Gespräch: Das war mir ein inneres Lachsbrötchen
Träge steht man am Aufzug, der einen in die Räume des Filmverleihs bringen soll. Vierter Stock. Da muss man nicht laufen. Plötzlich betritt ein Mann das Foyer. Man kann gerade noch erkennen, dass es sich um Christoph Maria Herbst handelt, da ist er schon die Treppenstufen hochgefedert. Vegan lebe er, das halte ihn fit, hat der Schauspieler neulich erzählt. Man sieht ihm die Fitness auch an, so drahtig und braun gebrannt, wie er während des Interviews im Sessel sitzt. Kein Vergleich mit der Gestalt, die hinter ihm auf einem Kinoplakat prangt: Stromberg. In fünf Fernsehstaffeln hat Christoph Maria Herbst den Versicherungsangestellten mit dem schwierigen Charakter bisher verkörpert, nun läuft der Kinofilm an. Und so viel sei schon vor dem Interview verraten: Nicht nur äußerlich, auch charakterlich hat Christoph Maria Herbst keine Gemeinsamkeiten mit dem Büroekel Stromberg.
Herr Herbst, in den Unterlagen aus unserem Archiv durften wir gleich am Anfang über Sie lesen: „Christoph Maria Herbst wurde in Wuppertal als jüngstes Kind einer katholischen Beamtenfamilie geboren …“
… mit zwei älteren Schwestern und deswegen musste er Schauspieler werden.
„… auch seine beiden älteren Schwestern tragen den Zweitnamen Maria.“
Korrekt. Gutes Archiv.
Außer, dass aus unseren Unterlagen nicht hervorging, was das genau bedeutet: katholische Beamtenfamilie.
Dass mein Papa Beamter war, und wir alle katholisch sind. Und zwar so katholisch, dass unsere Eltern uns unter den Schutz der Mutter Gottes stellen wollten. Ich bin nur froh, dass die Maria hieß und nicht Sandy oder Mandy.
Haben Sie den Namen immer so stolz getragen wie jetzt?
In der Schule hieß ich nur Christoph. Da wäre ich mit der Maria verarscht worden. Ich habe die Maria aus der Kiste geholt, als ich mein allererstes professionelles Engagement im Landestheater Burghofbühne im Kreis Wesel in Dinslaken bekam, 1989. Da habe ich gedacht: Super, jetzt geht es ab bei mir. Und mit Maria fließt mein Name besser, die weicht diesen Konsonantenhaufen aus „Christoph“ und „Herbst“ so ein bisschen auf. Außerdem habe ich auch weibliche Anteile.
Welche denn bitte?
Eine Menge. Und die brauche ich als Schauspieler, sonst würde ich ja nur Männer oder Machos verkörpern.
Aber das machen Sie doch auch!
Sicher. Aber ich habe, so Gott will, ja noch ein langes Künstlerleben vor mir.
Wenn es nach Ihren Eltern gegangen wäre, hätten Sie vielleicht gar kein Künstlerleben gehabt. Der Text aus dem Archiv geht nämlich so weiter: „Auf sanften Druck der Eltern begann er eine Banklehre.“
Meine Eltern haben den Zweiten Weltkrieg in seiner schlimmsten Form mitbekommen. Bei meinem Papa waren das seine französische Kriegsgefangenschaft und eingefrorene Finger in Russland. Die sind zwar Gott sei Dank wieder aufgetaut, aber dadurch herrschte in meiner Familie ein großes Sicherheitsdenken vor. Als mein Papa aus dem Krieg kam, war der froh, bei der Stadt Wuppertal unterzukommen und möglichst rasch eine Familie gründen zu können. Als ich dann Schauspieler werden wollte, riefen meine Eltern: „Oh Gott, etwas Unsichereres gibt es nicht! Brotlose Kunst!“ Die ganzen Klischees, die ja auch meistens stimmen. Das war der sanfte Druck, der dann letztlich zu einem Deal führte: Ich darf Schauspieler werden, aber erst, wenn ich eine anständige Lehre absolviert habe. Zeit dafür hatte ich, schließlich musste ich nicht zum Bund. Ich war ja untauglich.
