Bethesda-Manchmal entdeckt unser Gehirn in Dingen ein Gesicht: in der Steckdose, im Toaster oder einem ganzen Haus. Vergleichsweise häufig werden solche „illusorischen Gesichter“ als jung und männlich wahrgenommen, berichten US-Forscher im Fachjournal PNAS. Sie nehmen an, dass das Gehirn besondere Kennzeichen benötigt, um ein Gesicht als weiblich wahrzunehmen.
Das Phänomen, in Dingen Gesichter zu sehen, wird als Pareidolie bezeichnet – ein „natürlicher Fehler unseres Gesichtserkennungs-Systems“, wie die Forschenden um Susan Wardle vom National Institute of Mental Health in Bethesda, USA, schreiben. Normalerweise kann unser Gehirn innerhalb weniger Millisekunden korrekt erkennen, dass ein Gesicht vor uns ein Gesicht ist. Es bewertet darüber hinaus Geschlecht, Alter und auch Stimmungslage des Gegenübers, ohne dass wir uns darüber überhaupt bewusst sind.

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Ob dies auch beim Anblick illusorischer Gesichter passiert, wollten die Wissenschaftler wissen. Sie prüften das in einer Reihe von Experimenten. Dazu zeigten sie mehr als 3800 Versuchsteilnehmern Bilder von Gesichtern in unbelebten Gegenständen, teils waren das eigene Aufnahmen, teils stammten sie aus öffentlich zugänglichen Quellen. Die Probanden mussten unter anderem angeben, ob und wie einfach sie in dem Gegenstand ein Gesicht erkannten. Zudem sollten sie mitteilen, ob sie das vermeintliche Gesicht als männlich, weiblich oder neutral empfinden. Schließlich ging es darum, wie alt es etwa ist und welche Stimmung es ausstrahlt – Trauer, Wut, Freude oder Angst.
Viermal öfter „männlich“ als „weiblich“
Die Auswertung ergab, dass illusorische Gesichter ähnlich komplex bewertet werden wie richtige Gesichter. Ihnen werden häufig ein emotionaler Ausdruck und ein Alter zugeschrieben, schreiben die Forschenden. Diese waren besonders überrascht von einem Ergebnis: Gefragt nach dem Geschlecht, bewerteten die Versuchsteilnehmer etwa die Hälfte der Gesichter als „neutral“. Wenn die Probanden den Gesichtern allerdings ein Geschlecht zuschrieben, nannten sie „männlich“ etwa viermal öfter als „weiblich“.

Diese Tendenz zum Männlichen sei bemerkenswert, schreiben die Wissenschaftler. Sie lasse sich nicht durch das Geschlecht des Betrachters erklären – auch Frauen sahen häufiger Männer in illusorischen Gesichtern. Die Forscher stellten auch keine allgemeine Tendenz fest, uneindeutige Reize eher als männlich zu deklarieren und auch die empfundene Stimmung des Gesichts hing nicht mit dem wahrgenommenen Geschlecht zusammen.
Ist die Sicht sozial antrainiert?
Was könnte die Beobachtung dann erklären? Sicher sind sich die Forschenden nicht. Sie gehen davon aus, dass das menschliche Gehirn eher die Kategorie „männlich“ vergibt, wenn nur ganz grundlegende Informationen vorhanden sind. Ob das sozial antrainiert ist oder etwa auf Vorgänge in der Entwicklung zurückgeht, sei unklar. Denkbar sei, dass „männlich“ sozusagen das Standard-Geschlecht für eine Person ist und erst zusätzliche Informationen die Kategorie weiblich öffnen. Das könnten zum Beispiel geschwungene Augenbrauen, lange Wimpern oder lange Haare sein.
Die Fähigkeit, Männer und Frauen grundsätzlich am Gesicht zu unterscheiden, ist den Forschern zufolge bereits sehr früh vorhanden. Untersuchungen hätten gezeigt, dass bereits drei bis vier Monate alte Babys weibliche Gesichter bevorzugt betrachteten – es sei denn, sie werden hauptsächlich von einem Mann versorgt. Dann ändere sich diese Vorliebe. Diese initiale Neigung könne den Grundstein legen für die unterschiedliche Verarbeitung von männlichen und weiblichen Gesichtern im sich entwickelnden Gehirn.