Schwule Männer sollen beim Blutspenden nicht mehr diskriminiert werden– warum erst jetzt?

Der Bundesrat berät ein neues Gesetz. Unklar ist, wann es in Kraft tritt – und was es tatsächlich bewirkt. CDU will eine andere Lösung und Interessenverbände bleiben skeptisch.

Blutspender in einem DRK Blutspendedienst
Blutspender in einem DRK BlutspendedienstRupert Oberhäuser/imago

Homosexuelle sollen beim Blutspenden nicht mehr diskriminiert werden. Das Thema ist an diesem Freitag spät eingeplant. Unter Programmpunkt 43, wenn die Sitzung des Bundesrates fast schon geschlossen ist. Dann sollen die Vertreter der Länder über einen Gesetzentwurf beraten, der pauschale Restriktionen für Männer aufhebt, die Sex mit Männern haben.

„Die sexuelle Orientierung darf bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss von der Blutspende führt, nicht berücksichtigt werden“, so steht es in der neuen Fassung. In Zukunft werde nur noch das individuelle Verhalten der Spender darüber entscheiden, ob Menschen zur Spende zugelassen werden. In Zukunft heißt: in einigen Monaten.

Wann genau die neuen Regelungen in Kraft treten, kann die Bundesärztekammer (BÄK) nicht sagen. Sie ist beauftragt, auf Basis des Gesetzes eine Richtlinie zu formulieren. Sie hat dafür vier bis fünf Monate Zeit. „Der BÄK-Vorstand hat aufgrund des aktuellen parlamentarischen Verfahrens seine Beratungen zu dem Richtlinienentwurf zunächst ausgesetzt“, teilt die Bundesärztekammer auf Nachfrage mit.

Nicht bei allen Parteien stößt die überarbeitete Fassung des Gesetzes auf ungeteilte Zustimmung. Die CDU zum Beispiel favorisiert ein Vorgehen, wie es bereits in Österreich praktiziert wird: Wer innerhalb der zurückliegenden drei Monate mit drei verschiedenen Personen Sex hatte, darf drei Monate lang kein Blut spenden. Egal ob derjenige nun homo- oder heterosexuell ist. Drei-mal-drei-Regel nennen das die Österreicher. Wie ihre Einhaltung überprüft werden soll, ist unklar.

Aidshilfe zur Blutspende: „Betroffene Gruppen einbeziehen“

Das gilt auch für die derzeitigen Bestimmungen in Deutschland. Im Herbst 2021 wurden sie erlassen. Demnach sind schwule oder bisexuelle Männer nur dann zur Spende zugelassen, wenn sie zuvor vier Monate enthaltsam gelebt haben. Heterosexuelle Männer unterliegen einer solchen Einschränkung nicht, was von Beginn an auf Unverständnis stieß. So kritisierte der Lesben- und Schwulenverband, „dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten unter Männern per se als riskanter gilt als heterosexuelles Sexualverhalten“.

Die Deutsche Aidshilfe begrüßt die aktuelle Initiative, die auf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zurückgeht. Sie verweist jedoch darauf, dass noch nicht erkennbar sei, wie nun die überarbeitete Richtlinie aussehen werde, wie gut sie Diskriminierung verhindere und die Sicherheit von Blutprodukten gewährleiste.

„Aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre haben wir uns immer wieder dafür ausgesprochen, die neue Regelung in einem interdisziplinären und partizipativen Prozess zu erarbeiten“, sagt Holger Wicht, Sprecher der Aidshilfe: „Fachleute verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und Verbände, die die bisher vom Ausschluss betroffenen Gruppen repräsentieren, sollten in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.“

Wicht bleibt skeptisch: „Die bisherigen Veröffentlichungen der Bundesärztekammer und weiterer medizinisch geprägter Gremien lassen darauf schließen, dass es den Beteiligten an Wissen gegenüber den Lebens- und Verhaltensweisen schwuler Männer und trans Menschen sowie an sprachlicher Sensibilität mangelt.“ Es sei an der Zeit, „Wissen und Erfahrungen anderer Fachleute“ einzubeziehen. Wicht verweist auf England, wo zu diesem Zweck ein sogenanntes Steering Committee eingesetzt wurde.