Wieso?
Das geht euch einen Scheißdreck an!
Kommen Sie!
Scherz. Es waren die schwachen Knie. Bei der Musterung meinte der Arzt, ich solle die operieren lassen und dann wieder kommen. Da sagte ich: Vergessen Sie’s! Ich lass mich doch nicht operieren. Grummelnd hat der mich daraufhin untauglich geschrieben. Eine Woche später habe ich mich operieren lassen. Das Schicksal hatte mir also zwei Jahre geschenkt, und die habe ich genutzt, um bei einer großen deutschen Bank in Wuppertal in die Lehre zu gehen.
Und Ihre Eltern? Haben die Ihre Seite des Deals auch eingehalten?
Die wurden meine größten Fans. Meine Eltern sind mir in jede Klitsche, in der ich gespielt habe, mit dem Zug hinterhergejuckelt – ob das nun Dinslaken war oder anderswo in der Provinz. Total süß. Die haben sich die grauenhaftesten Inszenierungen angeguckt und waren stolz wie Oskar. Ich glaube ja, dass ich ein bisschen das nicht gelebte Leben meines Papas lebe.
Wie meinen Sie das?
Seine Lebensumstände, also die Kriegswirren und die fehlende Freiheit hatten ihm die Chance genommen, das zu tun, was er wollte. Da wurde bei meinem Papa viel verschüttet. Der hat eine künstlerische Seite, die er nicht kultivieren, professionalisieren konnte.
Wie kam diese künstlerische Seite bei ihm zum Ausdruck?
Er konnte sehr gut mit Worten umgehen. Der hat uns zu Geburtstagen und Namenstagen zauberhafte Gedichte geschrieben. Da hat es nicht gerappelt, die Reime waren nicht unrein. Das war auf den Punkt, auch inhaltlich. Berührend und mit unglaublichem Witz. Er war ein toller Zeichner und ein super Musiker. Der hat die Kriegsgefangenschaft nur überlebt, weil er Akkordeon spielen konnte und Geige. Während seines Beamten-Daseins hat er auch Gitarrenunterricht gegeben. Er hat seine Kunst also gelebt, wenn auch nur im Kleinen. Umso liebevoller hat er sich daran erfreut, was sein Sohn macht.
Sie haben mal erzählt, dass auch Sie zunächst Musik gemacht haben.
Haben Sie das ebenfalls aus dem Archiv?
Aus alten Interviews. Da sagen Sie den schönen Satz: „Dieses Cello-Konzert der Berliner Philharmoniker unter Karajan – das Cello wird von Rostropowitsch gespielt – habe ich schon als Heranwachsender geliebt.“
Stimmt! Da ging es um den Don Quichotte von Richard Strauss! Das habe ich also nicht gesagt um anzugeben. Ich kenne mich mit klassischer Musik wirklich aus.
Haben Sie ein Instrument gelernt?
Ja. Klarinette.
Professionell?
Nein. Aber ich habe bei „Jugend musiziert“ in NRW den dritten Platz belegt.
Bei wie vielen Teilnehmern?
Drei. Aber hey, ich hätte auch nur eine lobende Anerkennung bekommen können. Demütigend war, dass der Pianist, der mich begleitet hat, Erster wurde. Dabei ging es gar nicht um ihn. Aber der war eben viel geiler als ich. Da habe ich gemerkt: Professionell mit der Klarinette, das wird nichts.
Spielen Sie trotzdem noch?
Leider nein. Die Klarinette steht in meinem Büro wie ein Fanal, staubt vor sich hin und wartet darauf, dass ich sie mal wieder in den Mund nehme. Mach ich auch, wenn ich mal nicht mehr so viel um die Ohren habe. Leider sind die ersten Tage und Wochen immer so erniedrigend. Wenn die Muskeln nicht trainiert sind, bläst man da rein, und die Luft geht am Klarinetten-Mundstück vorbei. Da kriegst du keinen Ton raus.
