Gert Voss und Ignaz Kirchner in "Die Zofen" am Akademietheater Wien: Der Verführer und sein Zerrbild
Ein bisschen fühlte man sich im Akademietheater wie im Urlaub. Es war eine kurze sorglose Auszeit von einer Welt, die pausenlos etwas von einem will und die einem in Österreich gerade besonders viel abverlangt. Österreich ist zurzeit in der seltsamen Situation, etwas bekommen zu haben, was es seit Jahren anpeilt, über das man aber jetzt, wo man es erreicht hat, so erstaunt ist, dass man es vorsichtshalber lieber doch nie hat haben wollen. Bei der Wahl im Oktober 1999 hat sich ein Drittel des Wahlvolkes für den rechtspopulistischen Jörg Haider und seine FPÖ entschieden. Aber nur etwa zehn Prozent wollten, dass er in die Regierung kommt, sagt eine Meinungsumfrage. Ein Arzt müsste in diesem Fall massiven Realitätsverlust diagnostizieren."Die Zofen" Genets strenge Versuchsanordnung, sein Drei-Personen-Sado-Maso-Kammerspiel hatte am Tag der Angelobung der neuen Regierung Premiere. Es ist mehr eine Oase denn ein Stachel im momentanen politischen Desaster, ein lockerer, fast möchte man sagen: ein sektfröhlicher Abend. Eine Vorstellung, die man unbedingt zu Silvester ansetzen sollte. Wie ins Maxim oder ähnlich plüschige Etablissements geht man dorthin, um sich an den Herren Damen zu erfreuen. Eine billige Travestienummer à la "Charlys Tante" aber geben Gert Voss und Ignaz Kirchner nun wieder nicht. Alles Mädchenhafte kommt eigentlich sehr glaubhaft. Voss ist kokett, selbstverliebt und gefallsüchtig wie der junge Mick Jagger. Man sieht ihm gerne zu, wie er sich vor dem Spiegel in Pose wirft, die große Dame spielt, und dann doch sofort wieder erschrockenes Mädchen ist, das nervös, fahrig und kleinlaut wird, wenn es richtig zur Sache geht. Voss und Kirchner sind auch heute noch wie zu Zadeks Zeiten, wie unter Tabori, mit dem sie große Erfolge gerade in Wien feierten, das perfekte komplementäre Paar. Wenn Voss strahlt, ist Kirchner verzagt. Wo Voss ganz naiv offen ist, wittert Kirchner, dass was faul ist. Wo Voss die Brust rausstreckt, beugt Kirchner den Rücken tief. Voss, das ist der klassische Held, der Verführer, und er braucht Kirchner, sein Spiegelzerrbild, den Intriganten, gefährlich, weil er immer und immer zu kurz gekommen ist. Sie bedingen sich gegenseitig. Im Fall von Genet allerdings mehr wie Stan und Ollie oder wie Jack Lemmon und Tony Curtis in "Some Like It Hot".Genets Zofen sind ein mörderisches Geschwisterpaar, sein Stück huldigt der Schönheit des Verbrechens. Jean Genet, der von der Gesellschaft ausgestoßene, im Waisenhaus aufgewachsene Homosexuelle, dreht den Spieß einfach um, er erhebt das Niedrigste an die höchste Stelle und grenzt so die Ausgrenzer mit ihren eigenen Mitteln aus. Das Verworfene ist bei ihm das Schöne und der Dreck das Heilige. Schwierig an dem Stück ist, dass es ein Ritual durchspielt, das letztendlich gluckt was der Regie ein enormes Gefühl für Spannung, für Rhythmus abverlangt. Schwierig ist weiter, dass die Inszenierung permanent zwischen Spiel im Spiel und Spiel, das in tödlichen Ernst zu kippen droht, pendelt. Voss und Kirchner, die in letzter Zeit gerne unter sich bleiben und ohne fremde Regieanleitung spielen (lediglich Ursula Voss hilft dramaturgisch), erfüllen sich genau das, was man von Schauspielern erwartet: schöne, große Rollen spielen. Von Tabori haben sie die Nonchalance, das lockere Laisser-faire mitgenommen, weshalb Voss am Schluss auch nicht tot sein muss, sondern lässig ins Publikum lächeln darf. Einen Regisseur wünscht man sich trotzdem manchmal, zumindest jemand, der den Finger drauflegt und sagt: Das wollen wir uns jetzt aber mal genauer ansehen. Die beiden sind viel zu gut eingespielt, da kommt keine Lust an der Unterwerfung mehr auf, kein Machtgefälle, kein Diener-Herren-Aufbegehren. Stan und Ollie sind eben keine Konkurrenten. Eher fühlt man sich eingeladen in ein Jungmädchenzimmer. Zwar hängen Pferdeposter an den Wänden und man ist auch ganz, ganz lieb zueinander, aber allein zu Hause, wenn die Eltern weg sind, guckt man einen Splatterfilm und malt sich aus, wie es wäre, würde man selbst morden. Vielleicht die Eltern. Und dann kichert man erschrocken. Ungefähr so ist die Stimmung. Kirsten Dene als Madame bricht sie ein wenig. Mehr noch als die Männer ist sie völlige Kunstfigur überhöht und im Vollbesitz ihrer stimmlichen Kraft, stellt sie eine imposante, sehr opernhafte Figur her. Kahlköpfig und lustvoll-grausam, mehr Domina als Femme, mehr Herr als Dame. Richtiges Gender-Spiel kommt aber nicht auf.Noch eine Flasche Champagner, bitte!Genet dreht den Spieß um, er erhebt das Niedrigste an die höchste Stelle : DasVerworfene ist das Schöne und der Dreck das Heilige.