Freundschaftliche Übernahme oder "Arisierung? Eine Erbengemeinschaft stellt Antrag auf Rückgabe des Eigentums: Das ungeklärte Ende des Bankhauses Mendelssohn
BERLIN, im Oktober. Es war nicht viel, was Rudolf Löb vom Bankhaus Mendelssohn geblieben war, als er 1966 in Boston starb: Ein Gruppenfoto der Bankangestellten, Festgedichte und Briefe, die Kopien handschriftlicher Danksagungen der deutschen Reichskanzler Bismarck und von Bülow für das Engagement der Bank. Erinnerungen an eine Welt, aus der Rudolf Löb 1938 von den Nazis vertrieben wurde, weil er Jude war.Der Bankier Löb war im Sommer 1919 als persönlich haftender Gesellschafter in das jüdische Bankhaus Mendelssohn eingestiegen, das zu jener Zeit eine der größten und einflußreichsten Privatbanken Deutschlands war. Knapp zwei Jahrzehnte später, im Herbst und Winter 1938, handelte er unter dem Druck der Nazis und in Absprache mit den anderen Inhabern das vorläufige Ende der Bank aus. Sein Gegenpart war Hermann Josef Abs, der für die Deutsche Bank das Kundengeschäft der Mendelssohns übernahm.Wenig UnterlagenWar es eine freundschaftliche und faire Geschäftsübernahme, wie es die Deutsche Bank nach dem Krieg darstellte? Oder eine "Arisierung" des jüdischen Bankhauses im Auftrag der Nazis, wie kritische Historiker meinen? Seit 1992 muß sich das Berliner Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (LAROV) mit dieser Frage befassen, denn dort liegen gleich mehrere Rückgabeansprüche von Erbengemeinschaften der weitverzweigten Mendelssohn-Familie vor. Für das LAROV bedeutet dies, eine Geschichte aufzurollen, in der die Grenzen von Schuld und Nichtschuld, von Taktieren und Paktieren verschwimmen. Hinzu kommt, daß viele Zeitzeugen verstorben sind und die Quellenlage denkbar schlecht ist.Nazi-Herrschaft und Zweiter Weltkrieg haben vom Bankhaus Mendelssohn kaum schriftliche Zeugnisse hinterlassen. Die im Handelsregister Frankfurt/Main noch auffindbaren Unterlagen über das Unternehmen füllen gerade mal einen Schnellhefter: Ein Registereintrag von 1935 aus dem Amtsgericht Berlin-Charlottenburg; das Protokoll einer Betriebsprüfung vom 10. September 1942; ein Dutzend Briefe aus den Jahren 1935 bis 1945.Doch sollten die Ansprüche der Erben trotzdem durchkommen und der Beweis erbracht werden, die Deutsche Bank habe seinerzeit die Mendelssohn-Bank "arisiert", kommt der Branchenprimus in Probleme: Dann droht neben dem Imageschaden auch ein erheblicher finanzieller Verlust. Denn die Rückgabeansprüche beziehen sich nicht nur auf die im Ostteil der Stadt liegenden Grundstücke, die das Bankhaus 1939 an das Deutsche Reich veräußern mußte, sondern auch auf das Bankgeschäft, das 1938 von der Deutschen Bank übernommen wurde.Den Grundstein für das Bankhaus Mendelssohn hatte Joseph Mendelssohn im Jahre 1795 mit der Errichtung eines Wechsel- und Bankgeschäfts gelegt. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das Unternehmen rasant. Bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts hinein waren die Mendelssohns deutschen Regierungen mit ihren Beziehungen und ihrer wirtschaftlichen Macht mehrfach zu Diensten. Unter anderem gehörten Vertreter der auch international hochgeschätzten Bank der Verhandlungsdelegation an, die nach dem Ersten Weltkrieg mit den Zentralbanken von Frankreich, England, Belgien, Italien und Japan sowie den USA über die Reparationsleistungen Deutschlands beriet. Vorboten der GefahrNach Hitlers Machtergreifung 1933 und der schon bald darauf einsetzenden Übernahme jüdischer Unternehmen durch "arische" Gesellschafter spürte man aber auch im Bankhaus Mendelssohn die Vorboten der Gefahr. Zwar konnten die Bankiers zunächst noch dank ihrer internationalen Reputation vor einem brutalen Zugriff des Staates sicher sein Hitler war klar, daß eine "harte" Arisierung der Mendelssohn-Bank die Kreditwürdigkeit Deutschlands im Ausland schmälern würde.Dennoch nahm der Druck auf die Mendelssohns zu, die Gefahr, das Bankhaus zu verlieren, wuchs von Tag zu Tag. 1938 bat Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht den von den Nazis als "Vierteljuden" eingestuften Robert von Mendelssohn, der mittlerweile die Geschicke der Bank leitete, zu einem Gespräch. Im Auftrage Hitlers drängte Schacht darauf, daß Robert die jüdischen Mitbesitzer der Bank und die nichtarischen Angestellten entlassen solle, um das Haus zu "arisieren".Die Inhaber des Bankhauses hätten sich daraufhin auf zwei Ziele geeinigt, schreibt Rudolf Löb in einem Brief aus dem Jahre 1947: "Einerseits wollte man, wenn irgend möglich, den