Erster Corona-Totimpfstoff in Europa vor der Zulassung: Hoffnung für Skeptiker?

Die EMA will noch vor dem Jahresende das Vakzin von Novavax zur Zulassung in Europa empfehlen. Was ist hier anders als bei den anderen Impfstoffen?

Der Impfstoff von Novavax könnte der fünfte zugelassene Impfstoff gegen Corona in Deutschland sein.
Der Impfstoff von Novavax könnte der fünfte zugelassene Impfstoff gegen Corona in Deutschland sein.imago/Martin Wagner

Berlin-In Deutschland sind bisher fast 70 Prozent der Menschen vollständig gegen Corona geimpft. Zu jenen, die sich bisher nicht impfen ließen, gehören neben Impfgegnern auch Skeptiker. Diese befürchten bisher unbekannte Langzeitfolgen durch die mRNA-Impfstoffe und wollen lieber auf einen sogenannten Totimpfstoff warten, der auf lang bewährten Technologien beruht, wie sie sagen. Noch in diesem Monat will die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den ersten dieser Impfstoffe gegen Corona zur Zulassung empfehlen: das Vakzin von Novavax. Die Entscheidung fällt möglicherweise am kommenden Montag, dem 20. Dezember, wie die EMA am Donnerstag ankündigte.

Damit könnten auch in Deutschland bald fünf Impfstoffe zur Verfügung stehen: zwei mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, zwei Vektorimpfstoffe von Astrazeneca und Janssen (Johnson & Johnson) sowie der Totimpfstoff von Novavax. Der Hersteller aus den USA hat Mitte November 2021 die Zulassung in der EU beantragt. Bereits seit Februar werden die Daten der Impfstoffs in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren parallel geprüft, sodass der formelle Antrag recht schnell gestellt werden konnte. Ein weiterer Kandidat ist der Totimpfstoff des französisch-österreichischen Biotechnologie-Unternehmens Valneva.

Ermutigend auch für den Schutz vor neuen Virusvarianten

In der entscheidenden Phase-3-Studie mit fast 30.000 Probanden zeigte der Impfstoff von Novavax eine Wirksamkeit von etwa 90 Prozent gegen Covid-19 jedweden Schweregrads, frühestens eine Woche nach der zweiten Dosis. Der Schutz vor mittelschweren und schweren Erkrankungsverläufen lag sogar bei 100 Prozent. Bei Tests gegen „besorgniserregende“ Virusvarianten wie Alpha, Beta und Delta ergab sich, dass eine dritte Auffrischungsimpfung nach sechs Monaten zu Antikörperreaktionen geführt hätte, die „ermutigend für den Schutz vor neuen Varianten“ seien, wie Novavax schreibt. Zurzeit laufen nach Angaben des Unternehmens Studien zur Anpassung des Impfstoffs an Omikron. Bisher sei es bei Novavax nicht zu schwerwiegenden Nebenwirkungen – etwa Blutgerinnsel oder Herzproblemen – gekommen, heißt es. Dafür war die Probandenzahl insgesamt noch recht klein und die Beobachtungszeit recht kurz.

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Was ist nun der Unterschied der Impfstoffe? „Impfstoffe können unterteilt werden in Lebendimpfstoffe, Totimpfstoffe und Antigenimpfstoffe“, erklärt der Berliner Molekularbiologe Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin. Bei Lebendimpfstoffen, wie zum Beispiel gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken, werde ein abgeschwächtes Virus verwendet, das kaum krank macht, aber Immunität erzeugt. Bei Antigenimpfstoffen wiederum nutze man ein Stück des Erregers, das sogenannte Antigen, meist ein Protein, umgangssprachlich Eiweißstoff. So geschehe es etwa bei Hepatitis B oder der Herpes-Zoster-Impfung für Ältere.

Bei den Corona-Impfstoffen ist es das sogenannte Spike-Protein, das auf der Oberfläche des Virus sitzt. Mit ihm dockt das Virus an den Zellen an. Und es ist auch der wichtigste Angriffspunkt für das Immunsystem. Das Besondere bei den bisher verwendeten Corona-Impfstoffen ist, dass nicht das Spike-Protein selbst, sondern die Erbinformation dafür in den Körper eingeschleust wird. Hier unterscheidet sich vor allem die Art des Transports. Bei den Vektorimpfstoffen wie von Astrazeneca bauen Forscher das Genmaterial – in diesem Fall DNA-Schnipsel des Spike-Proteins – in ein zuvor unschädlich gemachtes, harmloses Virus ein. Genutzt werden Adenoviren, die sehr häufig vorkommen.

Totimpfstoff vermehrt sich im Körper nicht mehr

Bei mRNA-Impfstoffen wie von Biontech und Moderna wird der Bauplan für das Spike-Protein in eine Nano-Lipidhülle „verpackt“ und injiziert. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die sogenannte Messenger-RNA (mRNA), die im Körper als Bote dient, um im Erbgut gespeicherte Informationen zu den Proteinfabriken in den Zellen zu bringen. Diese können das Spike-Protein nachbauen und so das Immunsystem damit bekannt machen, damit es Antikörper dagegen bilden kann.