Haben Sie von der Musik auch etwas für die Schauspielerei gelernt?
Total viel. Das richtige Atmen zum Beispiel. Ich habe vorher immer eine Schlüsselbein-Hochatmung gehabt, so leicht japsig. Das eigentliche Atmen ist aber zwerchfellgesteuert. Da war die Klarinette meine Schule. Bei Stromberg zum Beispiel muss ich unfassbar lange Texte sprechen, ohne Punkt und Komma. Da muss ich richtig atmen, sonst zerstöre ich mir die Pointe. Auch Timing hat unheimlich viel mit Musik zu tun. Zack, zack, Pointe. Das ist ein bestimmter Rhythmus. Pausen setzen, die auch aushalten. Gerade bei Stromberg ist das wichtig, wo der Witz auch mal in einem zu lang gesetzten Blick, in einer Pause liegt.
Wie auch bei den Hörbüchern, von denen Sie ziemlich viele einlesen.
Ja. Auch da spiele ich zunehmend mit Pausen, gucke, wie weit ich gehen kann. Schließlich wird erst in den Pausen das Kopfkino der Hörer so richtig in Gang gesetzt. Das ist ganz spannend.
Sie sind heute so gut im Geschäft, dass wir uns fast nicht vorstellen können, dass Sie zu Beginn Ihrer Karriere bei der einen oder anderen Schauspielschule abgelehnt wurden.
Bei allen.
Was haben die Ihnen gesagt?
Lassen Sie das mal. Oder: Sie haben Ihre Rollen sehr intelligent vorbereitet, Sie sollten etwas in Richtung Dramaturgie machen. Oder: Wir hätten so gerne Fehler gesehen bei dem, was Sie da gemacht haben. Das Problem war, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt schon zu viel Amateurtheater gespielt hatte. In Wuppertal stand ich schon während der Schulzeit und der Banklehre auf der Bühne. Und so war ich für die Schauspielschulen entweder zu untalentiert oder zu weit. Die wollen formbares Material haben. Also entschied ich irgendwann: Dann muss ich es eben ohne euch angehen!
Haben Sie nie gezweifelt?
Immer, die ganze Zeit. Aber irgendwas in mir war stärker – auch wenn das komplett melodramatisch klingt. Ich dachte nie daran, dass ich mal Kino machen würde oder eine eigene Serie habe. Ich wollte einfach spielen. Dinslaken war ein Geschenk für mich. Um dahin zu kommen, habe ich sogar in meinem Lebenslauf behauptet, dass ich eine Ausbildung hätte. Was nicht ganz gelogen war, ich hatte ja eine Bankausbildung. Am Ende hat keiner danach gefragt. Wenn du zum Vorsprechen eingeladen wirst, dann geht es darum, was du ablieferst.
Was für Rollen haben Sie in jener Zeit gespielt?
Alles. Shakespeares Romeo zum Beispiel oder den Zahnarzt aus „Der kleine Horrorladen“. Rückblickend hatte ich ein Riesenglück, dass ich in solchen Klitschen angefangen habe. Dort konnte ich mich ausprobieren. Die Ensembles sind so klein, dass jeder alles spielen muss. In Bremerhaven, einem Drei-Spartenhaus mit Ballett, Oper, Schauspiel, war mein allererstes Stück ein Musical über Marilyn Monroe. Ich habe die männliche Hauptrolle gegeben. Einen Typen, der im Autokino sitzt, einen Film mit Marilyn Monroe sieht, zu träumen beginnt und dann tritt die aus der Leinwand und in sein Leben. War furchtbar. Aber ein Riesenerfolg.
Mit Singen?
Mit Singen. Im Orchestergraben saß ein richtiges Orchester, und der kleine Christoph steht auf der Bühne und singt. Total geil. Auch wenn ich es komisch fand, Musical zu machen, während die Kollegen parallel Sophokles’ „Antigone“ probten. Da dachte ich immer: Scheiße, ich bin doch eigentlich Schauspieler! Egal. Sogar beim Ballett habe ich mitgemacht, obwohl meine Einlagen eher Ausdruckstanz waren. Aber da habe ich Disziplin gelernt.
