Corona, Affenpocken und was dann? Was uns an Zoonosen noch alles blühen kann
Die Affenpocken geben einige Rätsel auf. Doch eines ist klar: Ihr Auftreten gehört zum ständigen Kampf des Menschen mit Erregern, die Artengrenzen überspringen.

Jedes Jahr was Neues. Erst Corona, jetzt Affenpocken – und was dann? Wieder kreisen im Internet die Vermutungen: Die Affenpocken kämen aus einem Labor, heißt es. Oder: Sie seien in Wirklichkeit Gürtelrose, eine Nebenwirkung der Corona-Impfung. Alle Fleischesser bekämen die Affenpocken. Bill Gates habe den Ausbruch „organisiert“. Es sei eine geplante neue Pandemie. Und vieles mehr.
Man sieht wieder einmal: Der große zivilisatorische Luxus, über alles und jedes stundenlang irrwitzige Vermutungen anzustellen, hat eines aus dem Blick geraten lassen: Der Mensch ist noch immer ein Teil der Natur, eine Art unter vielen. Und es gibt einen ständigen Kampf mit neuen und sich verändernden Erregern, die Artengrenzen überspringen, Zoonosen genannt. Dazu braucht es keinen Bill Gates und keine Verschwörung.
Früher waren die Menschen den Zoonosen oft schutzlos ausgeliefert. Zurückverfolgen kann die Wissenschaft das bis zur Jungsteinzeit vor 12.000 Jahren. Als der Mensch sesshaft wurde, vervielfältigten sich die Gefahren: durch enges Zusammenleben mit Nutztieren, durch Getreidespeicher, die Nagetiere anlockten, durch stehendes Wasser in Brunnen, in dem Mücken brüteten.
Malaria bedeutet „schlechte Luft“
So vielfältig und eng der Kontakt mit der Natur, so vielfältig sind die Übertragungswege von Krankheiten: über Viren, Bakterien, Pilzen, Parasiten oder Prionen – krankheitserregende Eiweiße, die etwa bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit eine Rolle spielen. Manchmal gibt es eine direkte Infektion (Tollwut durch Biss), oft braucht es einen Zwischenwirt. Manchmal finden sich Erreger in Wasser oder Boden. Und oft werden vom Tierreich übergesprungene Erreger irgendwann von Mensch zu Mensch übertragen: HIV, Ebola, Grippevirus, Sars-CoV-2, Affenpockenvirus. Manche Erreger benötigten dafür vermutlich mehrere Anläufe, sagen Epidemiologen.
Überliefert sind vor allem größere Ausbrüche der Geschichte: die Attische Seuche im antiken Griechenland, die Pest des Mittelalters, die in Europa bis zu 50 Millionen Menschenleben kostete, oder die Pockenepidemien. Die letzte große forderte vor 150 Jahren in Deutschland über 170.000 Todesopfer.
Ein riesiger Fortschritt ist, dass man die Erreger heute kennt: Yersinia pestis, Orthopox variolae, Vibrio cholerae und viele andere. Früher tappte man da völlig im Dunkeln, glaubte an Miasmen, giftige Ausdünstungen des Bodens, die über die Luft fortgetragen werden: Malaria heißt „schlechte Luft“. Heute erforscht man in Tausenden Laboren der Welt die Erreger bis in ihre genetischen Strukturen. Man beobachtet das Auftreten neuer Erreger, um auch Zoonosen schnell zu erkennen.
Zoonosen können sich heute schneller ausbreiten als früher
Dies geschieht unter anderem bei den Grippeviren, die jährlich um die Welt reisen und sich genetisch verändern können. Beispiele für die Übertragung neuer Virusvarianten auf den Menschen sind die Vogelgrippe und die Schweinegrippe. Bei den Beobachtungen geht es auch darum, eine mögliche neue Pandemie rechtzeitig zu erkennen, damit es eben keine Spanische Grippe mehr geben kann.
Wir sind also besser gewappnet als früher, zumindest was die Forschung betrifft. Zugleich sind wir schlechter dran. Man kann ja nicht in jeden Winkel der Welt schauen. Genau das wäre aber heute wichtig, weil heute Zoonosen schneller entstehen und sich auch viel schneller ausbreiten können als früher. Zu den großen Antreibern gehören Globalisierung, Naturzerstörung, Massentierhaltung, Erderwärmung sowie Wildtierhandel und -verzehr.
Durch Warentransport und Reisen gelangen zum Beispiel tropische Krankheitserreger in den Norden. Mit zunehmender Erwärmung könnten Mücken auch hierzulande eines Tages in größerem Ausmaß Malaria oder das West-Nil-Fieber übertragen. Auch die Reise der Affenpocken um die Welt ist wohl eine Folge der Globalisierung. Ursprünglich wurden sie direkt von Tieren auf Menschen übertragen, in Waldregionen Afrikas. Inzwischen werden sie von Mensch zu Mensch weitergegeben.
Nur nüchterne wissenschaftliche Betrachtung kann helfen
Vieles weiß die Forschung noch nicht. Etwa, wo überall weitere Gefahren lauern, welche Sprünge zwischen den Arten noch möglich sind. Bis zu 800.000 noch unentdeckte Viren könnten das Potenzial haben, auf den Menschen überzuspringen, heißt es in einer Studie. Eines ist aber klar: Pest und Cholera wurde mit konsequenten Hygienemaßnahmen, später mit Antibiotika zurückgedrängt. Die Pocken wurden über Impfungen bekämpft. Und auch bei allen anderen Krankheiten können nur nüchterne wissenschaftliche Betrachtung, genaue Beobachtung und medizinische Fortschritte helfen. Da gibt es nichts Dubioses.