Andere Nachbarn Deutschlands sind mit ihren Reformen beim Blutspenden nicht wesentlich weiter vorangekommen. In Frankreich dürfen homosexuelle Männer immerhin seit einem Jahr uneingeschränkt spenden. Das Schweizer Parlament verständigte sich im vergangenen Herbst darauf, diskriminierende Regelungen ausschließen zu wollen. Die Niederlande lockerten 2021 ihre Bestimmungen. Doch es gilt die Auflage, dass schwule Spender seit mindestens zwölf Monaten in einer festen monogamen Beziehung leben müssen.

Blutspenden verboten aus Angst vor HIV

Auch Deutschland bewegt sich nur langsam. Seit den 80er-Jahren, seit dem Aufkommen von Aids, durften Männer, die Sex mit Männern hatten, kein Blut spenden. Längst aber hat das Human Immunodeficiency Virus, kurz HIV, seinen Schrecken verloren, es gilt als beherrschbar. Dennoch formulierte erst die seit Herbst 2021 amtierende Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag die Absicht, die Diskriminierung beim Blutspenden beenden zu wollen.

Die Bundesärztekammer verweist auf ein Zusammenspiel von Forschung und Politik, das offenbar das Tempo der Reformen bestimmt. „Der Stand der medizinischen Wissenschaft bezüglich der Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten“, teilt die BÄK mit, „wird von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums, des Robert-Koch-Instituts, des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundesärztekammer bewertet.“ Es sei wiederum die Aufgabe des Gesetzgebers, auf dieser Grundlage „mit dem notwendigen Augenmaß Ergänzungen für eine Formulierung der Ausschluss- und Rückstellungskriterien zu erlassen“.

Weit fortgeschritten sind indes die Verfahren, mit denen sich Erreger im Blut von Spendern aufspüren lassen. Darauf verweisen Wissenschaftler. Obligatorisch wird nicht nur nach HIV, sondern unter anderem auch nach Erregern von Hepatitis B, Hepatitis C und Syphilis gesucht. „Die Tests wurden verbessert, sodass man heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Infizierte erkennen kann“, sagt zum Beispiel Volker Wahn. Der inzwischen emeritierte Professor hat sich am Berliner Universitätsklinikum Charité sehr lange mit Therapien bei angeborenen Immundefekten beschäftigt.

Sogenannte Immunglobuline helfen, diesen Defekt auszugleichen. Hergestellt werden sie aus gespendetem Blutplasma, subkutan verabreicht, unter die Haut gespritzt. Rund zwei von 1000 Menschen haben einen solchen Defekt. Immunglobuline sind in Deutschland jedoch sehr knapp. „Die Versorgungslage ist dramatisch“, so formulierte es Gabriele Gündl, die Bundesvorsitzende des Vereins Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte (DSAI). Rund ein Drittel der Produkte müsse aus den USA zugekauft werden. 

Patienten mit Immundefekt auf Blutplasma angewiesen

Dabei sind bis zu 60 Plasmaspenden jährlich medizinisch vertretbar, zehnmal mehr als beim Vollblut. Dass nun eine überarbeitete Richtlinie vorbereitet werde, sagt Wahn, „ist sicher eine gute Nachricht für Patienten, die mit Plasmaprodukten behandelt werden“. Auch Blutspendedienste wie der des Deutschen Roten Kreuzes Nordost hoffen auf mehr Angebot, um die Nachfrage besser befriedigen zu können. Rund 800 Blutspenden werden täglich benötigt, um den Regelbedarf zu decken und überdies für Notfälle gerüstet zu sein. Bundesweit sind es rund 15.000.

„Im Moment ist die Versorgung gesichert“, sagt Kerstin Schweiger vom DRK, gibt aber zu bedenken, dass die Konserven nur begrenzt haltbar sind und sich die Lage in den Osterferien ändern könne. Bis dahin ist das neue Gesetz längst nicht in Kraft. Im Bundesrat wird es übrigens verhandelt unter dem Programmpunkt: „Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Stiftung Unabhängige Patientenberatung Deutschland – und zur Änderung weiterer Gesetze“. Manche Dinge wirken schwieriger, als sie tatsächlich sind.