Gefährliche Forschungen: Stammt das Coronavirus aus dem Labor?
Neue Einschätzungen aus den USA erhärten die Theorie, dass Sars-CoV-2 aus einem Labor in Wuhan stammt. Diese Möglichkeit muss offen diskutiert werden.

Das Coronavirus Sars-CoV-2, das nach WHO-Angaben weltweit etwa 6,8 Millionen Todesfälle verursacht haben soll, stammt wahrscheinlich aus dem Labor. Zu diesem Ergebnis kommt ein Geheimdienstbericht, der jüngst dem Weißen Haus und bestimmten Mitgliedern des Kongresses in den USA vorgelegt wurde, wie verschiedene US-Medien berichtet haben.
Was drinsteht, gilt als Verschlusssache. Es soll neue Erkenntnisse geben, heißt es. Zumindest vertritt jetzt neben dem FBI auch das Energieministerium die Einschätzung, dass die Corona-Pandemie Ergebnis einer chinesischen Laborpanne sei – allerdings nur mit einem geringen Grad an Vertrauen („low confidence“).
Dennoch wiegt das Umschwenken des Energieministeriums nach Auffassung des Wall Street Journals und anderer Zeitungen schwer, denn die Behörde verfüge über beträchtliches Fachwissen, beaufsichtige selbst ein Netz von 17 US-Laboratorien, in denen auch „fortschrittliche biologische Forschung“ betrieben werde, und besitze ein eigenes Geheimdienstbüro, das dem Ursprung des Coronavirus nachgehe.
Streit zwischen China und den USA behindert sachliche Klärung
Vier US-Geheimdienstbehörden sowie ein nationales Geheimdienstgremium sind den Berichten zufolge aber weiter der Auffassung, dass das Virus wahrscheinlich auf natürlichem Wege vom Tier auf den Menschen übertragen wurde. Zwei andere sind noch unentschlossen. „Im Moment gibt es noch keine endgültige Antwort der Geheimdienste auf diese Frage“, erklärte Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von Joe Biden. Die CIA bleibe einem Bericht der britischen Zeitung The Guardian zufolge weiter unentschlossen zwischen beiden Theorien. Zumindest hätte bereits die Untersuchung von 2021 die übereinstimmende Ansicht erbracht, „dass Covid-19 nicht Teil eines chinesischen Programms für biologische Waffen war“.
Um es gleich zu sagen: Die Situation ist für eine sachliche wissenschaftliche Klärung der Herkunft von Sars-CoV-2 äußerst ungünstig. Dies zeigte schon der Schlagabtausch zwischen den USA und China nach den neuesten Erklärungen. So warf der FBI-Chef Christopher Wray der chinesischen Regierung vor, ihr Bestes getan zu haben, um die Aufklärungsarbeit „zu vereiteln und zu verschleiern“.
China schoss zurück, dass man die Ursache nach dem Ursprung des Virus nicht politisieren dürfe. Man solle aufhören, die Labor-Theorie aufzubauschen und China zu verleumden, sagte Mao Ning, die Sprecherin des Außenministeriums. Ganz offensichtlich ist der Streit nur ein Teil der großen Konfrontation zwischen China und den USA.
„Verschwörung“ kontra „Geschwurbel“ und „Fake News“
Auch gibt es zwischen den Anhängern der Thesen eines Laborlecks („Lab Leak“) und einer Zoonose (Übertragung von Tier auf Mensch) eine Art Glaubenskrieg. Die sachliche Gegenüberstellung von Argumenten ist kaum möglich. Die Debatte findet auf der Ebene „Verschwörung“ kontra „Geschwurbel“ und „Fake News“ statt. Was völlig unsinnig ist – denn die Gefahren für beide Möglichkeiten sind generell gegeben. Und dies muss offen diskutiert werden.
China beharrt darauf, dass die WHO 2021 festgestellt habe, dass eine Laborpanne „höchst unwahrscheinlich“ sei. Eine 13-köpfige WHO-Untersuchungskommission hatte Anfang 2021 die zentralchinesische Stadt Wuhan besucht. Vom dortigen Markt für Meeresfrüchte (Huanan Seafood Market) soll die Pandemie Ende 2019 ihren Ursprung genommen haben, wie es recht bald nach den ersten Ausbrüchen von Covid-19 hieß. Es ist ein Feinkostmarkt, auf dem auch lebende und geschlachtete Wildtiere verkauft wurden, darunter mögliche Zwischenwirte für das Coronavirus.
