Die Corona-Pandemie: Was wir erreicht haben und was es jetzt zu tun gibt
Melanie Brinkmann und Emanuel Wyler ziehen exklusiv Bilanz nach zwei Jahren Pandemie – aus der Sicht der Wissenschaft. Und sie geben einen Ausblick.

Millionen von Todesopfern sowie schwer und chronisch Erkrankten, Freiheitseinschränkungen, psychische Belastung, soziale und wirtschaftliche Schäden: Zwei Jahre Pandemie haben die Menschen weltweit sehr viel Kraft gekostet. In diesen zwei Jahren haben wir aber auch einiges erreicht. Zu Beginn, in den ersten Monaten des Jahres 2020, waren wir weitgehend schutzlos gegen das neue und gefährliche Virus Sars-CoV-2 und die von ihm ausgelöste Krankheit Covid-19. Sehr begrenzte Therapiemöglichkeiten, keine Impfung, kaum natürliche Immunität in der Bevölkerung. Entsprechend waren die Maßnahmen grob und ungezielt.
Mittlerweile, gerade auch durch wissenschaftlichen Fortschritt, stehen wir deutlich besser da: wirksame Impfstoffe in ausreichenden Mengen, neue Medikamente und ein deutlich besseres, wenn auch noch unvollkommenes Verständnis der Biologie dieses neuen Virus. Aber einen Fehler der Vergangenheit sollten wir auch jetzt nicht begehen: Dieses Virus zu unterschätzen und anzunehmen, die Pandemie sei jetzt im Griff und womöglich bereits vorbei. Es gilt jetzt und für die kommenden Monate, die richtigen und wirksamen Instrumente zu entwickeln, um das Virus sehr gut im Blick zu behalten, es weiter zu erforschen und neue Gegenmittel zu entwickeln, um auf möglichst viele Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Die Impfung: bestes Mittel, aber nicht perfekt
Der Wendepunkt in der Pandemie und unser nach wie vor stärkstes Mittel gegen das Virus war und ist die Impfung. Nur die Impfung ist langfristig und nachhaltig der Ausweg aus der hohen Krankheitslast und vielen Toten, die die Virusinfektion fordert. Trotz Fällen von Nebenwirkungen durch die Impfung fällt die Nutzen-Risiko-Abwägung eindeutig zugunsten der Impfung aus. Der erste große Erfolg war die schnelle Immunisierung sehr vieler älterer Menschen in den sieben Wochen zwischen der Zulassung des Impfstoffs im Dezember 2020 und der Ankunft der Alpha-Variante des Virus im Februar 2021. Gab es um den Jahreswechsel 2020/2021 in Deutschland noch ungefähr 65.000 Covid-19-Todesopfer, war diese Zahl in der „Alpha-Welle“ ab Ende Februar 2021 mit einer gefährlicheren Virusvariante viel geringer.
Und trotz kaum mehr vorhandener Kontaktbeschränkungen mussten von Oktober bis Dezember 2021 wesentlich weniger Menschen in die Klinik eingewiesen werden als während des Lockdowns ein Jahr zuvor. Zudem schützt die Impfung Schwangere vor einem schweren Verlauf und/oder dem möglichen Verlust des ungeborenen Kindes durch Covid-19. Zusätzlich profitiert das Neugeborene von mütterlichen Antikörpern, wenn die Mutter während der Schwangerschaft geimpft wurde.

Trotz dieser Erfolge ist Sars-CoV-2 selbstverständlich nicht verschwunden. Insbesondere die Omikron-Varianten zeigen uns gewisse Grenzen der zugelassenen Impfstoffe auf. Sie schützen zwar weiterhin meist gut vor schwerer Erkrankung und auch dem Tod, haben jedoch einen relativ geringen Einfluss darauf, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird, wodurch die Ausbreitungsdynamik weiterhin sehr hoch ist. Zudem haben wir nach wie vor chronisch kranke/immungeschwächte Menschen, bei denen die Impfung nicht oder nur schwach wirkt, und für kleine Kinder unter fünf Jahren ist noch kein Impfstoff zugelassen. Für sie bedeuten so hohe Inzidenzen wie in den letzten Monaten eine permanente Gefährdung.
Großer „Werkzeugkasten“ für den Umgang mit dem Virus
Welches sind die wichtigsten Fragen? Demnächst werden wir mit Sars-CoV-2 hoffentlich in einen „endemischen Zustand“ kommen. Dieser vage Begriff bedeutet erst einmal nur: Das Virus bleibt. Der Unterschied im Vergleich zur Hilflosigkeit von Anfang 2020 ist aber, dass wir nun – wie bei vielen anderen Krankheitserregern – einen großen „Werkzeugkasten“ haben. Damit liegt es in unserer Hand, einen Zustand mit möglichst wenig Todes- und schweren Krankheitsfällen bei gleichzeitig möglichst wenigen Einschränkungen zu erreichen.
