Erdbeben in der Türkei: Wie deutsche Apotheker jetzt den Opfern helfen

„Apotheker ohne Grenzen“ stellt sich im Katastrophen-Gebiet auf einen längeren Einsatz ein. Ein erfahrener Helfer berichtet, was die Teams vor Ort erwartet.

Helfer im türkischen Antakya vor einem zerstörten Haus
Helfer im türkischen Antakya vor einem zerstörten HausHamra/AP

Es gab eine erste Abfrage, und bereits darauf meldeten sich mehr als 15 Freiwillige bei „Apotheker ohne Grenzen“, dem gemeinnützigen Verein. Sie wollen im Süden der Türkei und im Norden Syriens helfen, die Katastrophe zu bewältigen, die Folgen des Erdbebens, das mehr als 20.000 Todesopfer gefordert hat. Tausende wurden obdachlos, müssen versorgt werden bei Temperaturen von minus zehn Grad und darunter. Menschen, die medizinische Hilfe brauchen und deshalb Medikamente. Die stehen jedoch in der Katastrophen-Region nicht zur Verfügung.

Andreas Portugal gehört zu jenen Apothekern, die ihre Unterstützung angeboten haben. Er würde ins Krisengebiet reisen, falls die Ausnahmesituation länger anhält, wovon Experten ausgehen. Der Greifswalder ist erfahren, hat bereits zahlreiche solcher Einsätze mitgemacht, vor allem in Südostasien, nach einem Tsunami auf Sri Lanka zum Beispiel, einem Taifun auf den Philippinen, auch in Indien, als dort ein Erdbeben wütete. „Die Kernaufgabe entspricht eigentlich der in Deutschland“, sagt Portugal: Medikamente für Patienten bereitstellen, die Ärzte verordnet haben. Doch damit hört die Normalität auch schon auf, beginnen die Probleme, die nicht nur Naturgewalten verursachen.

„Apotheker ohne Grenzen“ wurde zunächst durch türkische Bürokraten ausgebremst, sie verzögerten den Beginn der Hilfsaktion. Eigentlich sollte bereits am Freitag ein erstes Team ins Krisengebiet vordringen, koordiniert von einer großen Hilfsorganisation mit Sitz in München namens Navis. „Erst am Wochenende konnte jetzt ein erstes Team von Medizinern und Pharmazeuten einreisen“, sagt Portugal, der regelmäßig Kollegen für solche Situationen schult.

Einen Pool von 250 bis 300 Freiwilligen gibt es in Deutschland. Im Ernstfall bilden die Pharmazeuten  Zweierteams, einem Neuling steht dabei ein erfahrener Kollege zur Seite. Doch zunächst eruiert das Vorauskommando die Lage, legt Orte fest, von denen aus Ärzte und Apotheker operieren können. „Wir Pharmazeuten bauen ein Lager für die Medikamente auf“, sagt Portugal. In Zelten werden die Präparate vorgehalten. „Sogenannte Emergency Health Kits.“ Es handelt sich um eine Grundversorgung mit Arznei, die für 10.000 Menschen drei Monate lang reichen sollte. Vor allem Schmerzmittel und Antibiotika werden bereitgestellt, Infusionen, die zur Akutversorgung dringend benötigt werden.

Erdbeben-Gebiet: Medikamente vor Ratten schützen

„In Krisengebieten werden oft nicht die neusten Medikamente eingesetzt“, sagt Portugal. Apotheker und Ärzte arbeiten deshalb auf Zuruf. „Der Pharmazeut bestimmt aufgrund von Alter, Gewicht und anderen Faktoren die Dosierung für die jeweiligen Patienten.“ Die Präparate liefert unter anderen die gemeinnützige Organisation Medeor, die sich selbst als „Notapotheke der Welt“ versteht.

Die ersten Teams errichten Zelte, stellen Kühlschränke auf, betrieben von Notstromaggregaten. „Die Lagerung der Medikamente ist schwierig, weil sie oft Temperaturen zwischen acht und 25 Grad benötigen“, sagt Portugal. In der Türkei und in Syrien machen die eisigen Temperaturen den Helfern zu schaffen, mehr noch den Menschen, für die sie im Einsatz sind. Schutzlos der bitteren Kälte ausgesetzt, erkranken sie schnell. „Je nach Katastrophe schaut man, was man noch mehr an Arznei benötigt“, sagt Portugal.

Die Brückenköpfe wachsen mit der Zeit zu provisorischen Städten heran. „Es gibt ein Behandlungszelt, ein Unterkunftszelt, ein Apothekenzelt, auch ein Kochzelt“, berichtet der Krisenhelfer. Alle Vorräte werden hoch gelagert, Arznei inklusive: Katastrophen ziehen Ratten und andere Schädlinge an.

Probleme macht nicht nur die Natur, auch die Natur des Menschen. Sind es nicht Bürokraten, die den nötigen Sinn für Spontanität vermissen lassen, werden mitunter politische Hardliner zum Hindernis. Bereits vor Ort tätige Helfer berichten aus dem Erdbeben-Gebiet von Angriffen der türkischen Luftwaffe auf kurdische Siedlungen. Andreas Portugal hat eine ähnlich absurde Situation schon einmal erlebt, in Myanmar, als geflüchteten Rohingya eine humanitäre Katastrophe drohte.

Krisengebiet Türkei: Fahrzeuge verstopfen die Verkehrswege

Was die Helfer in diesen Tagen im türkisch-syrischen Grenzgebiet genau erwartet, lässt sich schwer abschätzen. Das sogenannte Fact Finding Team, die erste Abordnung, sollte für mehr Klarheit sorgen. „Bisherige Berichte besagen, dass die Verkehrswege durch viele Fahrzeuge verstopft sind“, sagt Portugal. Er kennt das: Auf Sri Lanka benötigte er einmal zwölf Stunden für 250 Kilometer.

Auch diesmal werden die „Apotheker ohne Grenzen“ ihrem Namen nach handeln, werden einen Weg finden müssen, die Probleme vor Ort zu lösen. In Berlin haben sie schon damit angefangen. In Apotheken der Stadt sammeln sie Spenden. Geld, keine daheim gelagerten Medikamente. Denn Arznei sollte man den Fachleuten überlassen, erst recht in Krisenzeiten.