Kaffee oder nicht? Neun wissenschaftliche Erkenntnisse zu Schlafstörungen

Immer mehr Menschen haben Schlafstörungen. Viele suchen nach Erkenntnissen, die erklären, wovon guter Schlaf abhängt. Forscher räumen mit manchem Mythos auf.

Mit dem Laptop im Bett – Ursache und Folge so mancher Schlafstörung.
Mit dem Laptop im Bett – Ursache und Folge so mancher Schlafstörung.Imago/Shotshop

Berlin-Der Schlaf ist für viele Menschen eine schwierige Angelegenheit. Oder wie Hermann Hesse einst in einem Gedicht schrieb: „Aber Schlaf ist ein scheuer Vogel geworden,/ Schwer zu fangen, zu halten, doch leicht zu morden.“ Schlafstörungen gehören zu den am meisten verbreiteten Plagen unserer Zeit. Mit immer wieder neuen Studien versuchen Forscher, ihren Ursachen auf den Grund zu gehen und Mittel dagegen zu finden.

Interessante Daten zum Schlaf gab es zum Weltstatistiktag 2021. Jeder zweite Deutsche schläft demnach höchstens sechs Stunden. Die am häufigsten genannten Gründe, lange wach zu bleiben, lauten Fernsehen mit 38 Prozent, Internet mit 29 Prozent und Lesen mit 14 Prozent. 4,8 Millionen Menschen leiden an chronischen Schlafstörungen. Hier neun wichtige Erkenntnisse aus der Forschung zum Thema Schlaf.

1. Corona und Ukraine-Krieg beeinträchtigen den Schlaf

Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse im Frühjahr 2021 ergab, dass jeder zehnte Deutsche in der Pandemie schlechter schlief. Bei denjenigen, die in der Pandemie häufig unter Stress stehen, klagte jeder vierte über schlechteren Schlaf im Vergleich zur Zeit davor (25 Prozent). Als Gründe für belasteten Schlaf nannten Forscher vielerlei Ängste, Bewegungsmangel, Sorgen und Alltagsprobleme, etwa Stress durch das Management von Homeoffice und Familie, fehlende soziale Kontakte und anderes mehr.

Bei etwa 64 Prozent der Menschen hatte sich durch Corona das Schlafverhalten verändert, berichtete die MHplus Krankenkasse nach einer repräsentativen Befragung von 1000 Bundesbürgern. 54 Prozent der Befragten gaben an, dass sie morgens wie gerädert aufwachen und am liebsten liegen bleiben würden. 73 Prozent der Deutschen nutzten Einschlafhilfen von Baldrian über Yoga und Apps bis hin zu medizinischen Schlafmitteln. Auch die Krankheit selbst wirkt auf den Schlaf. So ergab im März 2022 eine US-Studie unter 153.000 Veteranen, dass sich bei Menschen nach einer Covid-19-Infektion das Risiko für Schlafstörungen um bis zu 41 Prozent erhöhen kann.

Auf der anderen Seite erkannten Forscher auch positive Effekte durch Corona: stabilere Zubettgehzeiten und eine Anpassung an den natürlichen Schlafrhythmus, dazu weniger Lärm durch die Einschränkung des Verkehrs. Menschen schliefen etwas länger als sonst an Wochentagen. Mit der steigenden Impfquote, der Rückkehr in die Büros und zunehmenden sozialen Kontakten sahen Wissenschaftler im Herbst 2021 eine allmähliche Verbesserung des Schlafrhythmus.

Studien zu den Folgen des Ukraine-Kriegs auf den Schlaf wird es sicher auch bald geben. Das Kölner Rheingold-Institut, das psychologische Wirkungsforschung betreibt, hat jüngst in einer tiefenpsychologischen Studie die Lage der Deutschen so beschrieben: „‚Melancovid‘ trifft auf Kriegsangst“. Neben der Angst vor einer Ausweitung des Krieges, gar einem Weltkrieg, wirken unzählige Sorgen aufgrund steigender Preise für Lebensmittel und Energie, bedrohter Arbeitsplätze und vielem mehr.

2. Es gibt etwa 100 verschiedene Schlafstörungen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) widmet in der neuen Fassung des Internationalen Diagnoseschlüssels (ICD-11) dem Thema Schlaf-Wach-Störungen erstmals ein eigenes Kapitel. Sie unterscheidet 100 Formen von Störungen. Dazu gehören Ein- und Durchschlafstörungen, Schnarchen, schlafbezogenene Atmungsstörungen, unkontrollierbare Schlafattacken, etwa Narkolepsie, Schlafwandeln, Albträume, Schlaflähmung, schlafbezogene Essstörungen, Bewegungsstörungen wie das Restless-Legs-Syndrom, Zähneknirschen, Sprechen im Schlaf, organische Störungen wie bei der Refluxkrankheit oder Herzkrankheiten, umgebungsbedingte Schlafstörungen durch Lärm und vieles mehr.