Wie kamen Sie von dort zum Fernsehen? 1997 spielten Sie ja bei „Sketchup“ mit.
Ein Kollege aus Bremerhaven erfuhr, dass die Sendung neu aufgelegt werden sollte und schlug mich vor. Ich fand das total nett und bin da hin, obwohl ich ja nicht einmal unbedingt ins Fernsehen wollte. Weil ich aber leider zwei Knie habe, musste ich das Casting auf Krücken absolvieren, da ich gerade meine zweite Knie-Operation hinter mir hatte. Die Diagnose fand ich übrigens so faszinierend, dass ich sie auswendig gelernt habe.
Wir hören.
Ein Patella-Lateralisation-Syndrom bei beidseitiger Dysplasie und stark kapillarer Luxation beziehungsweise Subluxation der rechten Patella. Ich war also ein Wrack!
Und trotzdem haben Sie die Rolle bekommen!
Ja, ich wurde auserkoren. Meinen Job in Bremerhaven habe ich an den Nagel gehängt, was mir nicht leicht fiel. Im Gegensatz zur Ablehnung des Angebots eines anderen Theaters, das mir zwei Jahre zuvor abgesagt hatte. Bei denen anzurufen und zu sagen: Nee, tut mir leid, ich mache jetzt Fernsehen – das war mir ein inneres Lachsbrötchen!
Die nächste Station war dann Anke Engelkes „Ladykracher“.
Fast. Zuerst kam eine Rolle in einer RTL-Reality-Show namens „Veronas Welt“. Da ging es um das Leben von Verona Pooth, damals Feldbusch. Die Produzenten wollten ein paar Sketche dabeihaben, die für sichere Lacher sorgten. Gespielt wurden die von einem Kollegen und mir. Geschrieben hat die Tommy Jaud. Der ist später ja auch abgegangen wie ein Zäpfchen, als Autor von Büchern wie „Vollidiot“. Nun ja, die Show wurde abgesetzt, es blieb der Kontakt zu Tommy Jaud, der unser Spiel sehr, sehr lustig fand. Und als der dann zum Creative Executive Producer von „Ladykracher“ wurde, erinnerte er sich meiner. Das war der entscheidende Moment meiner Fernsehkarriere, der mir später den Stromberg bescherte.
Als der Ihnen angeboten wurde, zögerten Sie allerdings, die Rolle anzunehmen.
Ich sah damals keine Zukunft für eine Büro-Comedy. Stromberg fußt ja auf der britischen Serie „The Office“. Die hatte der damalige Geschäftsführer von ProSieben gesehen und gedacht: Wie geil ist das denn! So etwas möchte ich für meinen Sender haben! Er haute also den Autor Ralf Husmann an. Der hatte mich in Ladykracher gesehen und fand, dass ich der Richtige für die Rolle wäre. Aber in Deutschland gab es schon „Das Amt“ und ein Dutzend ähnlicher Sendungen. Und jetzt noch eine? Mit dem Titel „Stromberg“? Und mir in der Hauptrolle? Nee. Abgesehen davon hatte ich es mir hinter Anke Engelkes breitem Rücken kuschelig eingerichtet. Jetzt selbst das Frontschwein zu sein – das fiel mir schwer. Aber Ralf Husmann wollte mich. Also überredete er mich, es wenigstens zu probieren. Und als ich diese Sätze in den Mund nahm, die sprach und die Kamera auf mich draufhielt, da hat mir die Rolle plötzlich einen Riesenspaß gemacht. Da habe ich das Konzept überhaupt erst verstanden. Dass ich mir der Kamera bewusst sein soll. Tja, und jetzt sitzen wir hier und reden über den Kinofilm. Hammer!
Sie selbst kannten „The Office“ also nicht?