Namen der alten Firma nicht erlöschen lassen, andrerseits aber wollte man dem Drängen nicht nachgeben, daß neue Teilhaber aufgenommen werden sollten, welche als Vertreter oder auch nur als Vertrauensleute der Nazi-Partei anzusehen gewesen wären." Deshalb einigte man sich darauf, "die Firma jüdischen Namens für unbestimmte Zeit inaktiv (zu machen)".Verhandlungspartner der Mendelssohn-Inhaber war die Deutsche Bank. Und so begannen im Herbst 1938 die Übernahme-Gespräche zwischen Rudolf Löb und dem für das Auslandsgeschäft zuständigen Vorstandsmitglied Hermann Josef Abs, der die Deutsche Bank nach dem Krieg als langjähriger Vorstandschef zum Branchenprimus in der Bundesrepublik hochwirtschaftete.Umstritten ist bis heute, von wem die Initiative für diese Gespräche ausging. Robert von Mendelssohn wie auch Löb bescheinigten nach dem Krieg Abs, daß sie es waren, die auf die Deutsche Bank zugingen. Dokumente aus dem Reichswirtschaftsministerium aber legen den Schluß nahe, daß unter dessen Federführung die Übernahme des Bankhauses durch die Deutsche Bank ausgehandelt wurde.Ende 1938 waren sich Abs und Löb einig: Die Deutsche Bank übernimmt das lukrative Kundengeschäft des jüdischen Hauses sowie dessen arische Mitarbeiter; auch die Pensionszahlungen für ehemalige Angestellte der Mendelssohn-Bank soll fortgesetzt werden, die Deutsche Bank erhält dafür die Pensionskasse des Bankhauses übertragen.Anwälte schweigenAuf der Strecke blieben die jüdischen Mitarbeiter. Auch die nichtarischen Gesellschafter mußten zum Dezember 1938 ausscheiden, einige gingen wie Rudolf Löb ins Ausland. Zurück blieb nur Robert von Mendelssohn, der ab 1939 unter dem Schutz des Reichswirtschaftsministeriums die Firma Mendelssohn & Co. liquidierte von seinem Büro in der Deutschen Bank aus. Als weiterer Liquidator stand ihm in dieser Zeit Ferdinand Kremer zur Seite, ein Abteilungsleiter bei der Deutschen Bank.Rätselhaft bleibt, warum Robert von Mendelssohn das Bankhaus nach dem Krieg nicht mehr aufleben ließ, sondern es weiter abwickelte und die Firma 1981 schloß. Erst 1992 meldete er das Unternehmen erneut zur Liquidation an, um seine Ansprüche auf die Grundstücke des Bankhauses in Ostberlin geltend machen zu können.Julius Schoeps, Professor in Potsdam und Sprecher einer der mit Roberts Familie zerstrittenen Erbengemeinschaften, vermutet "einen Deal" mit der Deutschen Bank. "Robert wurde nach 1945 abgefunden mit der Auflage, das Bankgeschäft der Mendelssohns nicht von der Deutschen Bank zurückzufordern", ist Schoeps überzeugt.In der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt/Main will man sich dazu nicht äußern. Robert von Mendelssohn kann man nicht mehr befragen, er starb 1996. Seine Anwälte in Berlin verweisen auf ihr Schweigegebot. Und auch ein Gespräch mit der Witwe kam zu dieser Frage nicht zustande. Zerstrittene HistorikerSo bleibt die Frage offen: Hat die Deutsche Bank den Mendelssohns in schwerer Zeit fair beigestanden und das Bestmögliche für sie herausgeholt oder nutzte sie die dramatischen Umstände aus, um bei der Übernahme des renommierten Bankhauses den großen Schnitt zu machen? Die Historiker sind zerstritten: Wilhelm Treue bescheinigt in seinen "Mendelssohn-Studien" der Deutschen Bank eine "freundschaftliche Übernahme" des jüdischen Bankhauses; in dem Buch "Die Deutsche Bank 1870 1995" sprechen die fünf Autoren dagegen ohne Umschweife von einer "Arisierung"; und Christopher Kopper, Sohn des früheren Deutsche-Bank-Sprechers Hilmar Kopper, kommt in seiner 1995 veröffentlichten Dissertation zur Bankenpolitik im Dritten Reich zu dem Schluß, daß es sich im Fall Mendelssohn um eine "freundschaftliche Arisierung" durch die Deutsche Bank handele.Im ehemaligen Sitz des Bankhauses Mendelssohn in der Jägerstraße 49/50 in Berlin-Mitte betrachtet man gelassen das Restitutionsverfahren des LAROV. Die Deutsche Handelsbank, die seit 1956 als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch steht, hat sich vor Jahren mit Robert von Mendelssohn "im Rahmen eines notariellen Vertrages hinsichtlich der Rückübertragungsansprüche geeinigt", so die Geschäftsleitung der Bank. Ob dabei auch Geld geflossen ist die Rede ist von einem zweistelligen Millionenbetrag , darüber schweigt die Handelsbank. Auf jeden Fall gehörte zu der Einigung, daß die zur französischen Gruppe "Credit Lyonnaise" gehörende Handelsbank das Gebäude nach den historischen Vorlagen restauriert. Robert von Mendelssohn spendierte dazu die Büste seines Vaters Paul, die seitdem das imposante Treppenhaus der Bank schmückt.