Geduld ist die erste Tugend des Filmkomparsen. Vor allem, wenn er entdeckt werden will: Arme hoch!

Es ist ein Uhr mittags, und es sieht ganz danach aus, als würde es gleich zu regnen anfangen. Verloren steht das Häuflein der Komparsen auf dem tristen Hof vor dem tristen Gebäude und wartet. Techniker schleppen Scheinwerfer und Kabeltrommeln ins Haus, der Regieassistent huscht geschäftig mit dem Drehbuch umher, wichtige Menschen sprechen in ihre Handys, die Komparsen warten. Komparsen warten immer. "Hier stehste rum wie Falschjeld", stellt einer fest. Für Paul Markurt ist das nichts Neues. Er zählt in diesem Kreis schon zu den Altgedienten und durfte während seiner bislang einjährigen Komparsen-Karriere sogar schon mal einen Satz bei "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" sprechen, von dem er allerdings nur in Erinnerung hat, daß er dafür mehr Geld bekam als die 100 Mark, die ein gewöhnlicher Dreh dem Kleinstdarsteller bringt. Bar auf die Hand. "100 Mark sind ja nicht schlecht für einen Schüler", findet er, und wenn man großes Glück hat, sind sie auch schon mal in zwei Stunden verdient. Wenn man weniger Glück hat, muß man, wie es ihm einmal erging, einen ganzen Tag und eine halbe Nacht mit einem Fahrrad "in der Gegend rumstehen, und es hat geregnet wie blöde".Der Film, für den die Komparsen heute einbestellt wurden, hat den spannenden Titel "Ein Mann steht auf" und soll irgendwann im NDR laufen. Es handelt sich um eine Geheimdienststory, und weil Geheimdienstler sich, wie man aus dem Fernsehen weiß, gern insgeheim in verräucherten Szene-Discos treffen, ist die Berliner Szene-Disco Tresor an der Leipziger Straße der Drehort. Die Aufgabe der fünfzehn Komparsen wird es folgerichtig sein, heiße Techno-Atmosphäre zu erzeugen und entsprechend auszusehen.Stefanie Bruder hat zu diesem Zweck ihre dünnste Bluse angezogen und den kürzesten Rock und den rotesten Lippenstift aufgetragen. Es wird sich noch als nützlich erweisen. Für sie ist es der erste Auftritt als Komparsin, und sie hofft, daß es vielleicht der Beginn einer erfolgreichen Schauspielkarriere wird. Für alle Fälle will sie zwar erst mal Germanistik studieren, "aber nur vorläufig", denn an der Schauspielschule ist sie schon zweimal abgelehnt worden. "Wegen Geld wär kellnern besser", weiß sie, aber der Mammon ist ihr nicht so wichtig. "Ich versuche lieber, ein bißchen Einblick zu gewinnen, und irgendwie sieht man vielleicht auch mal ein paar Stars. Die kennenzulernen wär schon toll, aber ich weiß gar nicht, wie ich das anstellen soll."Die erste Stunde ist vergangen. Für die versammelte Komparserie brachte sie als wichtigstes Ereignis, daß sie in einen Nebenraum der späteren Auftrittstätte eingelassen wurde, welcher fast völlig dunkel, aber wenigstens mit ein paar Sesseln ausgestattet ist. Es gibt Kaffee satt und Cola und Fanta kostenlos, eine Spende der Film-Firma zur Erleichterung der Wartezeit. Ein Fragebogen wird ausgeteilt und ein kleiner roter Zettel mit einer Nummer drauf: "Gut aufheben, der ist wichtig für die Abrechnung." Ab und zu kommt der Aufnahmeleiter angerannt und brüllt "Ruhe bitte" in den Raum, und nach einiger Zeit kommt er wieder und brüllt: "Danke". So weiß man, daß nebenan wieder eine Szene abgedreht worden ist. Ohne Komparsen."Wenn sie dich brauchen, holen sie dich wie ein Stück Fleisch", sagt Maurice Giese, "das hab ich mir anders vorgestellt." Er arbeitet eigentlich auf dem Bau und hat einen Urlaubstag für den Termin genommen, weil er mal sehen wollte, "wie so was abläuft". Nebenbei versucht er sich schon seit längerem als Go-go-Tänzer, "aber meist nur in Rostock oder Erfurt". Eine Filmkarriere könnte er sich auch vorstellen, zur Not: "Aber nicht Schauspielschule und so. Wenn einer kommt und sagt, so und so, dich könnten wir gut brauchen, dann okay. Man soll ja nichts auslassen."Im Moment freilich ist der Aufnahmeleiter der einzige, der kommt, aber auch er kann die Komparsen noch nicht gut brauchen. Zwei Stunden sind um. Weiter warten. Den ersten werden die Zigaretten knapp. Paul tröstet sich mit dem Gedanken, daß er sonst auch nur in der Schule rumgesessen hätte. Er hofft nicht darauf, entdeckt zu werden. "Die Lehrer gukken so was zum Glück nicht", meint er. Andere