Überhaupt nicht. Mitten in den Dreharbeiten zur ersten Staffel kam dann Oliver Wnuk, der den Ulf spielt, zu mir und sagte, kennst du eigentlich „The Office“? Ich hab gedacht, er will mich verarschen. Da hat er mir eine DVD in die Hand gedrückt. Ich hab mir das abends mal reingepfiffen, aber nach zehn Minuten wieder ausgemacht. Ich fand es unfassbar brillant und dachte, oh, wenn ich mir das ansehe, krieg ich entweder meine eigenen Texte nicht mehr gesprochen, oder ich kupfere ab. Da hab ich zum ersten Mal von „The Office“ gehört, und ab der zweiten Staffel stand es dann ja auch im Abspann: „Inspired by the UK BBC Series ‚The Office‘“.
Das geschah nach einer Urheberrechtsklage des britischen Senders BBC.
Ja, es war natürlich albern zu behaupten, man hätte von der Serie noch nie was gehört, wie es die Produktionsfirma erst gemacht hat. Es wurde wohl ein Koffer mit Geld über den Ärmelkanal geworfen, und das war Ricky Gervais dann auch genug und seitdem war er zufrieden. Inzwischen gibt es von „Stromberg“ viel mehr Folgen als von „The Office“.
Es ist interessant, sich die ersten, zehn Jahre alten „Stromberg“-Folgen anzuschauen: Die Figuren sind viel zurückhaltender skizziert, sie sind im Laufe der Zeit viel prägnanter geworden.
Das stimmt, ich hab mir das auch noch mal angesehen. Es hat so eine Unschuld. Es wirkt alles wie mit Kohlestrichen entworfen.
Wie sind die Figuren zu dem geworden, was sie heute sind?
Ich glaube, wir haben sie immer mehr durchdrungen mit der Zeit. Wir sitzen einfach mit breiterem Hintern und breiterem Kreuz auf diesen Charakteren. Und wir sind alle älter geworden, das ist auch spannend zu sehen. Wenn man sich die Folgen von vor zehn Jahren ansieht, ist es, als würde man ein Fotoalbum aufschlagen: Ach guck mal, so sah ich damals aus. Das tut den Figuren gut, die leben einfach. Wenn Stromberg so ein Derrick-Charakter gewesen wäre, der sich nie verändert, hätte ich niemals fünf Staffeln gespielt. Was haben wir mit dem alles gemacht: Er ließ sich scheiden, sein dementer Schwiegervater saß bei ihm im Büro, er wurde strafversetzt, man muss dabei zusehen, wie er Jennifer einen Heiratsantrag macht. Immer passierte was und das machte natürlich Spaß.
Entwickeln Sie die Geschichten mit?
Nein, die Arbeitsteilung ist ganz klassisch. Ich krieg ein Drehbuch nach Hause und dann lern ich’s und dann spiel ich’s. Ich bin weder Producer noch Autor, und diese Arbeitsteilung tut uns sehr gut. Wenn Husmann was kann, dann brillante Texte schreiben, und wenn ich was kann, dann spielen. Der Husmann lässt sich da auch nicht reinfummeln. Natürlich hab ich dem zwischendurch auch mal gesagt: Mensch, wie wär’s eigentlich, wenn wir mit dem Stromberg mal Folgendes machen. Das nimmt er zur Kenntnis, um es dann aber auch gleich wieder zu vergessen. Und ich würde mir von ihm auch nie sagen lassen, wie ich diese Figur zu spielen habe.
Wie haben Sie Bernd Stromberg mit all seinen Marotten denn entwickelt? Haben Sie viel beobachtet?
