Gerd Wessel, der erste Stadtzeichner von Hellersdorf, hat sein Atelier bezogen: Mit dem Skizzenblock unterwegs im Kiez
Von dem etwa zehn Meter langen Balkon mit den beiden begrünten Dachgärten in der fünften Etage hat Gerd Wessel den Überblick: im Vordergrund Stadtvillen aus den 90er-Jahren mit kleinen Mietergärten, rechts Plattenbauten - saniert und unsaniert -, grüne Innenhöfe mit Spielplätzen und Ruhebänken. Ewas weiter links beginnt das Siedlungsgebiet mit kleinen Einfamilienhäusern. "Wenn das keine Motive sind", sagt Wessel.Zwölf Monate mietfreiHellersdorfs erster Stadtzeichner hat gerade sein Atelier an der Louis-Lewin-Straße 67 bezogen. Unter drei Wohnungen der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf (WoGeHe) konnte der 63-Jährige wählen. Er entschied sich für rund 70 Quadratmeter im neuen Viertel am Branitzer Platz. Die zwei zusammenhängenden ehemaligen Gästewohnungen der WoGeHe kann Wessel nun ein Jahr lang mietfrei nutzen. Außerdem bekommt er ein Honorar von 630 Mark monatlich. Die Wohnungsbaugesellschaft will außerdem einige der Werke, die in den nächsten zwölf Monaten entstehen, ankaufen.Wessel, Architekt und Cartoonist, steht für eine Hellersdorfer Kulturtradition. Denn er ist Nachfolger der mittlerweile vier Stadtschreiber. "Jetzt wollten wir aber einmal etwas Neues ausprobieren", sagt WoGeHe-Sprecher Olaf Dietze. Deshalb habe das Unternehmen diesmal nach einem Zeichner gesucht, der das Hellersdorfer Leben in seinen Bildern skizziert. "Gerd Wessel ist genau der Richtige", sagt Dietze.Hellersdorf ist Wessel nicht fremd. Der studierte Architekt, der an der DDR-Bauakademie arbeitete, war Mitte der 80er-Jahre im Planungsteam für die Bebauungskonzeption der Großsiedlung. "Natürlich sehe ich heute manches anders", sagt Wessel. Damals habe man sich vor allem auf Familienfreundlichkeit, auf Licht und Grün orientiert - Blöcke mit ihren großen Wohnhöfen entstanden. "Das städtische Element wurde vernachlässigt", sagt Wessel. Doch er konstatiert, dass sich in dieser Beziehung seit Mitte der 90er-Jahre im Bezirk einiges getan hat: "Das neue Zentrum ,Helle Mitte gefällt mir gerade deshalb ganz gut", sagt er.Wessel freut sich auf seinen neuen Job: "Ich werde oft mit dem Skizzenblock unterwegs sein", kündigt er an. Er sei neugierig auf die Leute und die Landschaft. Auch in Schulen wolle er gehen und mit Kindern über Malerei reden. "Zu gegebener Zeit" werde es eine kleine Ausstellung mit seinen Hellersdorfer Werken geben, "vielleicht sogar gleich in meinem Atelier", sagt Wessel. Der Stadtzeichner wird auch die Sanierung eines ganzen Quartiers mit rund 2 000 Wohnungen begleiten - von der Planung bis zum Abschluss der Arbeiten ist Wessel mit seinem Zeichenstift dabei.Nach vier Schreibern ein Zeichner // Auf die vier Stadtschreiber Michael Wildenhain, Katrin Schmidt, Anja Tuckermann und Arne Roß folgte jetzt zum ersten Mal ein Hellersdorfer Stadtzeichner. Die Kulturtradition wurde 1996 von der Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf (WoGeHe) ins Leben gerufen. Die WoGeHe finanziert auch das Projekt.Gerd Wessel, Jahrgang 1937, lernte Werkzeugmacher und studierte Architektur an der TU Dresden sowie Malerei bei Professor Nerlich. Er ist seit 1964 als Maler, Architekt und Cartoonist tätig und Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler. Der Architekt gehörte Mitte der 80er-Jahre zu dem Planungsteam für die Großsiedlung Hellersdorf. Auch an den Planungen für den Alexanderplatz und den damaligen Leninplatz (heute Platz der Vereinten Nationen) hat er mitgewirkt.Der Stadtzeichner hat am 1. Mai sein Amt angetreten. In den nächsten zwölf Monaten wird er nicht nur das Hellersdorfer Leben skizzieren, sondern auch bei kulturellen Veranstaltungen und bei Beratungen zu städtebaulichen Projekten präsent sein. Er wird die Sanierung eines Viertels künstlerisch begleiten.BERLINER ZEITUNG/WULF OLM Gerd Wessel auf dem Balkon seiner Wohnung in der Louis-Lewin-Straße