Kann eine Reise mit der Bahn Ängste auslösen und gleichzeitig dagegen helfen?
Hypochonder-Kolumne: Furcht vor Chaos lässt sich überwinden. Manchmal reichen eine Zugfahrt, Stopps ohne Grund, eine Notbremsung und eine defekte Klimaanlage.

Es ist schon wieder passiert. Ich habe mir selbst eine Diagnose gestellt – Ataxophobie. Und das kam so: Ich fuhr mit der Deutschen Bahn von Osnabrück nach Berlin. Zehn Minuten lang, dann blieb der IC auf freiem Feld stehen. Niemand zu sehen, außer ein älterer Mann, der neben den Gleisen einen Hund ausführte. Der Mann schaute zum Zug, ich winkte ihm zu, er schaute weg. Vielleicht befürchtete er, er müsse mich gewaltsam aus einer Zwangslage befreien.
Zu unser beider Beruhigung setzte sich der IC in diesem Moment in Bewegung. Ein Ortsschild informierte mich über die Existenz einer Gemeinde namens Bruchmühlen und kurz darauf der Zugchef via Bordfunk über einen ungesicherten Bahnübergang, der einen erneuten Stillstand erforderte. Autos warteten vor Apparaturen, die wie Schranken aussahen, während die Insassen ihrerseits uns beim Warten zuschauten.
Das hätte etwas Kontemplatives haben können, wäre der Zug nicht plötzlich losgerollt, um erst in Minden wieder stehen zu bleiben. Planmäßig! Abgesehen von einer marginalen Verspätung, die nur deshalb auf eine halbe Stunde anwuchs, weil wir uns von einem ICE überholen lassen mussten. Behaupte noch jemand, die Zugflotte der Deutschen Bahn werde unzureichend überholt.
Minden lag keine 50 Kilometer hinter uns, da wurde ohne nennenswerte Verzögerung publik, dass ein vor wenigen Sekunden abrupt eingeleiteter Stopp auf einen Unbekannten zurückging. Der hatte grundlos die Notbremse gezogen. Die Suche nach dem Tatort schloss das Begleitpersonal bald erfolgreich ab. Nur eine Dreiviertelstunde später als avisiert war Hannover erreicht, wo die Bundespolizei den derweil ermittelten Notbremser zur Rechenschaft und aus dem Verkehr zog.

Zeit für einen Kaffee. Leider hatte der Bistrowagen schließen müssen. Die Klimaanlage streikte. Die ebenfalls unterkühlte 1. Klasse verursachte durch vorübergehende Umzugstätigkeit eine gewisse Unruhe auf den Gängen. Die Zugbegleiter blieben allzeit nervenstark. Sie richteten sogar in einem anderen Wagen einen provisorischen Kaffeeausschank ein und luden dorthin ein.
Ich verzichtete, der inneren Unruhe wegen. Da sie sich nicht gut anfühlte, griff ich zum Smartphone, tippte in eine Suchmaschine „Angst vor Chaos“ und lernte dank psycholex.org oder so, dass sich eine solche Empfindung Ataxophobie nennt und auftreten kann, wenn sich Dinge an einem ungewohnten Platz befinden; zum Beispiel der Kaffeeausschank unweit der Toilette in Wagen 10. Oder wenn etwas falsch läuft, ein Zug nicht zügig unterwegs ist.
Ataxophobie: David Beckham und die Angst vor Chaos
Einige der aufgeführten Symptome glaubte ich, an mir festzustellen: erhöhte Atemfrequenz, schneller Puls. Der Schweißausbruch konnte auch von der Heizung kommen, die sich nicht regulieren ließ. Ich fragte mich, was David Beckham jetzt an meiner Stelle täte. Der frühere Fußballprofi und Spice-Girl-Gatte leidet ja an Ataxophobie. Falls er sich nicht einer kognitiven Verhaltenstherapie unterzogen hat. Die hilft, sagt Dr. Wikipedia: Betroffene stellen sich einer kritischen Situation und überwinden so die Furcht davor.
Ich verwarf den spontanen Gedanken, per App vier Fahrten nacheinander von Berlin nach Hannover und zurück zu buchen. Also auf einer Strecke mit der Top-Verspätungsquote von 38 Prozent. Ein Portal für Hypnose ließ mich wissen, dass bei Ataxophobie die Angst stark übertrieben sein muss. War sie bei mir nicht. Die Therapie wirkte schon! Noch bevor die Störung richtig Fuß fassen konnte! Danke, Deutsche Bahn!