Für Neurologen und Psychiater „äußern sich Schlafstörungen entweder in dem Gefühl, schlecht ein- oder durchzuschlafen, oder aber in dem Gefühl, tagsüber vermehrt müde zu sein, wobei natürlich beide Beschwerdekomplexe gleichzeitig auftreten können“. Kurzfristige Schlafstörungen träten bei nahezu allen Menschen auf – in belastenden Situationen und bei Krankheiten – und seien harmlos. Schlafstörungen allerdings, die länger als drei bis vier Wochen andauerten, erforderten „eine ausführliche Klärung der Ursachen“.

3. Der Schlaf vor Mitternacht ist nicht generell der gesündeste

„Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Zeitpunkt des Zubettgehens keinen Einfluss auf die Schlafqualität hat“, schrieb die Anästhesistin Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Barmer, einer der größten Krankenkassen Deutschlands.  „Viel wichtiger ist, wie lange und wie ungestört man schläft.“ Die ersten fünf Stunden nach dem Einschlafen folgten stets einem bestimmten Muster: Atmung, Herzschlag, Blutdruck und selbst die Körpertemperatur gingen herunter. „Eine halbe bis eine ganze Stunde später setzt dann die Tiefschlafphase ein. Ihr wiederum folgt eine Traumphase, in der das Gehirn wieder sehr aktiv wird, um die Ereignisse des vergangenen Tages zu verarbeiten“, erklärte Ursula Marschall.

Diese beiden Phasen dauerten insgesamt zwischen 90 und 120 Minuten und wiederholten sich pro Nacht mehrfach. „Dabei gilt: Je mehr Tiefschlafphasen wir erleben, umso erholter wachen wir auf.“ Und hier könne tatsächlich die Uhrzeit ins Spiel kommen, sagte die Medizinerin. Denn in den meisten Fällen sei es nachts einfach ruhiger. Wer erst mitten in der Nacht ins Bett komme, werde möglicherweise am Morgen durch Licht und Alltagsgeräusche gestört.

Außerdem sind die Schlafzeiten eine Typfrage. Es gebe Chronotypen, „deren natürlicher Schlafrhythmus im Extremfall zwölf Stunden auseinanderliegt“, sagte der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg in einem Interview. Es gebe „knallharte Frühtypen“, die schliefen von 20 bis 4 Uhr. „Extreme Spättypen“ gingen um 3 oder 4 Uhr nachts ins Bett und wachten gegen 11 oder 12 Uhr von allein wieder auf. Die meisten Menschen zählten „zu den gemäßigten Eulen und Lerchen“. Etwa 60 Prozent der Bundesbürger gingen zwischen 23.30 und 1.30 Uhr ins Bett und stünden zwischen 7.30 und 9.30 Uhr wieder auf.

Ein Problem haben unter anderem Schichtarbeiter, die mal zu dieser, mal zu jener Zeit schlafen. Sie leiden besonders unter Schlafproblemen. Feste Zubettgehzeiten, tägliche Routine und Einschlafrituale dagegen fördern das Einschlafen. Für etwa 60 Prozent der Deutschen lägen die Arbeitszeiten generell zu früh, sagte Roenneberg, der vom „sozialen Jetlag“ sprach.

4. Frauen schlafen besser neben einem Hund als neben einem Mann

Es gibt auch kuriose Schlafstudien. So hat ein Team um die Wissenschaftlerin Christy L. Hoffmann vom Canisius College in New York, USA, herausgefunden, dass Frauen, die einen Hund neben sich haben, besser schlafen als Frauen, die einen Mann neben sich haben. Dazu wurden Daten von 962 erwachsenen Frauen gesammelt. Eine Gruppe schlief neben einem Bettpartner. Zwei weitere Gruppen teilten ihr Bett mit mindestens einem Hund oder mindestens einer Katze.