Beim Totimpfstoff jedoch wird das richtige Virus genommen, aber mit Chemikalien inaktiviert, wie das zum Beispiel bei der Impfung gegen Polio geschieht. Das Immunsystem erkennt das Virus oder Bestandteile davon als Fremdkörper und bildet dagegen Antikörper aus. „Der Totimpfstoff heißt Totimpfstoff, weil er sich im Körper nicht vermehrt“, erklärte die saarländische Immunologin Martina Sester dem Sender BR24. „Das, was in der Spritze drin ist, das allein wirkt quasi als Impfstoff.“

Beim neuen Corona-Impfstoff von Novavax wurde das Spike-Protein – das bei bisherigen Impfungen vom Körper selbst produziert wird, weil er nur den Bauplan dafür bekommt – massenhaft in Insektenzellen reproduziert, ganz konkret: mithilfe von Baculoviren in Zellen von Nachtfaltern. Das Immunsystem kann nach der Impfung sofort Antikörper gegen das Protein ausbilden. „Wenn man eine Impfung macht, muss man aber nicht nur etwas vom Virus geben, sondern auch einen Aktivator des Immunsystems“, erklärt Emanuel Wyler. Diesen brauche man bei den bisherigen Corona-Impfungen nicht. Denn diese aktivierten das Immunsystem schon selbst sehr stark, was unter anderem an den nicht selten deutlichen Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Fieber, Kopfschmerzen und so weiter zu erkennen sei.

Der neue Impfstoff braucht einen Wirkverstärker

Die das Immunsystem aktivierenden Stoffe werden Adjuvanzien genannt. Bereits seit langem wird dafür Aluminium genutzt. „Novavax verwendet dafür eine Substanz, die ursprünglich aus der Rinde des Seifenrindenbaums kommt, ein sogenanntes Saponin“, sagt Wyler. Der Vorteil dabei sei die Art und Weise, wie dieses Saponin-Adjuvans das Immunsystem aktiviere, denn es stimuliere auch die T-Zellen, die bei Sars-CoV-2 wohl wichtig seien für einen längerfristigen Schutz vor schwerer Krankheit.

Bei einem speziellen Typ von T-Zellen, den sogenannten T-Helferzellen, werde vor allem ein ganz bestimmter Teil (Th1) aktiviert. Das sei bei Impfungen gegen Viren sehr wichtig, weil eine starke Aktivierung eines anderen Teils (Th2) dazu führen könne, dass eine Impfung die Krankheit sogar noch verschlimmert – wie es beim traditionellen Verstärker Aluminium der Fall sein könnte. Dabei komme es zu einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, genannt: vaccine-associated enhanced respiratory disease (VAERD). „Das ausgeklügelte beim Novavax-Impfstoff ist also nicht das Antigen selber, sondern das verwendete Adjuvans“, sagt Wyler.

Forscher hoffen, dass die bereits seit langem bewährte Technologie nun viele bisherige Impfskeptiker bewegt, sich doch noch impfen zu lassen. Einige verweisen aber darauf, dass das Vakzin von Novavax kein klassischer Totimpfstoff sei, weil er ja keine unschädlichen Sars-CoV-2-Viren nutze, sondern nur das Spike-Protein. „Kann man bitte aufhören, den Impfstoff von Novavax als Totimpfstoff zu bezeichnen? Es ist ein rekombinanter Proteinimpfstoff“, schreibt zum Beispiel Florian Krammer, Professor für Impfstoffkunde an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York City. Der Impfstoffforscher Torben Schiffner sagte dem Sender MDR, dass sich die Technologie von proteinbasierten Vakzinen bei der Herstellung von Grippeimpfstoffen über viele Jahre bewährt habe.

Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vermutete – noch vor seinem Amtsantritt –, warum Novavax als Totimpfstoff bezeichnet werde, und zwar, „weil so viele Ungeimpfte nur Totimpfstoff wollen, warum auch immer“. Und er erinnerte daran, dass sich die mRNA-Corona-Impfstoffe, anders als das Vakzin von Novavax, bereits „milliardenfach bewährt“ hätten.

Impfstoff von Novavax soll vor allem in Entwicklungsländern eingesetzt werden

Forscher verweisen auch seit langem darauf, dass es die von manchen befürchteten späten Folgen bei den mRNA-Impfstoffen nicht geben werde. Langzeitfolgen träten innerhalb von Tagen und Wochen auf. Es sei wichtig zu verstehen, „dass der Impfstoff wieder aus dem Körper verschwindet“, sagte zum Beispiel der Infektiologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité in einem Interview mit der Zeit. „Er reichert sich nicht an, wie manche Medikamente, die dadurch noch nach Jahren zu Krankheiten führen können.“ Die mRNA-Impfstoffe seien keine Gen-Impfstoffe. „Unsere Gene bestehen aus DNA. RNA hingegen ist nur ein Bauplan, der benutzt wird, um Eiweiße herzustellen, im Falle der Coronavirus-Impfung das Stachelprotein des Virus.“ Dieser Bauplan sei nur für kurze Zeit in der Zelle verfügbar und werde dann abgebaut. „Unsere Zellen sind zu jeder Zeit voll mit diesem Bauplan.“ Und weil die Zellen sich ständig an unterschiedliche Gegebenheiten anpassen müssten, sei es wichtig, dass die gebildete RNA auch schnell wieder abgebaut werde.

Die Frage ist, welch eine Rolle der Impfstoff von Novavax bei der Pandemiebekämpfung spielen wird. Im August 2021 schloss die Europäische Kommission mit Novavax einen Vertrag über die Lieferung von bis zu 100 Millionen Impfstoffdosen mit einer Option auf weitere 100 Millionen Dosen. Da der Impfstoff von Novavax leicht zu transportieren und zu lagern ist, soll er nach Vorstellungen des Unternehmens selbst eine wichtige Rolle bei Impfkampagnen in den Entwicklungsländern spielen. Novavax-Chef Stanley Erck sagte bereits im Sommer: „Viele unserer ersten Dosen werden in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen gehen, und das war von Anfang an das Ziel.“