Rasenmäher verstümmeln Igel: Was Gartenbesitzer dringend beachten sollten

Immer mehr Igel werden von Mährobotern und anderen Geräten schwer verletzt. Wer einen Garten hat, sollte einige Tricks beachten - und so Tiere retten.

Wartet auf seine Amputation: Igel Elmo, Patient 62 in diesem Jahr, wird betäubt.
Wartet auf seine Amputation: Igel Elmo, Patient 62 in diesem Jahr, wird betäubt.Berliner Zeitung/Benjamin Pritzkuleit

Patient 62 wurde Anfang Mai in Französisch Buchholz gefunden. Ein Bein zerfetzt, keine Bewegung mehr möglich. Die Finder machten über den Unfallhergang keine Angaben. So sei es meistens, sagt Sybille Ressel. Niemand hat etwas gesehen, und dann liegen die Schwerverletzten plötzlich an der Straße oder im eigenen Garten.

„Wir fragen nicht nach“, sagt Ressel. Sie sei ja schon froh, wenn die Leute überhaupt die Opfer melden. Die Verletzung von Patient 62 sprach für sich: Niemand verletzt einen Igel auf diese Weise - ohne ein modernes Gartenwerkzeug.

Mähroboter sind besonders gefährlich, erklärt Sybille Ressel, die sich seit zwanzig Jahren um die verletzten Igel Berlins kümmert. Eine Aufgabe, die von Jahr zu Jahr größer wird, wie sie sagt. Auch dank moderner Rasenkantenschneider oder Rasentrimmer. Die Roboter bearbeiten den Rasen ganz ohne menschliche Aufsicht, die Kantenschneider werden gern unter Hecken geschoben, das Einsatzgebiet ist schlecht einzusehen.

Verletzte Igel durch Rasenmähroboter: Schnäuzchen, Beinchen, Gesichter

Die Verletzungen bei den Igeln durch die Geräte ähneln sich: gebrochene oder abgemähte Gliedmaßen, abgetrennte Schnäuzchen, Schnitte im Gesicht, manchmal an der Körperseite. „Abrasiert“, nennt Sybille Ressel die Opfer.

Ressel engagiert sich beim Arbeitskreis Igelschutz, einem Verein, der eine Krankenstation für die Tiere in Hermsdorf betreibt. Die einzige und letzte offizielle Krankenstation für Igel in der ganzen Stadt, sagt Ressel.

Als sie Mitte Mai dort zu einem Rundgang empfängt, ist die Station bis auf das letzte Bett belegt. Sie liegt in der Erdgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses, das einen offenbar sehr igelfreundlichen Besitzer hat. Ressel und zwei ihrer Mitstreiterinnen haben den Raum am Morgen schon kräftig durchgelüftet. Der Geruch erinnert trotzdem an das Raubtierhaus im Tierpark.

Igel mit Beinverband. Dieses Tier wurde von den Retterinnen auf den Namen Humpel getauft.
Igel mit Beinverband. Dieses Tier wurde von den Retterinnen auf den Namen Humpel getauft.Berliner Zeitung/Benjamin Pritzkuleit

Man riecht die Tiere, aber man sieht sie nicht, sie schlafen in 59 Boxen, die in drei Reihen übereinander stehen, und je ein Häuschen aus Karton für sie bereithalten. Es ist später Vormittag. Igel sind nachtaktiv, auch das wird ihnen in Gärten zum Verhängnis, seit viele Gartenbesitzer ihren Rasen nach Einbruch der Dämmerung von den Robotern trimmen lassen. So praktisch! Und so tödlich.

Auch neun Ersatzboxen auf dem Fußboden sind belegt. Zwei Igel konnten am Vortag entlassen werden, ihre Plätze sind bereits neu vergeben, zwei verletzte Tiere warten bei ihren Findern.

