Schluss mit der Zurückhaltung: Liebe muss gefeiert werden!

Wer sonst soll die Liebe denn groß machen, wenn nicht die Liebenden selbst? Ein Plädoyer für mehr Bekenntnisse und Euphorie in der Beziehung.

Große Gefühle brauchen große Worte.
Große Gefühle brauchen große Worte.Karin Söderquist für Berliner Zeitung

„Are you a party animal?“, fragt mich der smarte Engländer mitten in der geradezu verstörend schönen Abendstimmung. Vor uns der Panoramablick über die baskische Küste, hinter uns der chillige Elektrosound der Surfer-Bar. Er fragt mich wahrscheinlich deswegen, weil ich schon ein paar Tage länger im südfranzösischen Biarritz bin und begeistert von dem atmosphärischen Nachtleben berichte, das es dort gibt. Ich bin mit Ende 30 rund zehn Jahre älter als er, und seine Frage ist wohl vielmehr sein Erklärungsansatz für meine vermeintlich jugendliche Suche nach dem Puls der Nacht. Ich überlege kurz, da „party animal“ für mich stark nach Eimersaufen und Borat-Badeanzug klingt. Da sehe ich mich nicht. Ich mag es, wenn die Dunkelheit die Dinge ins rechte Licht rückt, das bunte Treiben, die verheißungsvolle Stimmung, und sage „Ja, wenn man so will.“

Da wir uns erst an diesem Tag im Surfkurs kennengelernt haben, erkundigt er sich wenig später, wie es bei mir mit der Liebe steht, ob ich einen Freund habe. „Ja“, sage ich breit grinsend, nenne ein paar Eckdaten und erkläre schließlich: „Es ist die Liebe meines Lebens.“ Plötzlich sieht er mich an, als hätte ich im Borat-Badeanzug einen Eimer Sangria geext und will wissen, wie ich mir da jetzt schon sicher sein will? Offenbar findet er mich zu alt für Partys, aber zu jung für ein Liebesfazit. Und ich verstehe, was er meint, schließlich kennen wir solche Sätze eher in der Vergangenheitsform. Oft aus Filmen und Büchern, als Rückschau auf ein bald endendes Leben verklärt, erzählt „die Liebe des Lebens“ immer von einer intensiven, meist kurzlebigen Sensation der eigenen Gefühlswelt.

Karin Söderquist für Berliner Zeitung

Wir lieben lieber unter Vorbehalt

Um diesen Höhepunkt ausfindig zu machen, braucht es natürlich den abschließenden Vergleich. Zeigt sich die große Liebe also nur im Resümee? Schon der Lyriker Rainer Maria Rilke gibt 1903 in einem Brief an den Schriftsteller Franz Xaver Kappus den couragierten Ratschlag: „Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen.“

Mit dem Anspruch, erstmal unser Ende abzuwarten, vergeben wir uns nur leichtfertig die Größe des Moments. Generell halten wir in Liebesdingen gern den Ball flach. „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht was Besseres findet“, ist das Motto einer ganzen Generation. Unsere Gesellschaft ist getrieben von Maximierung, Optimierung und dem grundsätzlichen Gedanken, dass das Beste immer noch vor uns liegt. Deswegen wirkt die Ausführung zu meinem Beziehungsstatus wie ein vorzeitiger Samenerguss in Sachen Liebe. Außerdem ist es auch ein bisschen gefährlich, eine Liebe so wichtig zu machen und vorbehaltlos zu erklären, dass man geradezu glüht, wenn man nur an diese Person denkt – auch nach etlichen Beziehungsjahren. Denn, wer weiß, vielleicht entpuppt sich der andere ja noch als gemeiner Herzensbrecher, dann wollen wir die Verbaltrophäe für die größte aller Lieben nämlich nicht leichtgläubig verbraten haben. Die Zukunft ist ungewiss. Wir lieben lieber unter Vorbehalt.

So hört sich das auch an, wenn man Leute nach ihren Liebschaften fragt. Je länger die Beziehung dauert, desto kürzer und kühler die Antworten zu ihr. Wie wir über die Liebe reden, ist auch ein Symptom dafür, wie wir sie leben. Ich weiß, die Liebe ist schwer zu beschreiben. Wenn allerdings die ersten Sätze, die mir zu einem Menschen einfallen, mit dem ich mein Leben teile, lauten: „Wir sind ein gutes Team“ oder „Wir ziehen beide am selben Strang“, drängt sich die Frage auf, ob wir hier über eine Stellenausschreibung reden oder über die Person, der man im Zweifel eine Niere spenden würde.

Vieles klingt eher nach 2-Sterne-Google-Bewertungen als nach ganz großen Gefühlen. Außer, wenn wir frisch verliebt sind. Im Überschwang der Gefühle ergießt sich nicht selten ein ganzer Schwall verliebter Sätze über den Gesprächspartner. Man staunt nicht schlecht, wie eine neue Liebe selbst das reservierteste Gemüt zur leidenschaftlichen Rede bewegen kann. Sobald der Verstand aber wieder Oberwasser hat, ist Schluss mit der Lobhudelei.

Karin Söderquist für Berliner Zeitung

Wer will, dass die Liebe wächst, muss auch verbal investieren

Wenn wir von unseren Langzeitbeziehungen erwarten, dass sie erfüllt und glücklich sind, müssen wir die Liebe hochhalten, sonst säuft sie im Alltag ab. Dann ist man irgendwann ein gutes Team und zieht am selben Strang, weiß aber gar nicht mehr, warum. Wenn es wahr ist, dass wir mit Sprache unsere Welt erschaffen, wieso sollten wir sie also kleinreden? Große Gefühle brauchen große Worte.

In der sprachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe fristet vor allem die Langzeitbeziehung ein glanzloses Dasein. Sobald wir über sie sprechen, hat die Wortwahl so viel Sexappeal wie eine Brotschneidemaschine: Arbeit, Ausdauer, Leidensfähigkeit – das klingt leider oft wie eine Durchhalteparole für ein dröges BWL-Studium. Dabei sollten wir uns vielmehr darauf konzentrieren, den Blick für die Liebe immer wieder aufs Neue zu schärfen, indem wir durch einen angenehmen Wechsel zwischen Weitwinkel und Zoom das Wichtigste im Auge behalten: den geliebten Menschen.

Gerade in Langzeitbeziehungen wollen die Anziehung und das Knistern stets aufs Neue belebt werden. Romantische Empfindungen und großartige Momente zu artikulieren, kann dabei helfen. Wer sonst soll die Liebe denn groß machen, wenn nicht die Liebenden selbst? Die vorherrschende Angst, man könne sein ganzes Liebesbudget fahrlässig auf einmal verprassen, geht am Thema vorbei.

Das emotionale Vermögen gut anzulegen und stetig wachsen zu lassen, bedeutet lieben. Und dafür muss man auch verbal investieren. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass es neben meinem Freund auch andere Menschen gibt, die schöne Hände haben oder super Carbonara kochen können, aber ich will eben, dass genau diese Hände die Pasta für mich zubereiten. Nur dann werden daraus nämlich die besten Spaghetti der Welt und ein schnöder Montagabend mit cremigen Nudeln gerät zum Feiertag. Denn egal, wieviel mir jemand bedeutet: Dies lediglich zu fühlen, reicht nicht. Die Liebe will gefeiert werden! Ohne sie wären wir bekanntlich arm dran. Genauso wie die Sprache ist sie der Menschheit eigen und unterscheidet uns von den Tieren. Einzige Ausnahme: party animals.