Schwer Kranke fordern Hilfe: Petition zu ME/CFS an den Bundestag

Noch bis 9. November kann man bei „Sign for ME/CFS“ unterschreiben. Die schwere neuroimmunologische Erkrankung ist auch eine mögliche Folge von Covid-19.

Eine Berliner ME/CFS-Kranke, die seit langem ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann, hat aufgeschrieben, was sich Betroffene erhoffen.
Eine Berliner ME/CFS-Kranke, die seit langem ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann, hat aufgeschrieben, was sich Betroffene erhoffen.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-„Jung. Mitten im Leben. Dann hat uns eine schwere Erkrankung alles genommen: ME/CFS. Doch es gibt keine Therapie, keine Ärzte, keine Hilfe“, so kündigen Betroffene einen kurzen Film an, der bei YouTube zu sehen ist. 30 Menschen sind darin zu sehen. Die Bilder zeigen, wie sie vor einiger Zeit noch mitten im Leben standen, arbeiteten, joggten, Fußball spielten. Jetzt liegen sie im Bett, in abgedunkelten Zimmern, sitzen im Rollstuhl.

Die 30 Menschen stehen für etwa 250.000 „vergessene Existenzen“ in Deutschland. So viele sollen in Deutschland von der neuroimmunologischen Erkrankung ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) betroffen sein, darunter 40.000 Kinder. Es ist eine der letzten großen Krankheiten, die kaum erforscht sind. Ein Viertel aller Patienten kann das Haus nicht mehr verlassen, etwa 60 Prozent sind arbeitsunfähig, viele bettlägerig und auf Pflege angewiesen.

„Wir kämpfen für Veränderung“, schreiben die Initiatoren der aktuellen Kampagne „Sign for ME/CFS“. Bis zum 9. November sollen 50.000 Unterschriften für eine Petition an den Deutschen Bundestag gesammelt werden. Im Internet ist die Petition unter signformecfs.de zu finden.

Krankheit beginnt oft mit einem Infekt

Ziel der Petition ist eine Bundestags-Anhörung in öffentlicher Ausschusssitzung – ähnlich der, die 2019 vor dem Europäischen Parlament stattfand. Damals hielt die Niederländerin Evelien Van Den Brink, selbst schwer erkrankt, eine beeindruckende Rede vor dem Petitionsausschuss. Ergebnis war eine Entschließung von 2020, die biomedizinische Forschung zu ME/CFS mit Finanzmitteln zu fördern. Alle EU-Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, „entschlossen die notwendigen Schritte zu unternehmen, um dafür zu sorgen, dass ME/CFS die gebührende Anerkennung findet“.

Die Petition an den Bundestag hat drei Ziele. Das erste ist, „die aus Betroffenensicht derzeit verheerende Versorgungslage in medizinischer Hinsicht zu verbessern“. Dazu soll ME/CFS in den Katalog für die „Ambulante spezialfachärztliche Versorgung“ aufgenommen werden. Das zweite Ziel sind umfassende Investitionen in die biomedizinische Erforschung von ME/CFS. Und schließlich soll ein parlamentarischer Beauftragter benannt oder eine interfraktionelle Arbeitsgruppe eingerichtet werden, damit Betroffene und Patientenorganisationen dauerhaft Ansprechpartner haben. Die Initiatoren der Petition verweisen etwa auf die „All-Party Parliamentary Group on Myalgic Encephalomyelitis“ (APPG on ME) im britischen Unterhaus, die Vorbild sein könnte für die Arbeit des Bundestages.

Auch im Zusammenhang mit Covid-19 ist die Petition von Bedeutung. Denn die Erkrankung beginnt häufig nach einem schweren Infekt, wie die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS erklärt. Auslöser sind zum Beispiel das Grippe- und das Epstein-Barr-Virus. Sie kann auch Folge einer Infektion mit Sars-CoV-2 sein. „Etwa ein Prozent aller Covid-19-Patienten könnte an ME/CFS erkranken“, sagte jüngst die Immunologin und Onkologin Carmen Scheibenbogen von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. ME/CFS ist also eine mögliche Form von Long Covid. Allein in Deutschland könnte es „bald 100.000 zusätzliche Fälle geben“, schreiben die Initiatoren der Petition.