WHO-Chef forderte weitere Untersuchungen zu möglichem Laborleck
Allerdings liegt in der gleichen Stadt auch das Wuhan Institute of Virology (WIV), das mit etwa 1500 Erregerstämmen die größte Virusbank Asiens beherbergt und seit 2015 ein Forschungsprogramm zu Fledermaus-Coronaviren durchführte. Dazu gibt es ein Gesundheitszentrum, aus dessen Labor das Virus möglicherweise auch freigesetzt worden sein könnte.
Forscher beklagten schon 2021, dass China den WHO-Experten in Wuhan den Zugang zu wichtigen Rohdaten verwehrt habe. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus forderte daraufhin weitere Untersuchungen, die gezielt auch der Frage nachgehen sollten, ob Sars-CoV-2 aus einem Labor in Wuhan entwichen sein könnte. Doch China lehnte ab.

Im Kern geht es um die sogenannte Gain-of-Function-Forschung, übersetzt Funktionsgewinn-Forschung. Diese ist leider keine Verschwörungstheorie. In vielen Hochleistungslaboren der Welt versucht man – etwa mit gentechnischen Methoden – Viren gezielt zu verändern, um Informationen über ihre potenzielle Übertragbarkeit und Gefährlichkeit zu gewinnen. Und daraus bestimmte Schlüsse zu ziehen.
So manipulierten zum Beispiel Forscher aus den USA, den Niederlanden und China vor zehn Jahren das Vogelgrippevirus H5N1 so, dass es auch für Säugetiere infektiös wurde. Bereits im Jahre 2000 war im Labor auch eine Coronavirus-Mutante geschaffen worden, die Artgrenzen überschritt, damals von Mäusen auf Katzen.
Riskante Gain-of-Function-Forschung am Institut in Wuhan
Solche Forschungen sollen auch am Wuhan Institute of Virology (WIV) stattgefunden haben. In diesem war 2015 das erste Labor Chinas mit der höchsten Schutzstufe BSL-4 eingeweiht worden, mit Dreikammer-Schleuse, Unterdruck, Arbeit unter Vollschutz und Dekontamination. Dennoch gibt es zu einem möglichen Entweichen aus diesem oder einem anderen Labor Wuhans eine Reihe von „schwerwiegenden Indizien“, zusammengestellt unter anderem im Jahre 2022 vom Physiker Roland Wiesendanger von der Universität Hamburg.

Wiesendanger wurde dafür heftig angegriffen, seine Indizien wurden als „unwissenschaftlich“ bezeichnet. Dabei hatte die Washington Post schon 2020 berichtet, dass Wissenschaftsdiplomaten der US-Botschaft das Institut in Wuhan 2018 mehrfach besucht und zwei offizielle Warnungen nach Washington gesandt hätten – „wegen unzureichender Sicherheit im Labor, das riskante Studien über Coronaviren von Fledermäusen durchführte“. Unter anderem fehle es an gut ausgebildetem Personal, hieß es. Auch bei einer chinesischen Sicherheitsüberprüfung seien bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie erhebliche Sicherheitsmängel am Institut dokumentiert worden, heißt es.
Übrigens hatten Forscher der Cambridge Working Group bereits 2014 auch auf eine Häufung von Laborunfällen in den USA hingewiesen. Doch andere Wissenschaftler entgegneten, dass nur ein sehr geringer Teil dieser Forschung potenzielle Pandemie-Erreger betreffe.
Dass solch eine riskante Forschung aber zum Beispiel in Wuhan stattfand, bestätigte sogar der Berliner Virologe Christian Drosten in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Februar 2022. Von den Berichten darüber sei er selbst „überrascht“ gewesen sei, sagte er. Von dieser Forschung hätten „einige Leute in den USA“ gewusst, ohne die Öffentlichkeit frühzeitig darüber zu informieren.
Die viel diskutierte Furinspaltstelle
Drosten meinte damit Experimente im Rahmen eines Projekts der amerikanischen NGO Ecohealth Alliance, sich auf Forschungen zur Verhinderung von Pandemien und zur Förderung des Naturschutzes in weltweiten Hotspot-Regionen konzentriert und hauptsächlich von US-Bundesbehörden finanziert wird, wie es in einer Darstellung heißt.