Ich weiß noch, vor dem allerersten Drehtag hab ich mich an meinen Schreibtisch gesetzt und mir überlegt, was diese Figur für Eigenheiten haben könnte. Ein ganzes Repertoire an Möglichkeiten habe ich mir ausgedacht, und mit diesem Wasserkopf bin ich dann zum Dreh gegangen – um festzustellen, das ist alles Quatsch, das ist äußerlich, das ist zu viel. Und dann hab ich erst mal nichts gemacht und einfach nur gespielt. Und mit der Zeit kam das dann so. Ich bin auch immer sicherer geworden und bestimmte Dinge, bei denen ich das Gefühl hatte, das erzählt jetzt was, hab ich dann einfach behalten. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass sein Jackett keine Schulterpolster hat, was einen Mann breiter macht. Ich hab persönlich dafür gesorgt, dass die rausgenommen werden, damit er aussieht wie ein umgedrehter Tannenbaum. Und so kam es dann dazu, dass ich oft mit den Fäusten in der Hüfte dastehe, weil er sich wie im Tierreich aufplustert. Hänfling, der ich von Hause aus bin, hab ich dann eben damit gespielt. Oder dass er sich die ganze Zeit über seinen Phallus-Zeiger-Schlips streicht. Oder die Sprechweise: Dinge zu verstottern, mit Füllseln zu arbeiten. Das kam von mir, floss aber immer mehr in die Drehbücher ein, Husmann hat diese Ähs und Öhs dann direkt mit reingeschrieben. Was den Umgang mit dem fiktiven Kamerateam betrifft, dem sich Stromberg immer an den Hals schmeißt, hab ich mir übrigens eine Menge vom Schröder abgeguckt.
Gerhard Schröder?
Ja, unser ehemaliger Kanzler. Das fand ich sehr spannend, ihn sich genauer anzuschauen. Wie der zum Beispiel vor so einen Journalisten-Halbkreis getreten ist, das fand ich faszinierend. Dieses, dass er einen Witz macht und dann – hahaha – selbst anlacht, aber auch ganz genau in die Runde guckt, wer lacht denn jetzt mit? Das hab ich mir damals für den Stromberg angeeignet, dieses selbst Anlachen.
Diese Liebe zum Detail, zu den kleinen Episoden, macht die Serie aus. Hatten Sie keine Bedenken, Stromberg zum Kinofilm zu machen, wo zwangsläufig mehr passieren muss?
Ich hab Husmann einen Neunzigminüter einfach zugetraut. Es hätte ja nicht funktioniert, nur fünf Folgen ineinander zu verschränken, ein Kinofilm bedarf einer ganz eigenen Dramaturgie, man muss die Leute noch mal ganz anders bei der Stange halten. Aber was die Detailverliebtheit anbelangt, ist Kino natürlich ein Geschenk. Da kannst du ja mit noch feinerem Pinsel arbeiten. Wie vor einem Wimmelbild sitzt du da im Zuschauerraum und kriegst alles mit. Das ist für das Format Stromberg natürlich toll, weil da ja nicht nur im Vordergrund viel passiert, sondern auch im Hintergrund.
Beim Film schwingt noch deutlicher als in der Serie Melancholie mit: Es geht auch ums Leben, um geplatzte Träume, ums kleine Glück.
Ja, das find ich super, dass das Kinodrehbuch so politisch ist, wie ich Stromberg schon immer empfunden habe. Nicht im Sinne von Parteipolitik, sondern eines menschlichen Miteinanders: Hierarchien, wie funktionieren Menschen in solchen Zusammenhängen. Es war für mich immer eine Comedy mit Anspruch. Ich find es super, wenn man etwas machen kann, was so eine Substanz hat, dann geht man morgens gerne zur Arbeit und reißt sich den Arsch auf. Es ist schon eine Menge Arbeit. Ich als Stromberg bin unentwegt am Reden und laufe über zwei, drei Monate in dieser Vollmaske rum mit der Glatze und dem Bart, das ist alles nicht so einfach. Ich will jetzt nicht lamentieren, aber das ist für Mensch und Maschine schon eine soziale Herausforderung.
Wie haben Sie eigentlich Frank-Walter Steinmeier für seinen Gastauftritt im Film gewonnen?
Der findet „Stromberg“ geil. Wir hatten eigentlich auch Sigmar Gabriel angefragt, der hatte aber aus terminlichen Gründen abgesagt, und Steinmeier hat dann sofort gesagt, er macht es – und war alles andere als zweite Wahl.
