Geliebt und doch bedroht: Rettet unsere Alleen!
Jedes Jahr im Herbst machen Naturschützer auf die Schönheit baumbestandener Straßen aufmerksam. Doch den Alleen geht es gar nicht gut – dabei zeigen Beispiele aus Brandenburg, wie man sie retten könnte.

Berlin/Eberswalde-Jedes Jahr am 20. Oktober macht ein Bündnis aus Naturschützern und Tourismusorganisationen mit dem bundesweiten „Tag der Allee“ nicht nur auf die Schönheit, sondern auch auf die Bedrohung der baumbestandenen Straßen aufmerksam. Jürgen Peters von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde ist Professor für Landschaftsplanung und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit deutschen Alleen und denen in Brandenburg im Besonderen. Er sagt, nur politischer Druck und engagierte Bürger könnten das wichtige Kulturgut retten.
Berliner Zeitung: Herr Peters, haben Sie eine Lieblingsallee?
Jürgen Peters: Ja, und zwar handelt es sich um eine Lindenallee in der Uckermark, die zwischen den Orten Ringenwalde und Poratz verläuft. Die Straße ist mit Feldsteinen gepflastert, die Bäume wurden vor 250 Jahren gepflanzt. Das gibt ein uriges Bild, mit knorrigen Bäumen und den Natursteinen – wunderbar. Ich entdeckte diese Allee Anfang der 90er-Jahre, als ich meine Dissertation schrieb. Das Thema lautete damals: „Alleen und Pflasterstraßen als kulturhistorische Elemente der brandenburgischen Landschaft“.
Worauf gründet sich Ihre Faszination für baumbestandene Straßen?
Als ich Student an der TU Berlin war, kam der Mauerfall und das hieß für uns in West-Berlin, dass wir endlich mal aus der Stadt rauskamen. Die Grenzöffnung bot die Chance, das Umland kennenzulernen und so entdeckte ich auch die Brandenburger Alleen. Damals wurde Matthias Platzeck in Brandenburg Umweltminister und machte sich für den Natur- und Landschaftsschutz stark. Als die Kartierung sämtlicher Alleen des Landes ausgeschrieben wurde, habe ich mich mit meinem Planungsbüro beworben und den Auftrag bekommen. Durch dieses Forschungsprojekt lernte ich die brandenburgischen Alleen kennen und lieben.
Gilt bei Alleen nicht das Motto: Kennst du eine, kennst du alle?
Überhaupt nicht. Schon bei den Baumarten gibt es Unterschiede, manchmal stehen Eichen am Straßenrand, dann wieder Linden oder Kastanien. Hinzu kommen viele Obstbaumalleen an kleineren Wegen. Zum Beispiel finden Sie im Oderbruch, wo ich oft mit meinen Studenten unterwegs bin, Wirtschaftswege, die gesäumt sind von Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäumen. Manche Alleen sind sehr eng an der Straße angelegt, das ergibt dann ein geschlossenes Blätterdach wie in einem Tunnel, andere Alleen sind nach oben hin offen. Die Vielfalt ist also sehr groß.

Seit 1996 unterrichtet er an der Hochschule im brandenburgischen Eberswalde. Dort trat er 2009 eine der bundesweit ersten Forschungsprofessuren an einer Fachhochschule an. Peters ist verheiratet und hat vier Kinder.
Naturschützer und Baumfreunde sprechen von einem Kulturgut.
Völlig zu Recht, denn Alleen haben eine lange Geschichte und üben einen großen ästhetischen Reiz aus. Dieser rührt von der Symmetrie der Baumreihen her, vom Rhythmus, den die Pflanzabstände vorgeben. Anders als bei Hecken hat man, wenn man sie durchfährt oder durchläuft, unter den Kronen hindurch einen Blick in die Landschaft. Hecken verengen den Blick, Alleen weiten ihn.
Wie lange gibt es Alleen in Deutschland schon?
Sie wurden als Element der barocken Gartenkunst Anfang des 17. Jahrhunderts zunächst in den Gutsparks der Herrenhäuser eingeführt. An den Straßen, so wie man es heute kennt, legte man sie seit dem 19. Jahrhundert an, als große Chausseen geplant und trassiert wurden. Anders als Dorfstraßen, die oft geschwungen durch die Landschaft führten, waren diese Chausseen schnurgerade. Sie wurden mit Alleebäumen bepflanzt, um sie auch im Winter erkennbar zu machen, wenn die umliegenden Felder schneebedeckt waren. Damals gab es ja noch keine Leitpfosten. Zudem spendeten die Bäume Schatten für die Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren, die auf den Straßen unterwegs waren.
Sie forschen seit vergangenem Jahr speziell zum Thema Alleenschutz und erfassen dafür auch die Lagen und Längen aller Alleen in Deutschland digital. Wie ist es in Ihren Augen um das beliebte deutsche Kulturgut bestellt?
Um es kurz zu machen: gar nicht gut. Im Osten haben wir seit der Wende einen dramatischen Rückgang erlebt, da durch den plötzlich wachsenden Verkehrsdruck viele Straßen ausgebaut und verbreitert wurden. Dabei kamen viele Alleen in der damaligen DDR unter die Räder, sie wurden ganz entfernt oder es blieb nur noch eine Baumreihe übrig. Im Westen ging die Abholzung schon in den 70er- und 80er-Jahren los, als Automobilverbände im Namen der Verkehrssicherheit erfolgreich Propaganda gegen die Alleen betrieben. Stand jetzt haben wir noch 23.000 Kilometer Alleen im Land – drei Viertel der Alleen sind in den letzten Jahrzehnten verschwunden.