„Im Vergleich zu menschlichen Bettpartnern wurden Hunde, die im Bett der Besitzerin schliefen, als weniger störend empfunden und waren mit einem stärkeren Gefühl von Komfort und Sicherheit assoziiert“, heißt es in der Studie. Katzen allerdings brachten nicht diesen positiven Effekt. Sie störten genauso wie menschliche Partner. Und sie lösten ein schwächeres Gefühl von Komfort und Sicherheit aus als Hunde – und als menschliche Partner. Mit den Störfaktoren waren Bewegungen, Atmung oder andere Geräusche gemeint.

5. Auch zu viel Schlaf kann schädlich sein

Die meisten Menschen brauchen etwa sieben bis acht Stunden Schlaf, wie viele Untersuchungen zeigen. „Als Faustregel gilt: Wer tagsüber auch bei längerer Tätigkeit im Sitzen konzentriert arbeiten kann, ohne schläfrig zu werden, hat sein persönliches Schlafpensum gefunden“, heißt es auf dem Portal der Techniker Krankenkasse. Forscher gehen allerdings von einer größeren Varianz aus. So etwa auch der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg, der in seiner universitären Schlafdatenbank die Schlafgewohnheiten von mehr  als 280.000 Menschen erfasst hat. „Ob jemand vier oder mehr als zehn Stunden schläft, hängt auch von genetischen Faktoren ab“, sagte er einmal.

Dennoch gibt es auch Studien, die zeigen, dass zu langes Schlafen schädlich sein kann. So haben kanadische Forscher der University of Western in Ontario die Schlafgewohnheiten von 10.000 erwachsenen Probanden untersucht. Es zeigte sich, dass Menschen, die durchschnittlich weniger als sieben Stunden pro Nacht schliefen, bei Tests schlechter abschnitten als ausgeruhte Teilnehmer. Dasselbe traf aber auch auf Menschen zu, die regelmäßig wesentlich länger als acht Stunden schliefen, wie die Forscher im Fachjournal Sleep berichteten. Vor allem die verbalen Fähigkeiten und das logische Denken seien eingeschränkt gewesen.

Die Ergebnisse seien für alle Altersgruppen ähnlich gewesen, erklärten die Forscher, sodass angenommen werden müsse, dass das Schlafoptimum für alle Erwachsenen bei sieben bis acht Stunden täglich liege. Zu viel Schlaf könne das Risiko für Herzerkrankungen oder Schlaganfälle erhöhen, ergab eine Studie des Herz-Chirurgie-Zentrums im griechischen Athen. Und die European Sleep Research Society bewertete eine Schlafdauer von über neun Stunden bei Erwachsenen als zu lang.

6. Nickerchen am Tage gleichen fehlenden Nachtschlaf nicht aus

Manche schwören auf ein Nickerchen am Tage. Sie fühlen sich schon nach 2o bis 30 Minuten Dösen auf dem Sofa erfrischt und erholt. Doch länger sollte es nicht dauern, denn sonst fällt man in eine Tiefschlafphase. Es gibt Studien mit verschiedenen Ergebnissen zu „Powernaps“. Einer griechischen Studie von 2007 mit 23.681 Teilnehmern zufolge senkte ein regelmäßiges Nickerchen das Risiko, an einer koronaren Herzkrankheit zu sterben, um 37 Prozent. Andere Studien hatten eine erhöhte Sterblichkeit ergeben.

Die griechischen Forscher wiesen aber darauf hin, dass dabei auch immer andere Faktoren berücksichtigt werden müssten: andere Krankheiten, Ernährung, körperliche Aktivität. Ihren Ergebnissen zufolge senke die Siesta bei scheinbar gesunden Personen und insbesondere bei berufstätigen Männern die koronare Sterblichkeit, wenn man alle anderen Faktoren mit einberechne.

Mancher hofft darauf, den Leistungsabfall und die Müdigkeit nach nächtlichen Schlafstörungen mit einem Nickerchen am Tage wieder ausgleichen zu können. Doch eine Studie aus den USA bremst diese Hoffnung. Sie zeigte, dass Nickerchen von 30 bis 60 Minuten nach einer schlaflosen Nacht die kognitiven Fähigkeiten kaum positiv beeinflussen. Der Grund: Die wichtigste Phase des Schlafs – die Tiefschlafphase – kann durch Kurzschlaf nicht nachgeholt werden.

7. Mit Schlafmitteln sollte man vorsichtig sein

Etwa ein bis zwei Millionen Menschen nehmen regelmäßig Schlafmittel. „Eine Abhängigkeit auf Rezept“ nennt das der Psychotherapeut Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Denn die Mittel trügen zur Chronifizierung bei und führten bei längerem Einsatz zu Gewöhnung und Abhängigkeit. Primäre Schlafmittel wie Benzodiazepine und Z-Substanzen beeinträchtigten auf Dauer die Struktur und Qualität des Schlafes und unterdrückten den Tiefschlaf.