Immer mehr Technik im Garten

Es ist Hauptsaison. In jeder Hinsicht. Zwei Ereignisse treffen seit einigen Jahren im Frühjahr äußerst ungünstig aufeinander. Die Paarungszeit des Braunbrustigels, der in Westeuropa heimischen Art, beginnt wegen des Klimawandels bereits im Mai. Igel auf Partnersuche sind besonders viel unterwegs. Im Mai, spätestens Anfang Juni, ist leider auch für Berlins Gartenbesitzer die Ruhezeit endgültig vorbei, und in den letzten Jahren bringen sie ab dem Frühjahr immer mehr Technik im Garten zum Einsatz.

In den grünen Außenbezirken Berlins tobt der Kampf Igel gegen Mähmaschinerie.

Die Opfer treffen ab Anfang Mai in Hermsdorf ein. „Drei bis vier Mähroboter-Igel pro Woche“, sagt Gabriele Gaede, die Chefin des Arbeitskreises Igelschutz. Etwa zwanzig Berliner versuchen im Verein, den Tieren im ungleichen Kampf beizustehen. Gaede ist die Veteranin, seit 40 Jahren dabei. Sie unterhielt lange eine Rettungsstation im Keller ihres Hauses. Vor sechs Jahren richteten die Igelschützer die Station in Hermsdorf ein, seitdem versuchen sie immer mehr Boxen dort unterzubringen. Jede der drei Frauen, die an diesem Vormittag da sind, betreut zusätzlich Igel zuhause, sechs, zehn, 13 Tiere.

Sie kommen nicht hinterher, weil die Opferzahlen schneller steigen. Für viele können sie nichts mehr tun. Igel sterben massenhaft im Straßenverkehr. Gartenbesitzer setzten neben Technik gern Gift ein. Gegen Schnecken oder Ratten, eigentlich. Igel ertrinken in Gartenteichen oder Pools, die keine Ausstiegshilfe haben, stürzen in Schächte oder Gruben, bleiben in Zäunen stecken, verheddern sich in gelben Säcken, aus denen es nach Essensresten duftet, verbrennen in Lagerfeuern, weil sie die Holzhaufen fälschlicherweise für ein geeignetes Versteck gehalten haben.

Immerhin: Opfer der Mähtechnik kann man retten, manchmal auch vergiftete Tiere.

Soll man die schlimmsten Fotos zeigen?

Es gebe oft Diskussionen in der Gruppe über die Frage, wie weit man mit den Fotos auf Facebook gehen könne. Die ganz schlimmen Verletzungen zeigen? Bisher halten sie sich mit diesem Material zurück.

Sybille Ressel nimmt Patient 62, den sie bei seiner Einlieferung Elmo getauft haben, aus seiner Kiste, die mit einer Inkontinenzunterlage aus dem Drogeriemarkt gepolstert ist. Wegen des Bruchs, der bisher nur mit einem Tapeverband ruhig gestellt werden kann. Elmo wartet auf eine Amputation. Die Igelschützerinnen werden von einer Tierarztpraxis unterstützt, aber die kann nur zweimal pro Woche eine Igel-OP, für die niemand zahlt, zwischen die anderen Termine schieben.

Die Igelstation lebt allein von Spenden – die kaum ausreichen, um die Miete von 800 Euro pro Monat aufzubringen, sagen die Frauen. Die Igelretterinnen würden sich Hilfe vom rot-grün-roten Senat wünschen, dem die artenreiche Stadtnatur zumindest in Reden ein großes Anliegen ist.

Die Leute rufen an und sagen: Sie sind doch zuständig

Sybille Ressel, ehrenamtliche Igelretterin

„Wir buttern alle selbst zu“, sagt Sybille Ressel zu den Kosten der Igelrettung. Etwa für das Benzin, das sie brauchen, um die Igel abzuholen. Die Liebe der Berliner zu verletzten Igeln gehe meist nicht so weit, dass sie die Tiere selbst nach Hermsdorf, an den nördlichen Stadtrand, bringen würden. „Die Leute rufen an und sagen: Sie sind doch zuständig“, erzählt Ressel.

