Die Angst, keinen Parkplatz zu finden: Wann brauche ich eine Selbsthilfegruppe?

Hypochonder-Kolumne: In Berlin macht die Suche nach einem Stellplatz seelisch krank. Eine Konfrontationstherapie lindert das Leid. Finden einige im Parlament.

Autofahrer suchen in Berlin einen Parkplatz: in dieser Straße ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen.
Autofahrer suchen in Berlin einen Parkplatz: in dieser Straße ein scheinbar hoffnungsloses Unterfangen.Reto Klar/imago

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Amaxophobie. Und das kam so: Es war Sonntagabend, ich kehrte von einem Ausflug mit dem Auto zurück, war gut in Fahrt, weil der Verkehr zähflüssig. Jeder normale Mensch wäre erleichtert gewesen, das heimische Wohnviertel erreicht zu haben. Für mich ging der Stress jetzt erst richtig los.

Ich umrundete Häuserblock um Häuserblock und gelangte nach etlichen Umdrehungen wieder an den Ausgangspunkt der Suche. Der Suche nach einem Parkplatz. Vor mir, hinter mir, auf der Gegenspur – Autos im Schneckentempo. Da drüben! Da fuhr jemand aus einer Lücke. Mist! Ein Kamikazepilot stieß seinen PS-Bomber ins Blechvakuum.

Weitersuchen, Radius vergrößern, kurbeln, kurbeln, weiter kurbeln. Endlich fand ich ein freies, auf den Millimeter passgenaues Parkplätzchen. Meine in all den Jahren verfestigten Befürchtungen hatten auch an diesem Abend Nahrung erhalten.

Nach einem Fußmarsch von gefühlten fünf Kilometern erreichte ich meine Wohnung, der Puls beruhigte sich. Ich begann mich zu fragen, ob andere in ähnliche emotionale Notlagen gerieten. Und tatsächlich, das Elend hatte einen Namen, im Internet stieß ich auf ein begriffliches Paradox: Die Panik davor, keinen Stellplatz zu finden.

Sie fällt unter die Angst vorm Fahren, unter Amaxophobie, psychologisch gesehen. Die führt normalerweise zu einer Vermeidungsstrategie, die wiederum dazu führt, dass Betroffene das Auto stehen lassen und dem motorisierten Straßenverkehr fernbleiben. Bei mir bewirkte sie das Gegenteil. Ich fuhr und fuhr und fuhr.

Amaxophobie-Selbsthilfegruppe im Abgeordnetenhaus

Im Netz las ich ein paar Klicks später über Selbsthilfegruppen. Sogar im Berliner Abgeordnetenhaus gab es eine, wie ich nach kurzer Recherche annehmen musste. Sie nannte sich laut übereinstimmenden Medienberichten Bündnis 90/Die Grünen und forderte, die Zahl der Parkplätze in der gesamten Stadt zu halbieren.

Das konnte nur dazu dienen, sich einer Konfrontationstherapie zu unterziehen, die ja darauf basiert, dass sich Patienten einem beängstigenden Reiz aussetzen. Je weniger Parkplätze, desto öfter die Konfrontation, umso größer die Chance auf Heilung.

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Berliner Zeitung/Paulus Ponizak
Hypochonder-Glosse
Christian Schwager ist Redakteur für Gesundheit und schreibt alle zwei Wochen an dieser Stelle über seine eingebildeten Krankheiten.

Das war plausibel, geradezu genial und das Engagement gesamtgesellschaftlich lobenswert, denn an Amaxophobie leiden gar nicht mal so wenige Menschen in Deutschland; die Schätzungen schwanken zwischen zehn und 14 Prozent.

Allerdings suchten die Mitglieder dieser Selbsthilfegruppe ja wohl für sich persönlich den abendlichen Kick durchs Kiezkurven. Falls ich mit meinen Schlussfolgerungen richtig lag. Womöglich standen sie sogar auf eine Art Schleichfahrt-Sadomaso. Womöglich war aber auch alles ganz anders.

Parkplatz-Bingo als Marktlücke

Populärwissenschaftliche Seiten zu Amaxophobie gab es natürlich ebenfalls. Manche beschrieben den Versuch, mit virtueller Realität Beschwerden zu lindern: Leidtragende erleben in einem abgedunkelten Raum auf einem großen Bildschirm in dreidimensionaler Qualität die gefürchteten Situationen: Sei es eine Fahrt über eine sechsspurige Autobahn oder eben das Parkplatz-Bingo.

Die Homepage einer Frauenzeitschrift informierte mich schließlich über Fahrschulen, die sich auf Amaxophobie spezialisiert haben. Einparkschulen für solche Fälle wie mich fand meine Suchmaschine dagegen nicht. Vielleicht mache ich selbst eine auf: Termine sonntags von 17 bis 24 Uhr und nach Vereinbarung. Gegen Gebühr lasse ich andere mit meinem Auto durchs Viertel kreisen. Marktlücke dank Parklücke. Und ganz nebenbei ist die Furcht gebannt.