansatzweise seine Quantennatur offenbart hat. Unter dem Spezialmikroskop zeigt das Molekül eine ungewöhnliche Gestalt: Mit insgesamt fünf verschieden langen Ausbuchtungen sieht es aus wie ein Männchen mit je zwei Armen und Beinen sowie einem Hals mit einem Köpfchen drauf. "Am Unterleib ist eine weitere kleine Ausbuchtung zu erkennen", schmunzelt Arndt. "Deshalb sprechen wir von einem Mann."Erfolg mit schwerem MolekülDieses Wiener Quantenmännlein ist nahezu viertausend mal schwerer als ein Wasserstoffatom -und damit das bislang schwerste Molekül, bei dem bewiesen ist, dass es dem Welle-Teilchen-Dualismus gehorcht. Doch in Zukunft wollen die Physiker keine Quantenmänner mehr durch ihre Vakuumröhre schicken, sondern schlichte, winzige Kügelchen aus Metall. Die nämlich wären zwar ebenfalls nanometerklein, doch wegen ihrer hohen Dichte bis zu zehntausend Mal schwerer als das Quantenmännlein. Damit würden sie bestens durch die feinen Gitter passen und dabei aufgrund ihrer kompakten Form weniger anstoßen als langgestreckte Moleküle wie der Quantenmann.Innerhalb der nächsten zwei Jahre könnten erste Ergebnisse vorliegen. Sollte sich dabei zeigen, dass der Welle-Teilchen-Dualismus bei den schweren Metallkügelchen unerwartet gar nicht mehr auftritt, müsste womöglich die wichtigste Formel der Quantenphysik umgeschrieben oder zumindest ergänzt werden -die Schrödinger-Gleichung, benannt nach ihrem Schöpfer Erwin Schrödinger. "Auf seiner eisernen Grabtafel in Tirol ist die Schrödinger-Gleichung aufgeschrieben", erzählt Arndt. "Da wäre noch ein bisschen Platz, um die Formel zu ergänzen."Und die Wissenschaftler planen, ihre Apparatur nicht nur für grundlegende, nahezu philosophische Quanten-Experimente zu nutzen. Das Experiment taugt nämlich im Prinzip auch dazu, bestimmte physikalische Zustände von Molekülen haarklein zu vermessen. Denkbar ist auch, per Quanteninterferometer Nanoteilchen gezielt auf einer Oberfläche zu deponieren, was für die Fertigung künftiger Nanocomputer höchst nützlich sein könnte.------------------------------Welt im KleinenDie Quantentheorie, begründet anno 1900 von Max Planck, beschreibt die Welt im Kleinen, den Kosmos der Atome und Moleküle -und gibt den Physikern Rätsel auf. Denn viele ihrer Merkmale scheinen sich der Anschauung regelrecht zu widersetzen.Der Welle-Teilchen-Dualismus ist eines dieser rätselhaften Phänomene: Ein Atom tritt für gewöhnlich als handfestes Teilchen auf, als winzige Billardkugel. Im nächsten Moment kann es sich wie eine Welle verhalten -eine Materiewelle, verschmiert über Raum und Zeit. Wie Wellen auf einer Wasseroberfläche können die Atome einander verstärken oder auslöschen.Unklar ist bis heute, inwieweit auch große, makroskopische Gebilde dieses Zwittertum zeigen, ob auch Viren, Bakterien oder gar Menschen dem Welle-Teilchen-Dualismus unterliegen.------------------------------Grafik: Doppelsalt-ExperimentFoto: Laut Quantentheorie kann sich ein festes Atom wie eine Welle in Raum und Zeit ausbreiten.