Was ist das Hauptproblem für die Baumreihen?
Am problematischsten sind gesetzliche Regelungen, die vorgeben, dass Bäume an Bundes- und Landesstraßen ohne Leitplanken nur noch mit 7,50 Meter Abstand gepflanzt werden dürfen. Das ist ein viel zu großer Abstand, damit besiegelt man das Verschwinden die Alleen. Hinzu kommt der schleichende Verlust durch die Überalterung der Bäume, die dann nicht nachgepflanzt werden.
Welche Forderungen ergeben sich aus Ihren Forschungen?
Zum einen muss man stärker nachpflanzen, zum anderen an großen Straßen Leitplanken installieren, damit eine enge Baumreihung möglich ist. Wir plädieren dafür, kommunale und landwirtschaftliche Wege wieder stärker zu bepflanzen, schließlich bieten Alleen den besten Schutz gegen Winderosion. Sie haben klimatisch und ökologisch gesehen nur positive Effekte. Alte Alleen sind für Vögel und Fledermäuse ein wichtiger Orientierungspunkt, Eichen und Linden beherbergen seltene Insekten wie den Hirschkäfer oder den Eremit. Und dann sind da auch noch die Touristen: Besucher aus Skandinavien und England finden gerade die Brandenburger Alleen sehr eindrucksvoll, für sie sind die alten Baumbestände an den Straßen etwas ganz besonderes.
Und das Argument der Verkehrssicherheit lassen Sie nicht gelten?
Klar muss man das auch ernst nehmen, und das wird ja mit regelmäßigen Kontrollen der Bäume getan. Doch wenn man nur ein wenig weiter in die Zukunft schaut, dann haben wir bald extrem gut ausgereifte Sicherheitssysteme wie autonomes Fahren, die das Abkommen von der Straße verhindern können. Aber wenn wir nicht aufpassen, gibt es dann keine Alleen mehr und das wäre wirklich tragisch.

Wie wichtig sind Aktionstage wie der 20. Oktober, an dem der BUND auch jedes Jahr in einem Fotowettbewerb die schönsten Alleenbilder prämiert?
Sie sind wichtig, um das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, wobei ich den Eindruck habe, dass die Menschen in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern schon um die Schönheit und Bedeutung von Alleen wissen. Es gibt viele Bürgerinitiativen, die sich für ihren Erhalt einsetzen. Ein schönes Beispiel ist das kleine Straßendorf Friedenfelde in der Uckermark. Dort hat sich die Mehrheit der Bewohner vor zwei Jahren erfolgreich dagegen zur Wehr gesetzt, dass die alte Lindenallee zum Zwecke einer Straßenverbreitung geopfert wird. Die Bäume konnten bleiben – ein toller Erfolg.
Es gab eine Zeit, da war Alleenschutz Chefsache: Preußens König Friedrich Wilhelm IV. ordnete 1841 an, „aufs Strengste darauf zu achten, dass Lichten und Aushauen prachtvoller Alleen, wie solches seine Majestät hier und da bemerkt habe, künftig durchaus unterbleibe.“ Wünschten Sie sich heute wieder ein solches Engagement von oben?
Also einen König möchte ich nicht zurück, aber das ist ein tolles Zitat, das übrigens auch Mitte der 90er-Jahre im brandenburgischen Landtag auftauchte, als es um den Umgang mit den Alleen ging. Insofern verfehlt es auch heute seine Wirkung nicht: Man muss das Thema hochhalten und immer wieder politischen Druck erzeugen.