Typisch für ME/CFS ist die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM) – eine Verschlimmerung des Zustands nach bereits leichten Anstrengungen. „Sie tritt typischerweise schon nach geringer Belastung wie wenigen Schritten Gehen auf“, erklärt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS. Besorgungen im Supermarkt könnten anschließend zu tagelanger Bettruhe zwingen. „Für Schwer- und Schwerstbetroffene kann die PEM bereits durch das Umdrehen im Bett oder die Anwesenheit einer weiteren Person im Raum ausgelöst werden.“ Die Betroffenen sprechen von „Crashs“.

Zu den Symptomen gehören ausgeprägte Schwäche, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Herzrasen, Schwindel, Benommenheit, Blutdruckschwankungen, starkes Krankheitsgefühl, eine erhöhte Infektanfälligkeit, massive Schlafstörungen, neurokognitive Symptome wie Konzentrations-, Merk- und Wortfindungsstörungen („Brain Fog“) sowie die Überempfindlichkeit auf Sinnesreize. „Schwerstbetroffene müssen deshalb oft in abgedunkelten Räumen liegen und können sich nur flüsternd mit Angehörigen verständigen“, heißt es in der Darstellung. Es ist eine komplexe Erkrankung, die verschiedenste Systeme des Körpers erfasst.

Eine weitere Petition, veröffentlicht auf dem Portal openpetition.de, richtet sich an die Europäische Kommission, konkret an deren Präsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat zum Ziel, dass EU-Mittel für Tests mit einem Medikament bereitgestellt werden, von dem sich Kranke eine Verbesserung ihres Zustands erhoffen. Es handelt sich um einen Wirkstoff des Berliner Start-ups Berlin Cures, genannt BC 007. Es ist eigentlich ein Herzmedikament. Doch Mediziner der Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen konnten damit Menschen mit schweren Long-Covid-Symptomen innerhalb kurzer Zeit von ihren Beschwerden befreien.

Hoffnung auf ein Medikament

„BC 007 könnte es Millionen von Long-Covid-Patienten in der EU und schließlich vielen weiteren Millionen auf der ganzen Welt ermöglichen, ihr Leben zurückzubekommen. Außerdem könnte es Millionen von ME/CFS-Patienten helfen, die seit Jahrzehnten unter dieser Krankheit leiden“, schreibt Helga Kuipers, eine Betroffene aus Berlin und Initiatorin der Petition. „Wir bitten Sie, Frau von der Leyen, EU-Mittel für weitere Tests von BC 007 bereitzustellen.“

Wie die Universität Erlangen-Nürnberg mitgeteilt hat, gehört die weitere Erforschung des Wirkstoffs zu zehn Projekten zur Erforschung von Long Covid, die vom Bundesforschungsministerium mit 6,5 Millionen Euro gefördert werden. Eine Erlanger Studie „soll systematisch nachweisen, ob und auf Basis welcher Mechanismen der Wirkstoff BC 007 weiteren Long-Covid-Patientinnen und -Patienten helfen kann“, heißt es in der Mitteilung. Nach einer Covid-19-Erkrankung zirkulierten im Blut der Betroffenen Autoantikörper, die sich gegen körpereigene Proteine richteten, heißt es zur Erklärung.

Das Interessante sei, dass der als Herzmedikament entwickelte Wirkstoff „die schädlichen Autoantikörper bei all jenen Patientinnen und Patienten außer Gefecht setzen kann, die sie im Blut haben – egal welchen Namen die Krankheit trägt“. Dies könnte auch eine Hoffnung für ME/CFS-Patienten sein.