„Dabei wurden Fledermausviren mittels Gentechnik neue Spikeproteine eingebaut“, erzählte Drosten. „Es zeigte sich, dass die so konstruierten Viren sich besser vermehren konnten. Es wurde auch bekannt, dass Pläne zum Einbau von Furinspaltstellen bestanden, aber das sollte in einem amerikanischen Labor gemacht werden, und das Projekt wurde nicht finanziert.“
Bei einer Furinspaltstelle handelt es sich um eine molekulare Struktur am Spikeprotein des Virus, die durch das menschliche Enzym Furin gespalten werden kann, was die Bindungsfähigkeit des Virus an neue Zellen wesentlich verbessert. Dass bei Sars-CoV-2 diese Stelle existiert, durch die das Virus – kombiniert mit speziellen Zellrezeptor-Bindungsdomänen – erstaunlich gut in menschliche Zellen eindringen kann, weise darauf hin, dass der Ursprung von Sars-CoV-2 „nicht-natürlich“ sei, so die Verfechter der Laborthese. Denn bei anderen Coronaviren sei sie bislang nicht bekannt gewesen.
Enge Zusammenarbeit von Amerikanern mit Forschern aus Wuhan
Andere Forscher argumentierten, dass das Coronavirus selbst während der Pandemie die Furinspaltstelle durch Mutationen mehrfach entscheidend verbessert habe und somit noch viel ansteckender geworden sei als das Ursprungsvirus aus Wuhan.
Dieses Virus sei für eine Kreation aus dem Labor nicht so perfekt an den Menschen angepasst gewesen, wie es dargestellt werde. Die Veränderungen seien zugleich ziemlich umständlich vorgenommen worden. Drosten selbst wies darauf hin, dass sein Team mit Sars verwandte Fledermausviren gefunden habe, „bei denen nur eine Mutation nötig wäre, und dann hätten diese Viren auch so eine Furinspaltstelle ähnlich der von Sars-CoV-2“. Ein natürlicher Evolutionsschritt ist für die Forscher also möglich und naheliegend.
Dennoch gibt es weiter Widerspruch. Und es bleibt auch der Hinweis, dass es Pläne gegeben habe, Furinspaltstellen im Labor in Viren einzubauen. Solche Pläne soll Kritikern zufolge der britisch-amerikanische Infektionsepidemiologe Peter Daszak verfolgt haben, Präsident der bereits erwähnten, in New York ansässigen NGO Ecohealth Alliance. Diese arbeitete eng mit dem Labor in Wuhan zusammen.
2018 soll Daszak beim Pentagon die Finanzierung eines Versuchs beantragt haben, die Furinspaltstelle in Coronaviren einzubauen. Hat er – als das Pentagon ablehnte – den Antrag in Wuhan eingereicht? Daszak selbst nannte die Labortheorie übrigens „puren Quatsch“ („pure baloney“) und verteidigte die Professionalität der Labormitarbeiter in Wuhan.
Die „Fledermausfrau“ warnte im März 2019 vor einer Corona-Epidemie
Daszaks enge Forschungskollegin in Wuhan war die chinesische Virologin Shi Zhengli, die auch als „Bat Woman“ („Fledermausfrau“) bekannt wurde. Sie war etwa auch an einem internationalen Projekt unter der Leitung des US-Biologen Ralph Baric beteiligt. Die Forscher erzeugten hier 2015 ein „chimäres Virus“ aus Fledermaus-Coronaviren und Sars-Viren, das zeigte, welch gefährliches pandemisches Potenzial Coronaviren für Menschen haben. Man habe das nicht genügend ernst genommen, sagen Virologen heute. Interessant ist auch, dass Shi Zhengli bereits im März 2019 davor warnte, dass von Fledermäusen übertragene Coronaviren bald in China höchstwahrscheinlich eine neue Infektionswelle auslösen würden.
Natürlich klärt all das nicht die Frage, ob Sars-CoV-2 wirklich aus dem Wuhan-Labor entwichen ist. Es zeigt nur, wie intensiv Forscher an heiklen Versuchen arbeiteten, die ein Virus tödlicher oder ansteckender machen sollten, um daraus Schlussfolgerungen zur Bekämpfung möglicher Pandemien zu ziehen, wie es heißt.
„Man hätte schon am Anfang, als diese öffentlichen Vorwürfe kamen, offensiv und proaktiv kommunizieren müssen, was dort im Labor gemacht wurde“, sagte Drosten im Interview. Shi Zhengli zumindest erklärte, sie schwöre bei ihrem Leben, dass die Pandemie „nichts mit unserem Labor zu tun hat“.
Wo ist eigentlich der Zwischenwirt geblieben?
Die Anhänger der Labortheorie verweisen auch darauf, dass man bis heute kein Zwischenwirt-Tier gefunden habe, über das Sars-CoV-2 von den Fledermäusen auf den Menschen übergesprungen sein könnte. Die Tiere lebten in Höhlen in südchinesischen Provinzen, 2000 Kilometer entfernt von Wuhan. Sie würden nicht auf dem Markt in Wuhan angeboten. Dafür aber gebe es seit Jahren diese Fledermausviren-Forschung in Wuhan.