würden ihn schon mal ansprechen, wenn sie ihn im Film gesehen hätten. Aber er ist da ganz cool. Ruhm bedeutet ihm nichts.Es ist auch ziemlich zwecklos, darauf zu hoffen. "Daß man als Komparse entdeckt wird, ist ein Märchen", weiß Jürgen Kling von der Agentur "Wanted", "die Entwicklungsmöglichkeiten sind doch sehr begrenzt." Es ist das Los der Statisten, den vorbeieilenden Fußgänger zu geben oder Kneipenpublikum zu mimen."Wanted" ist eine von fünfzehn Komparsenagenturen in Berlin, die Filmproduktionen mit menschlicher Staffage versorgen. Rund 2 000 Gesichter hat Jürgen Kling in der Kartei respektive im Computer, und wenn dienstags Casting angesagt ist, sitzen meist dreißig oder vierzig neue Interessenten beiderlei Geschlechts im Warteraum, lassen sich fotografieren und beantworten auf einem Formular Fragen nach Gewicht, Schuhgröße, Kragenweite oder Piercings: "Anzahl? Wo? Herausnehmbar ja/nein". Im Prinzip wird jeder genommen; um das Leben als solches darzustellen, braucht man ja nicht nur muskelbepackte Schönlinge und Taillen wie Claudia Schiffer, sondern auch den berühmten einarmigen Stehgeiger. Und genau das ist das Problem: "Gewisse Altersgruppen fliegen einem nicht direkt zu", formuliert Jürgen Kling. Schüler, Studenten oder Rentner, die sich die Zeit vertreiben wollen, gibt es im Überfluß. Dringend gesucht sind dagegen etwa junge oder auch "mittelalte" erfolgreiche, exzellent angezogene Leute, aber die sind bedauerlicherweise meist wirklich im Beruf erfolgreich und verplempern ihre Zeit nicht als Komparse. "Schickt mir eure Eltern", sage ich den Zwanzigjährigen manchmal", gesteht Jürgen Kling. Einmal, erinnert er sich, brauchte eine Filmproduktion einen alten schwarzen weißhaarigen Häuptling. "Wir haben schließlich einen Brasilianer aufgetrieben, der dem ziemlich nahekam." Ab und zu spricht Kling sogar auf der Straße Leute an, die er brauchen könnte, "den Typ verschüchterter Buchhalter, Gauner oder Seemann etwa, so was fehlt uns noch." Wer einigermaßen so aussieht, wie man sich gemeinhin einen Obdachlosen vorstellt, hat schon fast ein Dauerengagement als Komparse sicher. Er darf sich nur nicht rasieren.Es ist viertel fünf. "Laßt uns weitermachen", sagt der Regisseur, und diesmal gilt es auch für die Komparsen. Stefanie hat Glück. Das Auge des Regieassistenten ist wohlgefällig auf sie gefallen, er plaziert sie in der vordersten Reihe, ganz nah an der Kamera und bei den Schauspielern, die an der Bar vor der Komparsen-Kulisse nach Drehbuch knutschen sollen. Eine Maschine speit wabernden Nebel in den Raum, bis die Kleinkünstler endgültig darin verschwunden sind. "Ruhe bitte" brüllt der Aufnahmeleiter wieder, "Kamera läuft" schreit der Kameramann, dann donnert Techno durch die Halle, und das kleine Häuflein Komparserie bemüht sich, durch heftige Bewegung entfesselte Leidenschaft vorzutäuschen. Zuwenig. "Sah noch ziemlich lahm aus", moniert der Regisseur, und er will die Arme oben sehen. Zweiter Anlauf. Stefanie zupft ihre Garderobe zurecht, daß das Notwendigste gerade wieder verdeckt ist, "Musik ab!", und fünfzehn Armpaare fuchteln über den Köpfen im Nebel. "Arme hoch" ruft der Regieassistent, und die Arme fuchteln noch ein bißchen wilder und noch ein bißchen höher, und der Regieassistent mischt sich selbst unter die Arme und fuchtelt ein bißchen mit; er weiß, daß nachher im Film sowieso nichts Genaues zu erkennen sein wird außer Atmosphäre. Nach einer halben Stunde ist der Regisseur mit der Atmosphäre zufrieden, der Nebel darf sich verziehen, die Szene-Disco wird wieder zu einem heruntergekommenen Schuppen, den ein funzliges Licht von der Decke mühsam erhellt. Pause. Draußen hat die Catering-Firma ein warmes Büfett aufgebaut, an dem die Künstler mit vorgehaltenem Teller vorbeidefilieren wie Soldaten beim Essenfassen. Die Komparsen müssen noch warten. "Du kriegst, was runterfällt", konstatiert Go-go-Tänzer Maurice, und man merkt ihm an, daß sich seine Begeisterung für den Dienst als Komparse doch sehr in Grenzen hält. "Das kriegste woanders auch, was man hier verdient", findet er, und künstlerisch war der Job wohl auch nicht die ganz große Herausforderung. "Aber vielleicht mach ich s doch noch mal", überlegt er. Es könnte ja auch mal ganz anders kommen.