Bin ich besonders begabt, weil ich oft Gesichter verwechsle?

Nina Hoss, Axel Prahl, Benno Fürmann: Unser Autor begegnet ständig Prominenten. Ganz sicher ist er sich aber nicht – und stellt sich mal wieder eine Diagnose.

Ist das Axel Prahl oder liegt eine Verwechslung vor?
Ist das Axel Prahl oder liegt eine Verwechslung vor?imago

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Prosopagnosie. Und das kam so: Ich traf einen berühmten Fernsehreporter, der für den Südwestrundfunk Fußballspiele kommentiert. Das heißt, ich traf ihn nicht direkt, sondern sah ihn aus einigen Metern Entfernung, vormittags bei einem Sponsorenlauf. Berühmt ist vielleicht auch nicht ganz der treffende Ausdruck, aber einigermaßen bekannt sein dürfte dieser Tom Bartels schon, in Fußballkreisen.

Wie auch immer: Der Mann bewies ein großes Herz, das stand für mich fest, denn wenn ich das Fernsehprogramm richtig im Kopf hatte, sollte er am Abend ein Länderspiel kommentieren. In Stuttgart. Oder Frankfurt. Jedenfalls ziemlich weit weg von Berlin. Ich fand es bemerkenswert, dass dieser halbwegs berühmte Reporter trotz einer derart verantwortungsvollen Aufgabe am selben Tag, Hunderte Kilometer entfernt, einen Sponsorenlauf bestritt, um einer Schule die Anschaffung eines Trampolins zu ermöglichen. Zumal er offenbar keinerlei Angehörige an dieser Schule hatte. Das ergaben spätere Recherchen. Ich nahm mir vor, Bartels nie wieder wegen seiner Kommentierungen zu kritisieren, und ließ die Angelegenheit auf sich beruhen.

Bis ich neulich beinahe grußlos an einer Nachbarin vorbeigeradelt wäre. Ich stoppte gerade noch rechtzeitig, sagte: „Sorry, Ilka, ich hätte dich fast nicht erkannt.“ Worauf Ilka antwortete, sie heiße Heike, sei aus Greifswald und nur zu Besuch. Abgesehen von der Stimmlage fielen mir nun Details an der Frau auf, die ihre Aussage zu bestätigen schienen. Wir versicherten uns gegenseitig, dass eine solche Verwechslung vorkommen könne, und wünschten einander einen schönen Tag.

Von wegen schön. Mir wurde klar: Tom Bartels ist nicht Tom Bartels – gewesen, damals. Und ich bin krank. Es war dann auch kein Aufwand herauszufinden, dass ich an etwas mit dem unleserlichen Namen Prosopagnosie leide. Gesprochen: Prosop-Agnosie. Das brachte mir ein Medizinblog bei und setzte mich darüber in Kenntnis, dass ich mir schlecht Gesichter merken kann und sie deshalb manchmal verwechsle. Rund 2,5 Prozent der Menschheit geht das ähnlich, in Deutschland fast zwei Millionen Einwohnern. Ich war nicht allein.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Ich las, dass es zwar schwere Formen der Prosopagnosie gibt, milde Verläufe aber überwiegen. Erleichternd kam hinzu, dass Verwechslungen nach Bartels-Art selten passieren. Gut möglich also, dass mir vor Jahren tatsächlich Nina Hoss vor einer Apotheke in die Arme lief. Dass der Typ in Zimmermannskluft an der Bushaltestelle wirklich Axel Prahl war. Und dass mich im Park Benno Fürmann höchstpersönlich mit seinem Rad nur um Zentimeter verfehlte.

Super-Recognizer verwechseln Gesichter nie

Der Befund wurde immer klarer: Ich bewege mich in erlauchten Kreisen, nicht nur schauspielerisch, auch medizinisch. Im Verlauf meiner Diagnose stieß ich auf eine Personengruppe, die Super-Recognizer heißt. Das sind Leute, die sich Gesichter schon nach flüchtigen Begegnungen einprägen, zum Beispiel Gangstervisagen, weshalb die Polizei sie sehr schätzt. Nicht die Gangstervisagen, sondern die Super-Recognizer. Ein bis zwei Prozent der Weltbevölkerung werden dazugerechnet.

Das ergab sich aus Studien zur Prosopagnosie. Ich selbst erweitere jetzt das Forschungsgebiet um jene Menschen, die so super recognizen, dass sie Gesichter erkennen, wo sie nicht sind. Ich bin nämlich gar nicht krank, nur wahnsinnig begabt. Ich bin ein Super-Imaginer.