Ist Alterssichtigkeit krankhaft oder hilft dagegen schon ein wenig Steilzeit?
Unser Autor bräuchte eine neue Brille, weigert sich aber, zur Augenärztin zu gehen. Das erschließt ihm völlig neue Welten.

Berlin - Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Presbyopie. Und das kam so: Unlängst stieß ich auf einen Artikel, der sich mit dem Phänomen der Steilzeit befasste. Da sie offenbar schon länger existiert, ich aber noch nichts davon gehört hatte, fühlte ich mich herausgefordert, den Text sofort zu lesen. Zumal ich mich fragte, was bewusste Zeit wohl steil macht. Vom Steilgehen hatte ich gehört, meist in mehr oder weniger sportlichen Zusammenhängen; rennend auf dem Fußballplatz, Bierglas stemmend am Tresen oder zu zweit in teils anspruchsvollen Körperhaltungen. Steile Thesen waren mir ebenfalls bekannt. Aber AlterSteilzeit?
Einigermaßen beruhigt war ich, als ich mitbekam, dass vor allem sozial eingestellte Arbeitgeber ihren Beschäftigten Steilzeit gewähren. Früher hat sogar der Staat Geld zugeschossen. Quasi aus der Barkasse, von deren Existenz ich durch Zufall einige Monate zuvor in einer Werbung der Hansestadt Hamburg erfahren hatte, wo Touristen den dortigen Hafen erkunden können – in einer eben solchen überdimensionalen Aufbewahrung für Geldscheine und Münzen.

Ideen haben diese Hamburger. Doch mich wundert gar nichts mehr, seitdem ich weiß, dass der örtliche Fußballverein namens HSV in der Vergangenheit immer wieder von Torflauten aus der Bahn geworfen wurde und deshalb in die zweite Bundesliga absteigen musste, von der ihn nicht einmal Hertha BSC in der Relegation zur Erstklassigkeit erlösen konnte. Bei Torflauten handelt es sich zweifelsfrei um eine Form von Lautmalerei der Fans. Keine Ahnung, warum sie dieses unfaire Betragen an den Tag legen, diese Torfköppe.
Angeblich hat ein Hanseat auch den Kaufladen erfunden. Ich kann es nicht beweisen, gehe aber davon aus, dass das Helmut Schmidt war. Der inzwischen verstorbene Altkanzler hat nicht nur die eine oder andere Steilzeit hingelegt und geraucht wie ein Schlot, sondern in aller Öffentlichkeit auf Tabak herumgekaut und die durchgekatschten Fladen dann in eigens bereitgestellte Behältnisse gespuckt. Oder war das Heidi Kabel, die alte Ulknudel? Egal, Kaufladen sind ekelig.
Ich habe das alles mal meiner Familie erzählt. Ich finde, habe ich bilanzierend gesagt, dass die spinnen. Also nicht die Steilzeitbeschäftigten, sondern die Katscher mit ihren Kassen im Hafen und so weiter. Doch meine Familie hat gemeint, dass ich derjenige sei, der spinnen würde, weil ich mich beharrlich weigere, zur Augenärztin zu gehen.
Alterssichtigkeit: Ein paar Tage Steilzeit dürften reichen
Was, bitte schön, hat meine Augenärztin damit zu tun? Okay, ich war seit Ewigkeiten nicht mehr in ihrer Praxis, weil man dort vier Stunden lang im Wartezimmer herumsitzt, was je nach Jahreszeit koronar oder coronal verheerend enden kann. Meine Brille ist nicht mehr auf dem neusten Stand, stimmt ebenfalls, allein schon unter modischen Gesichtspunkten. Ich aber kann immerhin noch beim Lesen einen Lauterbach von einem Lauterbacher unterscheiden.
Das können andere augenscheinlich nicht. Auf Social Media versuchten unlängst Posts mit russischem Migrationshintergrund nachzuweisen, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach der Enkel einer Nazigröße namens Hartmann Lauterbacher sei. Lauterbach, lauterbacher, am lauterbachsten? Ehrlich, wer so etwas schreibt, ist ein Phabet, wenn nicht sogar ein Analphabet.
Ich brauche übrigens keine Augenärztin. Ich habe ja Doktor Google. Der meint, es ist alles halb so schlimm, nur eine Presbyopie: Alterssichtigkeit. Vermutlich hilft es mir schon, wenn ich ein paar Tage in Steilzeit gehe.