Stromberg begegnet Steinmeier, nachdem er mehr aus Versehen zum Helden der kapitalismuskritischen Bewegung wird und politische Ambitionen zu entwickeln scheint. Das Ende des Films wirkt wie ein Anfang – für die nächste Staffel.
So hab ich’s nie gelesen, das könnte man so sehen. Ich werde immer gefragt, ob ich den Stromberg weitermache, ich muss diese Frage eigentlich weiterdelegieren: ProSieben hat mich bis jetzt noch nicht angerufen.
Sie würden also weitermachen wollen?
Ich mach nicht den zweiten Schritt vor dem ersten. Diese Frage stell ich mir erst, wenn sie mir gestellt wird. Aber Fiction spielt anscheinend ja nicht mehr so ’ne Rolle, ne?
Anderswo schon. Serien sind das neue große Ding. Nur im deutschen Fernsehen nicht.
Ja, leider. „Stromberg“ ist da eine Ausnahme. Die Einschaltquoten waren ja nicht so toll am Anfang, und dann gab es diese Petition damals, da sind ja wirklich 20 000 Unterschriften gesammelt worden. „Stromberg“ hat so viele Superlative um sich geschart – es ist die auf DVD bestverkaufte deutsche Serie überhaupt, bei der Premiere am Dienstag wird’s eine Satellitenschaltung geben in knapp 120 Städte, darunter natürlich auch Berlin – das gab’s noch nie.
Ist das nicht frustrierend, dass es eigenwilligen Serien so schwer gemacht wird? Aktuelles Beispiel ist der „Tatortreiniger“ von „Stromberg“-Regisseur Feldhusen und „Stromberg“-Schauspieler Bjarne Mädel, der keinen festen Sendeplatz bekam und im NDR-Nachtprogramm verschwand.
Furchtbar. Aber der „Tatortreiniger“ bleibt ja super. Meine Schlussfolgerung ist dann: Ich kauf DVDs. Das mach ich zunehmend, hab ich beim „Tatortreiniger“ auch gemacht und eine Heidenfreude daran gehabt, sechs Folgen hintereinander zu gucken. Dann bin ich eben mein eigener Programmdirektor.
Nur warum machen die echten Programmdirektoren so einen schlechten Job?
Darüber ist ja schon viel gesagt worden. Stromberg würde es, glaube ich, auch nicht geben, wenn damals nicht gesagt worden wäre, guckt mal, das ist ein schöner Erfolg da in England, lasst uns so was in der Art doch auch machen. Originär kriegen wir das anscheinend nicht hin. Da muss immer erst mal ins Ausland geguckt werden, und wenn’s dann floppt, kann man sagen: Tja, da drüben funktioniert’s aber.
Den „Stromberg“-Film hätten Sie aber doch bestimmt finanziert bekommen. Warum das Crowdfunding, mit dem eine Million Euro bei „Stromberg“-Fans gesammelt wurde?
Crowdinvesting. Das ist schon ein Unterschied. Crowdfunding ist mit dem Kollektebeutel rumgehen, bitte noch eine Spende, damit wir die Million zusammenkriegen. Beim Crowdinvesting kann man seine Einlage zurückbekommen, sogar mit einer Rendite. Es hatte was mit Freiheit zu tun, dass man sich unabhängig macht von einem Satz wie: Wer die Kapelle zahlt, bestimmt auch, was gespielt wird.
Glauben Sie wirklich, dass man Ihnen reingeredet hätte?
Husmann ist da sehr freidenkerisch und hat einfach gesagt, wir wollen den „Stromberg“ genau so, wie wir ihn über zehn Jahre gesetzt haben, auf die Leinwand hieven. ProSieben war aber immer sehr cool, die sind ja finanziell auch beteiligt an dem Film, das wollen wir nicht verschweigen. Die haben uns echt machen lassen. Und damit sind wir wieder beim deutschen Fernsehen: Wenn man uns sogenannte Künstler mal machen ließe, dann würde da auch was Geiles draus.
Interview führten Petra Ahne und rudolf Novotny.