Sie alarmiert dann die Chatgruppe des Igelkrankenwagens. Fünf oder sechs Ehrenamtliche lesen mit, darunter Saskia Bürger-Brix, die an diesem Morgen in der Station bei der täglichen Säuberung der Boxen aushilft, und ihr Mann. „Wir fahren sofort, auch nachts“, sagt sie. In ihrem Auto habe sie immer eine Katzen-Transportbox, Hundefutter, Wasser, ein Wärmepad und Flyer, die Tipps zum richtigen Einsatz von Mähgeräten geben: Unter Hecken erst prüfen, ob ein Igel dort döst. Mähroboter am Tag einsetzen, niedrig einstellen (4,5 Zentimeter oder weniger), mit einem großen Apfel (200 Gramm) prüfen, ob das Gerät ein Hindernis dieser Größe umfährt.

Sybille Ressel bei der Behandlung eines verletzten Igels.
Sybille Ressel bei der Behandlung eines verletzten Igels.Berliner Zeitung/Benjamin Pritzkuleit

Bürger-Brix rettet Igel, seit ihre Familie vor zwei Jahren nach Hermsdorf zog und sie zufällig auf den Verein stieß. Sie kann, wie die anderen, schwer erklären, warum sie den Tieren seitdem den größten Teil ihrer Freizeit widmet. Die niedlichen Gesichter? Die Hilflosigkeit der Verletzten?

„Dieses unvorstellbare Leid“, sagt Sybille Ressel. Kürzlich habe sie eine Igelin einschläfern lassen müssen, die beide Beine auf einer Seite verloren hatte. Der worst case. Ein Igel kann eine neue Art der Fortbewegung lernen, wenn er zwei Beine verliert, aber sie dürfen nicht hintereinander liegen. „Haben Sie schon mal einen Igel schreien hören?“, sagt Saskia Bürger-Brix. Sie spielt eine Tonaufnahme von ihrem Handy ab. Es klingt, als brülle ein Baby, man hält es ähnlich schwer aus.

Kies und englischer Rasen statt Blumenwiesen

Patient 62, Elmo, hatte Glück im Unglück, nur sein rechtes Hinterbein ist hinüber, „hinten ist besser als vorne, da kann er noch rennen“, sagt Ressel. Er hat sich eingerollt, als er von ihr geweckt wurde, Ressel legt ihn auf den Behandlungstisch im vorderen Teil des Raums und stülpt ein Plastikröhrchen über seine Schnauze, darin ein Stück Stoff, mit Betäubungsmittel getränkt.

Elmo klappt auseinander, Sybille Ressel, die früher Kinderkrankenschwester war, reinigt die Wunde, wechselt den Verband. Jeder Igel hat eine Patientenakte, die an der Box steckt, bei Elmo ist vermerkt, dass er 550 Gramm wog, als er kam, jetzt sind es schon 666, sie päppeln die Tiere mit Hundefutter auf (wichtig: ohne Soße, sonst gibt es Bauchweh!). Igel sind Fleischfresser, an Äpfeln nur interessiert, wenn Maden drin stecken, erklärt Ressel.

Am liebsten fressen sie Insekten, noch so ein Problem: In vielen Gärten gibt es inzwischen viel Kies und „englischen Rasen“, von dem die Igelretterinnen nur abraten können. Es blüht zu wenig, es summt zu wenig, die Gärten sind zu aufgeräumt, besser gesagt: ausgeräumt, nicht nur für Igel ist das ein Problem, auch für Vögel.

Elmo bekommt täglich Synolox, ein Antibiotikum für Katzen und Hunde, und Metacam, ein Art Tier-Ibuprofen. Wenn er amputiert ist, die Naht verheilt und „die Vitalzeichen stimmen“, er also munter wirkt, werden die Igelschützerinnen eine Auswilderungsstelle für ihn suchen. Igel sind keine Waldtiere, sie brauchen Feldränder, am besten: Gärten. Sie werden einen suchen, der keine Todesfallen enthält.

In der Station brauchen sie die Boxen schon bald für die Igelbabys, sagt Sybille Ressel. Sie kommen ab Juni zur Welt. In den nächsten Tagen dürften die ersten Igelmütter in Berliner Gärten unter Mähgeräte geraten. Man kann Igelbabys retten, wenn man sie mit einer Mischung aus Fencheltee und Milchpulver füttert. Alle zwei, drei Stunden. Im Sommer macht Sybille Ressel seit Jahren keinen Urlaub mehr.