Auch existierten Berichte des Wall Street Journal, dass im November 2019 drei Mitarbeiter des Instituts so schwer erkrankt seien, dass sie ins Krankenhaus gemusst hätten. Wobei die Symptome sowohl zu Covid-19 passten als auch zu einer saisonalen Erkältung. Laut Wiesendanger soll sich das Virus bereits im Oktober 2019 vom virologischen Institut aus verbreitet haben.
Die Befürworter der Zoonose-These halten mit ihren Studien dagegen. So meldete sich vor einigen Tagen die US-Virologin Angela Rasmussen und verwies auf eine Studie, die 2022 im Fachjournal Science erschien. Sie hatte darin mit anderen den Ursprung des Virus analysiert. Die Ergebnisse zeigten, dass sich „die meisten der frühesten Fälle bei Menschen“ auf den Huanan-Markt konzentrierten.
Erste Fälle des Pandemie-Virus konzentrieren sich auf den Markt
Sie häuften sich – wie auch die viruspositiven Umweltproben – „statistisch in einem Bereich, in dem sich Verkäufer von lebenden Wildtieren versammelten“. Dass ein Zwischenwirt bisher nicht gefunden wurde, soll daran liegen, dass die lebenden Wildtiere zum Zeitpunkt der Untersuchungen bereits abtransportiert worden waren. Im Verdacht stehen unter anderem Marderhunde, Nerze oder Schleichkatzen.

Die Situation zu Beginn von Covid-19 war Forschern zufolge anders als die beim Ausbruch der Sars-Pandemie 2002. Damals wurden Schleichkatzen, die den direkten Vorfahren des Sars-Virus in sich trugen, wenige Monate nach dem Ausbruch gefunden. Man habe gezielter nach dem Zwischenwirt in der Umgebung der ersten Fälle gesucht und nicht massenhaft Tiere getötet, wie es heißt. Dadurch habe man großes Glück gehabt.
Was bei der Covid-19-Pandemie noch interessant ist: Schon früh hatten Forscher entdeckt, dass es im Februar 2020 bereits zwei virale Abstammungslinien von Sars-CoV-2 gab, die sich anfangs nur durch zwei Mutationen unterschieden. Die Forscher nannten sie A und B. Es gab also „mindestens zwei getrennte artenübergreifende Übertragungsereignisse auf den Menschen“, so die Erkenntnis. Die Frage ist also: Begann diese Pandemie wirklich auf dem Huanan-Markt oder schon viel früher?
Zwei verschiedene Viruslinien von Sars-CoV-2 zu Beginn der Pandemie
Der Stamm B des Virus wurde am 24. Dezember 2019 erstmals identifiziert – und zwar bei einer Person, die auf dem Huanan-Markt war. Und alle auf dem Markt gesammelten Proben konzentrierten sich auf den Stamm B. Der Stamm A dagegen wurde später entdeckt, und zwar in Proben, die im näheren Umkreis des Marktes gesammelt wurden, aber keine direkte Verbindung zu dem Ort zu haben schienen.
Stamm A war genetisch auch näher mit dem in Fledermäusen vorkommenden Virus verwandt. Allerdings machte dann der daraus hervorgegangene Stamm B das „globale Rennen“ und löste die Pandemie aus. Der Markt mit seinen engen Kontakten könnte dabei als Beschleuniger gewirkt haben.
Es braucht weitaus höhere Hürden für bestimmte Forschungen
Die Frage ist: Woher stammte der Stamm A, der ja offenbar verschwand? Kam er aus dem Wuhan-Labor oder von noch weiter her? Etwa von der südchinesischen Provinz Guandong, wo er sich in frühesten Proben fand? Das Virus könnte also bereits einen viel weiteren Weg zurückgelegt haben, durch ein früheres Überspringen auf Wild- und Nutztiere, bevor es in Wuhan so „fit“ wurde, dass es eine Pandemie auslöste. Später entstanden noch „fittere“ Varianten.
Wie auch immer der Streit zwischen Labor- und Zoonose-Verfechtern ausgeht: Man muss das Augenmerk auf beides legen. Dass Zoonosen große Epidemien mit Millionen Toten auslösen können, zeigte die Menschheitsgeschichte, lange bevor es Labore gab. Zugleich sagte Christian Drosten selbst im Interview, dass „in Wuhan durchaus Sachen gemacht wurden, die man als gefährlich bezeichnen könnte“. Er sagte auch: „Es gibt nichts, was es nicht gibt.“ Also müsste die ganze Debatte doch ein Anlass sein, künftig weitaus höhere Hürden für bestimmte Forschungen und bessere Kontrollen zu fordern.