Lassen sich die Notaufnahmen der Krankenhäuser mit dieser Reform entlasten?
Experten empfehlen den Aufbau eines neuen Leitsystems. Dazu gibt es Lob von Krankenkassen und Kritik von Ärzten.

Notaufnahmen deutscher Krankenhäuser sind schon seit vielen Jahren überlastet, vor allem wegen Personalmangel. Eine vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzte Expertenkommission hat nun Vorschläge vorgelegt, um die Kliniken zu entlasten und eine funktionierende Notfall- und Akutversorgung rund um die Uhr trotz der Mängel sicherzustellen. Im Zentrum stehen der Aufbau eines neuen Leitsystems für Notrufe und die Einrichtung sogenannter integrierter Notfallzentren in mehr als 400 Krankenhäusern deutschlandweit.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte die Vorschläge als „gute Grundlage“ für eine Reform. Der Leitgedanke sei, „dass Versorgung dort stattfindet, wo sie medizinisch auch sinnvoll ist“, erklärte Lauterbach. „Dafür müssen wir vorhandene Strukturen aufbrechen und neu ordnen.“
Wer die Notfallnummer 112 oder die Nummern des ärztlichen Bereitschaftsdiensts (116 117) wählt, soll künftig nach Empfehlung der Experten zunächst bei einer neuen integrierten Leitstelle (ILS) landen. Diese Leitstelle soll Anrufer an die „für sie am besten geeignete Notfallstruktur“ vermitteln. Medizinisch qualifizierte Fachkräfte sollen diese Leitstellen besetzen. Sie sollen eine „standardisierte und wissenschaftlich fundierte Ersteinschätzung“ des Notfalls vornehmen, erklärte das Ministerium.
Dadurch solle „eine Über- oder Unterversorgung von Notfällen verhindert werden“ und „die knappen Ressourcen optimal genutzt“ werden. Die neuen Leitstellen sollen rund um die Uhr erreichbar sein und auch eine telemedizinische ärztliche Hilfe sowie Terminvermittlungen anbieten. Damit sollen sie „für Betroffene so attraktiv sein, dass sie primäre Anlaufstelle in medizinischen Notfällen werden“.
Der zweite Kernpunkt der Empfehlungen betrifft den Aufbau sogenannter integrierter Notfallzentren (INZ). Ein solches Zentrum soll aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung sowie einem „Tresen“ als zentrale Entscheidungsstelle bestehen. An diesem „Tresen“ soll entschieden werden, ob die Patienten wirklich in die Notaufnahme des Krankenhauses müssen oder besser in der Notfallpraxis behandelt werden. Die INZ-Zentren sollen an allen Krankenhäusern der erweiterten und umfassenden Notfallversorgung eingerichtet werden, von denen es derzeit nach Ministeriumsangaben rund 420 in Deutschland gibt. Für kinder- und jugendmedizinische Fälle sollen eigene Notfallzentren aufgebaut werden. „Das Krankenhaus muss im Notfall nicht immer die erste Adresse sein“, so Lauterbach. „Aber es muss im Notfall schnelle Hilfe anbieten können.“
Gelobt wurden die Vorschläge von der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann: „Die Patienten brauchen endlich eine zentrale Anlaufstelle und eine Notfallversorgung aus einer Hand.“ Dafür seien die geplanten integrierten Notfallzentren „der richtige Weg“.
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) begrüßte, dass in den Reformempfehlungen anerkannt werde, „dass Neugeborene, Säuglinge, Kinder und Jugendliche im akuten Krankheitsnotfall eine spezifische ärztliche und pflegerische Expertise brauchen“. Um dies auch außerhalb der Ballungsräume zu gewährleisten, sprach sich die DGKJ für eine stärkere Nutzung der Telemedizin aus.
Aus der Medizin gibt es aber auch Kritik an der geplanten Reform: Es sei unklar, äußerten sich einzelne Ärzte in den sozialen Medien, ob „Fachkräfte am Telefon“ dazu geeignet seien, im Zweifel vorab über Leben und Tod zu entscheiden – also darüber, ob ein Patient ins Krankenhaus kommt oder nicht.
„Mehr Schatten als Licht“, kommentierte Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Zwar seien einige brauchbare Ansätze dabei, aber vieles erscheine unrealistisch. Auch der Deutsche Hausärzteverband übte Kritik. Es dränge sich der Eindruck auf, dass die Pläne aus der Sicht der Krankenhäuser und nicht aus Sicht der Patienten geschrieben worden seien.
Es handelt sich dabei um die vierte Empfehlung der Expertenkommission, die bereits Vorschläge zur Reformierung der Pädiatrie, der Geburtshilfe sowie der Einrichtung von tagesstationären Behandlungen und zu einer grundlegenden Krankenhausreform vorgelegt hat. Die Vorschläge sollen in der Bund-Länder-Runde zur grundlegenden Krankenhausreform diskutiert und beraten werden. Das nächste Treffen ist Ende Februar.
Die Reform der Notfallversorgung solle dann in dieser Legislaturperiode (bis 2025) schon wirken, kündigte der Gesundheitsminister an. Die Krankenhausreform soll Anfang 2024 in Kraft treten.