Ab zwei Wochen Dauergebrauch werde es bedenklich, heißt es in einem Bericht der Stiftung Warentest. Laut einer Studie der britischen University of Warwick, erschienen 2014 im British Medical Journal, erhöht sich auch die Sterblichkeit. Pro 100 Patienten im Alter von 35 bis 75 Jahren, die Schlaf- oder Beruhigungs­mittel einnahmen, wurden vier Todes­fälle mehr beob­achtet als bei der Gruppe, die ohne Schlaf- und Beruhigungs­mittel auskam, heißt es in dem Bericht. Die Autoren verweisen allerdings auch darauf, dass viele Faktoren das Ergebnis beein­flussen könnten – die Schlaflosig­keit selbst, andere Erkrankungen oder der Lebens­stil.  Vor allem älteren Menschen könnte der Dauergebrauch von Schlaf­mitteln schaden. Bei der Überwindung von akuten Krisen seien sie aber sehr nützlich.

8. Manchem hilft Kaffee vor dem Schlafengehen

„Sie können nicht einschlafen? Dann lassen Sie doch nachmittags einfach mal den Kaffee weg!“ – solche Ratschläge hört man immer wieder. Bei manchen Menschen mögen sie angebracht sein. Aber nicht bei allen. US-Forscher der Florida Atlantic University und der Harvard Medical School haben untersucht, was „uns nachts wachhält“. An der Studie waren etwa 5000 Probanden beteiligt. Im Ergebnis zeigte sich ein direkter negativer Einfluss von Alkohol und Nikotin auf das Schlafvermögen – aber nicht von Koffein. „Die Forscher fanden keinen Zusammenhang zwischen dem Koffeinkonsum innerhalb von vier Stunden vor dem Schlafengehen und einem der Schlafparameter“, heißt es in der Zusammenfassung. Sie betonten jedoch, dass die Koffeindosierung und individuelle Unterschiede in der Koffeinempfindlichkeit nicht gemessen werden konnten.

Allerdings hört man mitunter, dass Menschen nach einer Tasse Kaffee richtig gut schlafen können. Oftmals betrifft dies regelmäßige Kaffeetrinker und ältere Menschen. Bei manchen Älteren wird das Gehirn nämlich schlechter durchblutet, was zu Schlafstörungen führen kann. Koffein wiederum fördert die Durchblutung, sodass manche Menschen Kaffee als Einschlafhilfe nutzen. Man sollte sich allerdings recht schnell danach hinlegen, denn nach etwa 20 Minuten setzt die anregende Wirkung des Koffeins ein. Finnische Forscher haben übrigens festgestellt: Wer im mittleren Alter regelmäßig Kaffee trinkt, senkt sein Demenzrisiko um bis zu 65 Prozent.

9. Finger weg von der Schlummertaste!

Nur noch ein paar Minütchen schlummern! Das denken viele Menschen jeden Morgen. Dazu haben Wecker und Smartphones eine sogenannte Snooze-Funktion. Man beginnt den Tag mit „snoozen“, also schlummern. Nach dem ersten Weckruf wird das Aufstehen um einige Minuten verzögert, indem man auf die Taste drückt. Manche tun das mehrere Male. Das sollte man besser lassen, warnen Wissenschaftler wie der US-Schlafforscher Robert Rosenberg. Denn dabei passierten zwei negative Dinge: Erstens würden die Ruhephasen zerstückelt, was zu einem Schlaf von schlechter Qualität führe. Zweitens beginne nach dem Drücken der Schlummertaste eine neue Schlafphase. Mit der Folge, dass man sich nach dem erneuten Aufwachen übermäßig müde fühle, bis hin zur Abgeschlagenheit über den ganzen Tag.

Robert Rosenberg plädiert dafür, lieber den chronischen Schlafmangel – den „sozialen Jetlag“ – zu überwinden, der erst zu dem morgendlichen Snooze-Verhalten führt. Und dieser liegt seiner Meinung nach unter anderem daran, dass bis kurz vor dem Zubettgehen intensiv Laptops, Handys oder Tablets genutzt werden. Mancher nimmt sein Handy sogar mit ins Bett. Das blaue Licht der Geräte hemmt die Melatoninproduktion – und stört damit den Schlaf. Spätestens 90 Minuten vor dem Schlafengehen sollte man sie weglegen.