Wie der „Werkzeugkasten“ eingesetzt wird, hängt aktuell von der Einschätzung ab, ob eine Situation mit Zehntausenden bis über hunderttausend Ansteckungen pro Tag akzeptabel ist, auch wenn die Krankenhäuser mit der Belastung zurechtkommen. Im Wesentlichen müssen dafür zwei Aspekte beleuchtet werden. Erstens: Führt eine Infektion mit Sars-CoV-2 auch bei Geimpften zu lang anhaltenden Beschwerden (Long Covid oder andere), auch wenn sie kurzfristig nichts zu befürchten haben? Und wie verhält sich das bei den Kindern? Zweitens: Entstehen neue Varianten oder kehren bereits bekannte zurück, und wie gut schützen unsere Impfstoffe vor diesen Varianten? Und wie gut greifen die aktuell vorhandenen Therapien?

Keine dieser Fragen kann zu diesem Zeitpunkt abschließend beantwortet werden. Inzwischen wissen wir, dass Long Covid – monatelange Beschwerden wie Erschöpfung oder Konzentrationsschwäche – auch auftreten kann, wenn die akute Phase der Infektion nicht schwerer als eine Erkältung verläuft. Auch wenn einzelne Studien eine deutliche Reduktion dieser Symptome bei Geimpften zeigen, gibt es dazu noch keinen wissenschaftlichen Konsens. Die Förderung und genaue Analyse solcher Studien sollten daher eine Priorität werden, und Strukturen müssen im Gesundheitssystem geschaffen werden, um diese Patienten angemessen zu versorgen.
Noch immer wenig Daten zu den langfristigen Auswirkungen auf Kinder
Zu der Frage, wie sich eine Ansteckung mit Sars-CoV-2 langfristig auf Kinder auswirkt, gibt es noch wenige Daten, was angesichts der enorm schnellen Ausbreitung der Omikron-Varianten in Kindergärten und Schulen sehr ungünstig ist. Auch wenn schwere Covid-19-Krankheitsverläufe oder das nach wenigen Wochen auftretende Multi-Entzündungs-Syndrom PIMS/MIS-C selten sind: Pro Woche kommen in diesem Winter in Deutschland 100 Kinder wegen Covid-19 beziehungsweise 20 wegen PIMS ins Krankenhaus.
Hinzu kommen die noch nicht genau eingrenzbaren Langzeitfolgen auch bei Kindern. Long Covid ist bei Kindern selten. Jeder Fall ist aber tragisch, und wenn sich, wie in diesem Winter, ein Viertel bis die Hälfte aller Kinder ansteckt, so ist das für die gesamte Bevölkerung relevant. Zudem gibt es Hinweise, dass beispielsweise Autoimmunkrankheiten nach einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 auftreten könnten. Auch hier gibt es noch große Lücken in der Forschung.
Die zweite Frage zu neuen Varianten kann naturgemäß noch nicht beantwortet werden. Aber davon, dass sich weitere neue Varianten durchsetzen werden, kann mit hoher Sicherheit ausgegangen werden. Wir können auch keinesfalls darauf vertrauen, dass das Virus mit der Zeit milder und harmlos wird. Vor allem unser Immunitätsstatus bestimmt, wie gut wir vor Infektionswellen mit neuen Varianten geschützt sein werden. Dabei ist es wichtig, frühzeitig neue Varianten zu erkennen und die Infektionsdynamik auch in Zukunft weiterzuverfolgen – zum Beispiel durch Abwasser-Monitoring oder eine stichprobenartige repräsentative Überwachung des Infektionsgeschehens in der Bevölkerung. Je schneller wir reagieren und vorbereitet sind, desto besser werden wir mit neuen Wellen zurechtkommen.
Das Virus in den kommenden Monaten in den Griff kriegen
Was ist in den kommenden Monaten konkret anzugehen? Dazu vier Punkte: wenig belastende Maßnahmen, Impfungen, Therapien und Daten. Ein wesentlicher Teil der Pandemie-Maßnahmen sind neben den Tests sowie generellen Regeln wie Maskenpflicht in geschlossenen Räumen die 2G/3G-Regelungen. Mittlerweile haben die vielen Änderungen zu teilweise inkonsistenten und für die Bürgerinnen und Bürger kaum nachzuvollziehenden Vorgaben geführt. Hier ist es an der Zeit, auszumisten und Regeln zu vereinfachen.
