Gericht urteilt gegen früheren Grenzschützer: Politoffizier der DDR darf enttarnt werden

BERLIN. Der, dessen Name seit einem Jahr nicht mehr öffentlich genannt werden durfte, darf wieder benannt werden. Er scheute aber gestern die Öffentlichkeit und erschien erst gar nicht vor dem Berliner Kammergericht. Er schickte nur seinen Anwalt Johannes Eisenberg. Zeitungen in diesem Land drohten bislang bis zu 250 000 Euro Strafe oder ersatzweise Ordnungshaft für den Fall, dass sie den Politoffizier X. Y., der im Stab des DDR-Grenzkommandos Treptow diente, bei seinem Namen nannten. Im Bereich dieses Kommandos war am 5. Februar 1989 der 20-jährige Chris Gueffroy erschossen worden. X. Y. hatte danach im Westen eine steile Karriere gemacht und bekleidet heute hohe Ämter bei der Bundespolizei und der Polizeigewerkschaft.Als der Autor und Filmemacher Roman Grafe auf diese Tatsachen in seinem Buch "Deutsche Gerechtigkeit" über die Mauerschützen eher beiläufig hinwies, ließ der einstige Politoffizier das Buch aus dem Siedler Verlag per Landgericht Berlin verbieten. Er wollte sich nicht in einem Zusammenhang sehen mit Maueropfern und Todesschützen. Als Medien über den Rechtsstreit berichteten, ließ H. auch denen die Nennung seines Namens verbieten. Gegen ein drohendes Buch-Verbot protestierten Künstler, Historiker und Politiker wie Erich Loest, Wolf Biermann, Ralph Giordano oder Wolfgang Thierse. In einem Aufruf der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte warnten sie davor, dass moralische Schuld von Verantwortlichen der SED-Diktatur nicht mehr benannt werden dürfe. Auch für diesen Aufruf erwirkte X. Y. eine Unterlassung.Diesem Anonymisierungs-Spuk machte gestern das Kammergericht Berlin ein Ende. Der Ex-Politoffizier darf im Buch wie in Medienberichten wieder genannt werden. X. Y. sei selbst mit Vorträgen an die Öffentlichkeit gegangen, habe in einem TV-Film seine Biografie vorgestellt, so die Richter. "Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hat in diesem Fall Vorrang vor dem Anonymitätsinteresse des Klägers." Revision wurde nicht zugelassen. Doch bevor Medien X. Y. wieder beim Namen nennen dürfen, müssen erst noch diverse Unterlassungsbeschlüsse - auch für die Berliner Zeitung - formell aus der Welt.