Long Covid, Post Vac, Fatigue: Deshalb demonstrieren Betroffene heute in Berlin

Millionen sind betroffen, doch die Politik tut viel zu wenig für die Entwicklung von Medikamenten. Die Initiative „Nicht Genesen“ kämpft gegen das Desinteresse.

500 Feldbetten vor dem Reichstag stehen bei einer Demo im Januar für Millionen Menschen, die an ME/CFS leiden.
500 Feldbetten vor dem Reichstag stehen bei einer Demo im Januar für Millionen Menschen, die an ME/CFS leiden.Hannelore Förster/imago

Sie werden an diesem Mittwoch Fotos zeigen. Kinder sind darauf zu sehen, die seit Wochen im Bett liegen müssen. Manche können sich nicht drehen, sich kaum mehr bewegen. Sie leiden an Long Covid oder Post Vac, entwickeln Symptome von ME/CFS, des sogenannten Fatigue-Syndroms. Mit diesen Bildern wird die Initiative „Nicht Genesen“ vor dem Bundesforschungsministerium am Kapelle-Ufer demonstrieren: für die Entwicklung und Erprobung von Medikamenten und Behandlungsmethoden. Für das Recht, wieder am alltäglichen Leben teilzuhaben.

So sieht es Ricarda Piepenhagen, eine der Organisatorinnen der Aktion an diesem Mittwoch, dem Internationalen Long-Covid-Gedenktag. Sie wird um 12.05 Uhr eine Rede halten. Denn bildlich gesprochen ist es kurz nach zwölf, findet sie: „Es gibt immer neue Erkrankte, aber wir bekommen keine Therapie.“ Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat bisher 12,5 Millionen Euro für die biomedizinische Erforschung von Long Covid bewilligt.

Zum Vergleich führt Piepenhagen jene 750 Millionen Euro an, mit denen der Bund zu Beginn der Pandemie die Entwicklung von Impfstoffen förderte. „Dazu kamen 220 Millionen für Arzneimittel, die der Akuttherapie zugutekommen sollten“, sagt Piepenhagen. „Sonderrichtlinien sorgten dafür, dass das Geld unbürokratisch abgerufen werden konnte. Eine solche Regelung brauchen wir jetzt auch.“ Denn: „12,5 Millionen Euro sind viel zu wenig“, sagt die Lehrerin. Sie ist seit November 2021 dienstunfähig.

So wie Piepenhagen geht es Millionen in Deutschland. ME/CFS zählt zu den häufigsten Folgeerkrankungen einer Infektion mit Sars-CoV-2. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sind rund drei Millionen Menschen von Long Covid betroffen. Die Fälle von Post Vac, also gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch eine Corona-Schutzimpfung, sind statistisch nur sehr lückenhaft erfasst, die Beweisführung hierzulande kompliziert. „Long Covid“, sagt Piepenhagen, „haben in Deutschland bis zu 2,3 Millionen Menschen, darunter einige Zehntausend Kinder und Jugendliche. Etwa 40 Prozent dieser Menschen sind von ME/CFS betroffen.“

Long Covid, Post Vac, Fatigue: Verwirrung um ein Medikament

So gut sie können, kämpfen die Erkrankten für sich selbst. Ein Bündnis namens Wir fordern Forschung zum Beispiel hat knapp 300.000 Euro über Crowdfunding eingesammelt, um damit eine Studie an der Universität Erlangen zu finanzieren. Festgestellt werden sollte, ob das Medikament BC 007 des Start-ups Berlin Cures ME/CFS-Patienten hilft, worauf einiges hindeutet. Doch das Unternehmen teilte im vorigen Sommer mit, BC 007 könne für die Studie nicht ausgeliefert werden.

Ein weiteres Medikament könnte ebenfalls eine mögliche Option für die Behandlung von Fatigue sein. Den Grund dafür, dass auch dieses Präparat nicht an Patienten mit Long Covid oder Post Vac getestet wird, umschreibt Ricarda Piepenhagen, wenn sie fordert: „Neben akademischen Studien müssen auch gewerbliche Unternehmen mit zielgerichteten neuen Arzneimittelansätzen vom Bundesforschungsministerium unkompliziert gefördert werden, damit wir Betroffenen so schnell wie möglich mit Medikamenten versorgt werden.“

Nicht weniger als eine humanitäre Katastrophe sieht die Aktivistin aufziehen angesichts der Millionen Betroffenen. Sie unterstreicht das mit einer Zahl: „Geschätzte 50 Milliarden Euro jährlich beträgt der volkswirtschaftliche Schaden“, sagt Piepenhagen. Insbesondere angesichts eines grassierenden Mangels an Fachkräften kann sie das offensichtliche Desinteresse der Politik nicht verstehen. „Die erkrankten Menschen wollen endlich wieder arbeiten.“ Das sagt sie aus eigener Erfahrung.

Piepenhagen hat nachweislich fünf verschiedene Autoantikörper in ihrem Organismus, hat entzündete Gefäße, Zitteranfälle, die an Parkinson erinnern. „Ich komme von diesem Trip nicht mehr runter“, sagt sie. Vor knapp einem Jahr hat Piepenhagen mit fünf anderen die Initiative „Nicht Genesen“ gegründet, um den Betroffenen der drei Krankheitsbilder Long Covid, Post Covid und ME/CFS eine hörbare Stimme zu geben.

Piepenhagen sprach unlängst persönlich mit Karl Lauterbach (SPD). Der Bundesgesundheitsminister versicherte, das Problem und die Nöte der Betroffenen erkannt zu haben, verwies unter anderem auf eingerichtete Hotlines für Erkrankte, allerdings auch darauf, dass sein Ministerium lediglich für die sogenannte Versorgungsforschung zuständig sei, die Entwicklung und Erprobung von Medikamenten dagegen in das Ressort der FDP-Kollegin Stark-Watzinger falle. „Diejenigen, die seit Monaten oder sogar Jahren an schweren Symptomen leiden, benötigen keine Hotline, die sie über Dinge informiert, die sie längst wissen“, sagt Piepenhagen. „Wir brauchen Therapien, um wieder auf die Beine zu kommen, und zwar am besten sofort.“

Offenbar würden sich Lauterbach und Stark-Watzinger nicht austauschen über die Probleme der Betroffenen von Long Covid, Post Vac und Fatigue, folgert die Aktivistin aus dem bürokratischen Stillstand. Deswegen werden sie am Mittwoch vor dem Forschungsministerium einen roten Teppich ausrollen. Der führt zu einem roten Sofa, auf dem die beiden Minister Platz nehmen und sich unterhalten sollen. Eine Einladung dazu haben sie erhalten. Jetzt müssen sie nur noch kommen.