Der aktuelle Engpass bei den PCR-Tests zeigt, dass in Deutschland das bisherige System der Diagnoselabore in einer Pandemie an Grenzen stößt. In Wien hingegen wird demonstriert, wie mit Gurgel-PCRs mehr als hunderttausend Menschen täglich mit geringen Kosten getestet werden können. Ähnlich wie bei Lufthygiene-Techniken wie Luftfiltern, Raumluftventilatoren oder CO2-Messgeräten gilt: Funktionierende Systeme sollten jetzt aufgebaut beziehungsweise erhalten werden, sodass sie bei einem neuerlichen Anstieg von Infektionen mit Sars-CoV-2 oder anderen noch unbekannten Erregern schnell wieder einsatzfähig sind.
Auch jetzt gilt es noch, möglichst viele Menschen von den großen Vorteilen der Impfung zu überzeugen. Grundsätzlich ist der Schutz möglichst vieler Menschen mit drei Immunisierungen (idealerweise durch Impfung) nach wie vor für alle wichtig – jetzt auch mit dem Protein-Impfstoff von Novavax für diejenigen, die kein Vertrauen in die mRNA-Impfstoffe haben. Dies kann nur durch gute Aufklärung erfolgen – hier spielen die Haus- und insbesondere Kinderärzte eine Schlüsselrolle, denn auch bei den Fünf- bis Elfjährigen ist die Impfquote trotz Zulassung sehr gering, und auch bei den Zwölf- bis 17-Jährigen ist noch viel Luft nach oben.
Impfungen mit Nasensprays sollten zur Zulassung gebracht werden
Darüber hinaus könnte eine vielleicht jährliche oder zweijährliche, eventuell an aktuelle Varianten angepasste Impfung sinnvoll sein – ähnlich wie jetzt schon bei der Grippe für Menschen über 50 Jahre oder mit relevanten Vorerkrankungen oder solche in Gesundheits-, Erziehungs- und Pflegeberufen. Obwohl insbesondere die mRNA-Impfstoffe sehr wirksam sind, sollten Impfungen mit Nasensprays zur Zulassung gebracht werden. Von diesen ist zu erwarten, dass sie eine bessere lokale Immunität in den Schleimhäuten bewirken als die aktuellen Impfstoffe.
Die Schleimhautimmunität ist so wichtig, um die Virusvermehrung in den Atemwegen und damit einhergehend auch die Virusweitergabe zu vermindern. Auch wiederkehrende Sars-CoV-2-Infektionen erzeugen diese so wichtige Schleimhautimmunität – sie sollten jedoch erst erfolgen, wenn eine solide Immunität durch drei Impfungen aufgebaut wurde, denn so können schwere Verläufe sehr effektiv verhindert werden. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist das kontinuierliche Vorantreiben der Entwicklung neuer Therapien wie antivirale Wirkstoffe oder monoklonale Antikörper.
Bessere, kontinuierliche Datenerhebungen sind dringend notwendig
Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, wie wichtig gute Datenerhebungen sind – nicht nur um die Pandemie zu verstehen, brauchbare Vorhersagen zu treffen sowie schnell und effizient zu reagieren, sondern auch für die Kommunikation und Glaubwürdigkeit politischen Handelns. Aufbau und Umsetzung von Digitalisierung, Datensammlung und -auswertung insbesondere bei Behörden wie den Gesundheitsämtern, dem Robert-Koch- oder dem Paul-Ehrlich-Institut sind und bleiben eine dringende Mammutaufgabe. Vorbild könnte hier die Health Security Agency in Großbritannien sein, die fantastische Auswertungen quasi in Echtzeit liefert – von denen auch Deutschland massiv profitiert hat. Hier wäre in der Politik der lange Atem nötig, eine strategische Neuordnung im Hinblick auf zukünftige Pandemien zu etablieren.
Das Virus hat Schwächen offengelegt in unserer Gesellschaft – und zugleich gezeigt, dass wir fähig sind, mit einer solchen Herausforderung umzugehen, gerade auch durch wissenschaftliche Erkenntnisse, durch Zusammenarbeit, stringentes politisches Handeln und einen konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs. Wichtig ist jetzt, einen verantwortungsvollen Übergang in die nächste Phase zu wählen: mit Infektionsschutz durch Impfung und relativ wenig einschränkenden Praktiken wie dem Tragen von Masken, kombiniert mit einer Zurücknahme von kontakteinschränkenden Maßnahmen und aussagekräftigem Virusmonitoring. Damit besteht die Chance, die von Sars-CoV-2 verursachte Krankheitslast in Schach zu halten und damit unser Leben nicht mehr derart von einem Virus bestimmen zu lassen.
Melanie Brinkmann ist Professorin für Virologie an der Technischen Universität Braunschweig. Seit Dezember 2021 ist sie stellvertretende Vorsitzende des Expertinnenrates der Bundesregierung, der auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Covid-19-Pandemie berät (und Empfehlungen für die Pandemiebewältigung erarbeitet). Emanuel Wyler ist Molekularbiologie am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in der Helmholtz-Gemeinschaft.