Brustkrebsvorsorge : Sehende Hände
Speziell geschulte, blinde Frauen können aufgrund ihres besonderen Tastsinns Gewerbeveränderungen in der weiblichen Brust früher erkennen als Ärzte. Jetzt bringen sie diese Untersuchungsmethode auch Interessierten bei.

Berlin-MitteVor Ewa Bamberg auf dem Tisch liegt das Silikonmodell einer weiblichen Brust. Das Modell ist so groß wie ein Kuchenteller, die Brust wölbt sich exakt symmetrisch, zugleich ist die „Haut“ etwas faltig. Nun gilt es, den Tumor zu ertasten, der in der Brust versteckt ist. Das „Gewebe“fühlt sich an wie festes Gel. Anfangs fällt es schwer, fest auf der „Brust“ herumzudrücken, doch beim sanften Tasten sind keine Knoten spürbar. Der Tumor liegt direkt unter der Brustwarze, er fühlt sich hart an und ist so groß wie ein kleiner Legostein. Wie der „Tumor“ in dem Modell so kann sich auch ein richtiger in einer echten Brust anfühlen, sagt Ewa Bamberg.
Häufigste Krebserkrankung bei Frauen
Die Berlinerin arbeitet seit zehn Jahren als Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU), seit 2016 unterstützt die blinde Frau sogar die MTU-Ausbildung im Berliner Zentrum von Discovering Hands am Spittelmarkt. Die Organisation macht sich den bei Blinden und Sehbehinderten besonders gut ausgeprägten Tastsinn zunutze und bildet sie für die Brustkrebsfrüherkennung aus.

Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen – jedes Jahr erkranken in Deutschland knapp 60000 von ihnen daran. „Eine frühzeitige Entdeckung der Krankheit ist essenziell, denn sie ermöglicht eine weniger belastende Behandlung und verbessert die Überlebenschancen der Patientinnen erheblich“, heißt es beispielsweise auf der Website der Bahn-BKK. Sie ist eine von inzwischen 28 Krankenkassen, die die Kosten für das etwa einstündige Abtasten der Brust durch eine MTU übernimmt. Wessen Krankenkasse dafür nicht aufkommt, der muss die zirka 50 Euro selbst bezahlen.
In mehr als 90 Arztpraxen und Kliniken
Seit der Einführung im Jahr 2007 haben die speziell ausgebildeten Tasterinnen mehr als 90 000 solcher Untersuchungen vorgenommen, heißt es bei Discovering Hands. Fast vier Dutzend MTU seien aktuell in mehr als 90 Frauenarztpraxen und Kliniken tätig. Zwar hat die in Mülheim an der Ruhr ansässige Organisation keine Rückmeldung, wie viele bösartige Gewerbeveränderungen dabei ertastet wurden, rein statistisch aber müssten „125 Karzinome entdeckt worden sein, die zu diesem Zeitpunkt bei der ärztlichen Tastuntersuchung noch unentdeckt geblieben wären“, sagt Nina Petrick von Discovering Hands.
Seit Januar wird unter anderem im Berliner Zentrum der Organisation eine weitere Dienstleistung angeboten, die helfen kann, Brustkrebs frühzeitig zu erkennen: Interessierte Frauen können dort lernen, wie sie selbst ihre Brust fachkundig abtasten. Ewa Bamberg ist eine von fünf Frauen, die die sogenannte taktile Selbstuntersuchung lehrt. „Es ist günstig, wenn man sich vorher schon einmal von einer MTU hat untersuchen lassen“, sagt Ewa Bamberg, „dann hat man eine bessere Vorstellung, wie das Abtasten vonstatten geht.“
Service
- Qualifikation: Sehbehinderte Frauen, die sich für eine Ausbildung zur Medizinisch-Taktilen Untersucherin interessieren, können sich bei einem Assessment vom 30. März bis 2. April testen lassen. Der nächste Kurs an der Akademie in Berlin-Mitte beginnt im Juni.
- Untersuchung: Wer die Taktilographie zur Brustkrebsfrüherkennung nutzen will, kann auf der Discovering-Hands-Website Praxen in seiner Nähe ausfindig machen, die diese Dienstleistung anbieten.
- Selbstschulung: Auf der Internetseite findet man auch Praxen, in denen man die Taktile Selbstuntersuchung der Brust lernen kann. Die Anleitung dauert etwa eine Stunde und kostet 66 Euro.
Die Selbstuntersuchung ist in fünf Schritte aufgeteilt, erklärt sie. Der erste sei der aufmerksame Blick auf den nackten Oberkörper im Spiegel: Sind Veränderungen zu sehen? Oder Asymmetrien? Im zweiten Schritt werde die Brust im Stehen abgetastet, im dritten erfolgt das ganz systematische Abtasten im Liegen, und zwar Zentimeter für Zentimeter in einer Zwei-Finger-Technik, die Ewa Bamberg auch anhand der Silikonbrust erklärt. „Dafür braucht man etwas Übung. Und Zeit“, erklärt die Expertin. Im vierten Schritt wird die Brustwarze untersucht, im fünften die Lymphknoten am Oberkörper.
Bei verdächtigem Befund: Zur Frauenärztin
„Wenn man etwas Routine hat, dann dauert das Ganze vielleicht 15 bis 20 Minuten“. sagt Ewa Bamberg. Einmal im Monat sollte diese taktile Selbstuntersuchung durchgeführt werden, rät sie. Frauen seien in der Lage, Knoten ab einer Größe von einem Zentimeter zu erfühlen. Wer eine verdächtige Stelle entdeckt hat, sollte einen Termin mit seiner Frauenärztin vereinbaren, die eine weitere Abklärung in die Wege leitet. Ewa Bamberg warnt vor vorschneller Panik: „Nicht jede Milchdrüse ist ein Tumor.“