Affenpocken: Kommt Corona 2.0 nach Berlin? Zehn Fakten, die Sie kennen sollten
Beide Viren-Arten unterscheiden sich grundlegend, sagt der Infektiologe Heiko Jessen. Eine Epidemie ist aber möglich. So kann man sich schützen.

Der Hausarzt und Infektiologe Heiko Jessen hat die ersten beiden Fälle von Affenpocken in der Hauptstadt in seiner Schöneberger Praxis verzeichnet. Infiziert haben sich ein 55-Jähriger und ein 30-Jähriger, beide mit bisher milden Krankheitsverläufen. Weitere Verdachtsfälle sind an das Robert-Koch-Institut gemeldet. Kommt nach Corona nun Corona 2.0? Unwahrscheinlich, sagt Jessen und erklärt, was über das Virus bereits bekannt ist.
Erleben wir den Beginn einer Affenpocken-Pandemie?
Wir wissen noch nicht sehr viel über das Virus, lernen aber von Tag zu Tag dazu. Nach jetzigem Stand ist eine Pandemie, ein weltumspannendes Geschehen wie bei Sars-Cov-2, äußerst unwahrscheinlich. Eine Epidemie ist dagegen ein mögliches Szenario. Aber wir müssen – wie gesagt – vorsichtig sein in unseren Formulierungen. Die derzeit rund 100 bekannten Fälle von Affenpocken in der westlichen Welt sind jedenfalls nicht ohne.
Gibt es bestimmte Gruppen, die von Infektionen stärker betroffen sind?
Es gibt eine exponierte Gruppe, das sind Männer, die häufig Sex mit Männern haben. Für uns neu ist dabei, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Bekannt war bisher, dass es vom Tier auf den Menschen übergeht, überwiegend übertragen von Nagetieren. Soweit wir wissen, findet die Übertragung von Mensch zu Mensch über Speichel oder eine größere Menge an Aerosolen statt, die eine infizierte Person ausstößt.
Wird das Virus auch auf anderen Wegen übertragen?
Ob andere Körperflüssigkeiten dafür in Betracht kommen, wird derzeit am Robert-Koch-Institut geprüft, zum Beispiel Sperma. Es werden außerdem Abstriche im Rachen genommen, um zu sehen, ob sich das Virus dort anreichert. Auch Urin wird untersucht. Und Blut, in dem sich Antikörper nachweisen lassen.
Lassen sich Affenpocken gut nachweisen?
Mit PCR-Tests lässt sich zuverlässig feststellen, ob sich eine Person infiziert hat. Diese Tests sind ja durch die Corona-Pandemie allgemein bekannt geworden. Dabei wird Erbmaterial eines Virus vervielfältigt. Dadurch gelingt es, Viren nachzuweisen, auch wenn erst wenige Erreger vorhanden sind.
Sind bestimmte Personengruppen anfällig für schwere Verläufe?
Auch hier wissen wir noch wenig. Logisch wäre es, dass Menschen mit einem geschwächten Immunsystem anfälliger sind. Außerdem Menschen mit Diabetes oder Herzschwäche, aber das sind momentan nur Annahmen. Was wir gesichert wissen, ist, dass es zwei vorherrschende Varianten des Virus gibt, die unterschiedlich starke Krankheitsverläufe auslösen können. Bei der westafrikanischen Variante kommt es in einem von hundert Fällen zum Tod. Bei der zentralafrikanischen Variante beträgt die Rate 10:100, sie ist also deutlich gefährlicher. Wir gehen bisher davon aus, dass sich bei uns die westafrikanische Variante verbreitet. Für Deutschland untersucht das die Kommission für hochpathogene Viren am Robert-Koch-Institut unter Leitung von Andreas Nitsche.

Corona ist ein RNA-Virus, Affenpoken sind DNA-Viren
Sind in Zukunft Mutationen zu befürchten, die schwerere Krankheitsverläufe verursachen und häufiger zum Tod führen?
Es handelt sich bei dem Erreger um ein DNA-Virus. Diese Art Viren entwickelt sehr viel langsamer Mutationen als zum Beispiel Sars-Cov-2, das ein RNA-Virus ist. Anders formuliert: DNA-Viren können nicht so gut ausweichen. Die mRNA-Impfstoffe, die zum Schutz gegen Corona eingesetzt werden, funktionieren gegen die Affenpocken nicht.
Kann man sich gegen Affenpocken impfen lassen?
Ja, man kann. Es existiert ein sogenannter Lebend-Impfstoff. Das heißt, es werden unvollständige Viren injiziert. Das Genom, das für die Vermehrung zuständig ist, wurde herausgeschnitten. Die Impfung ist sehr wirksam. Sie wirkt übrigens auch nachträglich, also wenn man bereits Kontakt zu Infizierten hatte. Wer früher zweimal gegen Pocken geimpft wurde, also Menschen jenseits der 60, kann sich ebenfalls sicher fühlen. Nach einmaliger Impfung ist man noch ganz gut geschützt vor schweren Symptomen.
Wer sollte sich impfen lassen?
Die exponierten Gruppen, also Personen, die hochfrequent Sex haben. Das sind vielfach diejenigen, die Prä-Expositions-Prophylaxe gegen HIV betreiben. Immunisieren lassen sollten sich zudem Menschen, die mit den exponierten Gruppen in engem Kontakt stehen. Eine Impfung der Mehrheit der Bevölkerung wie bei Corona ist dagegen unnötig.
Gibt es ein Medikament gegen Affenpocken?
Ja, es heißt Tpoxx, ist aber bisher im deutschen Großhandel nicht verfügbar. Meine Empfehlung an die Bundesregierung wäre, dieses Medikament zu beschaffen.
Ist eine Quarantäne sinnvoll für Menschen, die sich mit Affenpocken infiziert haben?
Auf jeden Fall sollten sich infizierte Personen in häusliche Isolation begeben. Meine beiden bisherigen Patienten haben dies getan. Wer unbedingt die Wohnung verlassen muss, sollte eine FFP2-Maske tragen und Körperkontakt mit anderen Menschen unbedingt vermeiden. In Belgien gilt derzeit eine Quarantäne-Dauer von drei Wochen. In Deutschland gehe ich davon aus, dass das Robert-Koch-Institut in dieser Woche noch eine Reglung veröffentlicht.