Gefängnisnarren
Wer die Plakate für "Easy Jaily" entworfen hat, die "Festivalnacht im Ex-Knast Rummelsburg", der muß sich sehr genau darüber klar gewesen sein, was der Normalbürger auch im Vorhof der Jahrtausendwende noch immer vom Normalkünstler erwartet: "Wild music, wild lyrics, wild drinking", sprich: Krach, Regellosigkeit, Exzesse.Ein Narr soll er sein; er soll hüpfen, Kopfstand machen, sich anstößig herumbalgen mit seinesgleichen, auf daß der Bürger sich zerstreue und um so ruhiger und überlegener in die vertraute Lebenswelt zurückkehre. Oder vielleicht auch nicht? War die Werbung für das Happening hinter Gefängnismauern doch nur ein Augenzwinkern? "Wahrscheinlich einmalige Genehmigung", sprach jemand in der Eingangsbaracke zu den Zaudernden. War am Ende auch diese Behauptung schon von der Ironie durchtränkt, die den Besucher nach der Ableistung von acht Mark Eintrittsgeld aus dunklen Zellenwinkeln fröhlich anlachte? Seine Sehnsucht nach Diskursverweigerung jedenfalls blieb unerfüllt (der Programmzettel listete alle Namen, Orte, Uhrzeiten aller Aktionen auf). Maskeraden wurden gleich wieder als solche denunziert (zwei Audrey Hepburns beispielsweise, im Orange und Grün der 70er, winkten die zudringlichen Zuschauer unter Hinweis auf die doch nun beendete Vorstellung verlegen weiter).Keine sexuellen Ausschweifungen, nicht einmal Trunksucht waren aufzufinden (der Wein war schon am frühen Abend ausgegangen); und so kam es, daß das Publikum, nur schwach gefesselt, eigentlich auf sich selbst zurückgeworfen war. Wer kommt hierher?, fragten die Blicke. Wer ist hier Szene - der mit der nackten Barbie in der Schulterklappe? Wer ist hier Yuppie - der mit dem Handy und den Witzen über das eventuell noch schwierig werdende Verlassen der Knast-Location? Und wer weiß eigentlich, weshalb er hergekommen ist? Weiß überhaupt jemand, weshalb er jetzt zum Beispiel dem "Homer Projekt" in einen engen, langen, mit Weihrauch zum Ersticken angefüllten Gang gefolgt ist und im Gedränge kein Wort von der Lesung vorn versteht? Zuletzt spricht der Dichter seine Visionen in ein Treppenhaus hinab: Investoren verjagt; Berliner Baustellen Ruinen, von Banden polnischer und irischer Arbeitsloser bevölkert. Christo und Jean-Claude, nunmehr im Zwillingsrollstuhl, gießen einen bejubelten Riesenkunstharzwürfel. Touristen strömen zu Hunderttausenden herbei. Nun also doch die Narrenpose. Die schmutzigen Karteikarten unter den Schuhsohlen der Zuhörer beachtet niemand mehr. "Ideologische Grundhaltung", heißt eine der Rubriken; "Arbeitseinsatz" eine andere. +++